KOPF: Wir helfen zunächst einmal dadurch, dass es uns gibt und die Frauen einen sicheren Ort bei uns finden. Die meisten Frauen haben sehr viel Angst, wenn sie zu uns kommen. Erst einmal geht es darum, ihnen zuzuhören. Es ist oft so, dass wir die erste Station sind, wo diese Frauen, die häufig über Jahre hinweg Gewalt erlebt haben, davon erzählen. Diese Frauen haben darüber vorher noch nie mit jemandem geredet. Wichtig ist es auch, ihnen zu glauben.
Danach kommen ganz praktische Schritte. Die Frauen müssen zum Jobcenter, wenn sie Kinder haben, müssen diese in den Kindergarten oder in die Schule. Eventuell ist eine medizinische Behandlung nötig. Dann geht es auch darum, eventuell juristische Maßnahmen zu ergreifen. Wichtig ist außerdem, das Jugendamt einzubeziehen, weil es um Umgangsrechte etc. geht. Wichtig ist mir noch zu sagen, dass Frauenhäuser keine Rundum-Betreuungsinstitutionen sind. Wir sind kein Heim, sondern eine Krisenintervention. Wir nehmen die Frauen auf, aber wir bekochen sie nicht. Sie müssen natürlich immer in der Lage sein, ihr Leben zu leben. Sie müssen ihren Alltag selbst regeln. Krisenintervention heißt, die Frauen so zu stabilisieren, dass sie in ihrem Alltag zurecht kommen können.
Frage: Das Thema Gewalt gegen Frauen war lange Zeit ein Tabuthema. Möglicherweise ist es das immer noch, warum ist das so?
KOPF: Das ist eine schwierige Frage. Frau Lauber ist 30 Jahre dabei, ich 28 Jahre. Am Anfang haben wir schon die Hoffnung gehabt, dass wir als Institution überflüssig werden. Dass das Thema tabuisiert wird, hat viel damit zu tun, dass häusliche Gewalt, wie der Begriff schon sagt, familiär ist. Es war viele Jahre so, dass das niemanden interessiert hat. Man ging einfach davon aus, das ist eine Privatsache. Wir haben lange für die Erkenntnis gekämpft, dass Gewalt niemals eine Privatsache ist, ganz gleich, wo sie stattfindet. Das gilt auch für die Familie. Ich glaube, das macht das Tabu so groß. Gewalt gegen Frauen ist etwas, was uns alle angeht und was überall stattfindet. Man kann sich nicht auf den Standpunkt stellen: Gewalt betrifft nur ganz wenige. Das macht es auch schwer. Niemand will sich damit konfrontieren. Das alles führt zu dieser Tabuisierung. Allerdings ist die Situation nicht mehr so wie vor 20 Jahren. Allein die Tatsache, dass wir hier stehen, ist ein Beweis dafür, dass wir auf dem Weg sind, das Thema aus dem Tabu herauszuholen. Man kann zu der Diskussion stehen wie man will, aber die Me-Too-Debatte hat dazu beigetragen und hat die Öffentlichkeit aufgewühlt.
Frage: Mit welchen Verletzungen kommen die Frauen zu Ihnen ins Frauenhaus?
LAUBER: Unsere Frauen erleben psychische und physische Gewalt und letztlich auch sexuelle Gewalt. Die psychische Gewalt sieht so aus, dass die Frauen beschimpft, erniedrigt und bedroht werden, auch mit dem Leben. Physische Gewalt äußert sich durch Schubsen, durch Faustschläge ins Gesicht und häufig auch in den Unterleib. Zum Teil werden auch Gegenstände verwendet und sogar Waffen. Die sexuelle Gewalt sieht so aus, dass die Frauen sexuell genötigt werden bis hin zur Vergewaltigung.
Frage: Wie häufig passiert es, dass Frauen trotz dieser erheblichen Gewalt wieder zurück zu ihrem Partner gehen?
KOPF: Statistisch gesehen gehen tatsächlich weniger Frauen zurück als früher. Noch vor 30 Jahren konnten wir in unseren Jahresstatistiken sehen, dass etwa 50 Prozent der Frauen, die uns aufgesucht haben, wieder zurückgekehrt sind. Heute sind wir bei 20 Prozent. Wenn eine Frau mir bei der Aufnahme erzählt, dass sie das erste Mal weggegangen ist, dann weiß ich, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder zurück geht, relativ groß ist. Wenn die Frau schon vier oder fünf Versuche gemacht hat, um von ihrem Partner los zu kommen, weiß ich: Jetzt wird sie es wahrscheinlich schaffen. Es ist tatsächlich so, dass die Versprechungen auf Besserung oft von den Partnern kommen, und ich will auch niemandem absprechen, dass es ihm leid tut. Nur, diese Versprechungen halten nicht. Die Rückkehr hat sehr viel mit der Hoffnung zu tun: Ich will die Familie nicht aufgeben, ich will daran festhalten. Aus diesem Grund gehen viele zurück, kommen aber häufig auch wieder.