Lörrach Erinnern und wachsam bleiben

Kristoff Meller

Erste Stolpersteine mit Gedenkzeremonie und Künstler Gunter Demnig an drei Orten verlegt.

Lörrach - Die ersten acht Stolpersteine zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus wurden am Donnerstag von Künstler Gunter Demnig an drei Orten in der Innenstadt verlegt. Die bewegende Zeremonie mit Reden und Musik wurde von zahlreichen Interessierten und Angehörigen verfolgt.

Nur ein paar gekonnte Handgriffe mit der Mörtelkelle benötigt der Mann mit Mundschutz und Hut, dann sind die zehn auf zehn Zentimeter großen Betonsteine mit Messingplatten samt Inschriften im vorbereiteten Loch eingelassen. Kein Wunder, denn der eher introvertierte Gunter Demnig – er verzichtete auf eine Ansprache – hat seit 1996 bereits fast 80 000 solcher Steine in Deutschland und vielen anderen Staaten Europas verlegt.

Doch auch wenn der eigentliche Hauptakt neben Reden und Musik dadurch eher unspektakulär verlief, sprach Oberbürgermeister Jörg Lutz von einem „denkwürdigen Tag“. Denn mit der Verlegung der ersten Lörracher Stolpersteine komme „ein langer Weg zu seinem vorläufigen Ende“. Seit 2011 hatte sich die Initiative „Stolpersteine in Lörrach“ für das Projekt, das als größtes dezentrales Mahnmal der Welt gilt, eingesetzt und für so manche kontroverse Diskussion gesorgt, erinnerte der OB.

Er dankte insbesondere den Historikern Robert Neisen und Ulrich Tromm sowie Markus Hofmann von der Initiative für ihre Arbeit und ihren Einsatz. Entscheidend für den Erfolg sei schließlich der Haltungswechsel der jüdischen Gemeinde im Jahr 2019 gewesen, die sich zuvor über viele Jahre gegen das Projekt ausgesprochen hatte.

Gleichwohl gehe der Weg weiter, denn es sollen nicht die einzigen Stolpersteine bleiben und auch „der Kampf gegen Hass, Rassismus und Ausgrenzung muss weiter gehen“, sagte Lutz. Denn derzeit sei „die Gewalt in Worten“ bereits wieder spürbar und irgendwann folgten darauf auch Taten. Diese „traurige Realität“ habe sich in der Vergangenheit immer wieder bewahrheitet. Darum rief er alle Bürger dazu auf, sich „aktiv am Kampf dagegen zu beteiligen“.

Gedenken an Familie Beck
Die ersten vier Steine wurden in der Teichstraße 9 für Samuel, Bernhard, Isaak und Adele Beck verlegt. An dieser Stelle befand sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts der Stammsitz der Metzgerei Beck, und hier wohnte Bernhard Beck bis Ende 1938 mit seinen drei Geschwistern und weiteren Familienmitgliedern, wie Clemens Hermann Wagner stellvertretend für den Historiker Ulrich Tromm berichtete.

Unter den zahlreichen Zuhörern war auch Thomas Esser, der bereits 2008 den ersten Vorstoß für Stolpersteine in Lörrach unternommen hatte. „Wir waren damals leider noch nicht so erfolgreich“, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung. Denn ohne die Zustimmung der jüdischen Gemeinde wollten die damaligen Initiatoren das Projekt nicht durchführen. „Moshe Flomenmann hat einen großen Anteil daran, dass sich die Haltung geändert hat“, ergänzte Historiker Hubert Bernnat.

Der Landesrabbiner Flomenmann von der Israelitischen Kultusgemeinde Lörrach zeigte sich in seiner Ansprache dann auch froh darüber, „dass die Steine endlich verlegt werden“. Er hofft, dass sie ihren Zweck erfüllen „und die Menschen stolpern, stehen bleiben und sich mit der Geschichte auseinandersetzen“, um solche Gräueltaten nie mehr zuzulassen. Das Gedenken an die Vergangenheit sei wichtig, indes werde dabei oft die Gegenwart vergessen: „Wir haben hier eine lebendige jüdische Gemeinde in Lörrach“, betonte der Landesrabbiner und lud zum Austausch und dem Besuch der Synagoge ein.

Außerdem dankte Flomenmann der Polizei dafür, „dass sie täglich jüdisches Leben schützt“. Seit dem Anschlag von Halle steht die Synagoge unter Polizeischutz und auch die Gedenkveranstaltung wurde von Polizeibeamten sowie wie Revierleiter Andreas Nagy begleitet.

Gedenken an Familie Denz
An der zweiten Station, der Luisenstraße 35, waren die Polizisten hingegen vor allem für die Regelung des Verkehrs zuständig. Denn auch vor dem ehemaligen Wohnort der Familie Denz, sie waren Zeugen Jehovas und wurden deshalb verfolgt, bildete sich eine große Menschentraube.

Rainer Neuberger, Ältester der Zeugen Jehovas, erinnerte daran, dass „fünf bis zehn Prozent der Opfer in den Konzentrationslagern Zeugen Jehovas waren“. Die Familie Denz schmuggelte zudem über Jahre unzählige illegale Schriften aus der Schweiz nach Lörrach. „Sie besaßen großen Mut und Opferbereitschaft“, sagte Neuberger. Ingeborg Schütze berichtete ebenfalls über ihre Cousine Anna Denz, die als junges Mädchen erst den Verhören der Gestapo standhielt und der danach die Flucht in die Schweiz gelang.

Gedenken an Heinz Leible
Dieses Glück hatte Heinz Leible nicht. Er wurde aufgrund seiner vermeintlichen Homosexualität 1936 verhaftet und 1943 im Konzentrationslager Mauthausen ermordet. „Die Stolpersteine erinnern uns daran, dass wir heute in einer besseren Gesellschaft leben, die es zu erhalten gilt“, sagte sein Neffe Hansjörg Leible in seiner Ansprache am ehemaligen Wohnort seines Onkel in der Unteren Wallbrunnstraße 10.

Mit Verweis auf die „Vogelschiss“-Rede von AfD-Chef Gauland forderte er „wachsam und wehrhaft zu bleiben“. Drei Schüler der Freien Evangelischen Schule Lörrach zitierten außerdem aus Briefen, die Heinz Leible aus der Gefangenschaft an seine Familie geschrieben hatte.

Im Anschluss gab es für eine begrenzte Zahl geladener und angemeldeter Gäste die Möglichkeit zum Austausch im Hebelsaal. Einige Angehörige, die coronabedingt nicht persönlich anwesend sein konnten, hatten außerdem Videobotschaften übermittelt.

So teilte Ronia Beecher, geborene Reutlinger und Nichte der Geschwister Beck, mit: „Es machte uns extrem traurig, zu hören, was mir und meiner Familie widerfahren war. Aber wir waren auch sehr ermutigt durch die zugewandten und wundervollen Menschen, die diese Erinnerungen schufen um die Namen und Erinnerungen der Menschen zu erhalten, die so plötzlich deportiert wurden und von denen viele ihr Leben durch die schrecklichen Lebensbedingungen verloren oder in den Konzentrationslagern ermordet wurden. Die Stolpersteine, die heute verlegt werden, helfen zukünftigen Generationen zu erfahren, dass – auch wenn sie nur ein kleiner Prozentteil der sechs Millionen jüdischen Opfer des Holocaust waren – sie ein Teil der eng verflochtenen Stadtgesellschaft in Lörrach waren.“

Weitere Impressionen in unserer Fotogalerie

Den Bericht übe den Vortrag von Gunther Demnig finden sie hier.

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