Lörrach „Früher ist rum“

Markus Greiß
 Foto: Markus Greiß

Kabarett: Jess Jochimsen beleuchtet und besingt die Angst der Deutschen.

Lörrach - Es herrscht Katerstimmung bei Jess Jochimsen. Denn „Heute ist wegen gestern geschlossen“. Dieses Schild an seiner Stammkneipe hat es dem Freiburger Kabarettisten so angetan, dass er sein aktuelles Programm danach benannt hat. Denn nicht nur die Kneipe hat zugemacht, sondern auch Deutschland. „Wegen zu viel Willkommenskultur“, erklärt der Freiburger Kabarettist seinem Burghof-Publikum am Mittwochabend.

Im ganzen Land wirke das Gestern in Gestalt der Silvesternacht 2015 mit ihren sexuellen Übergriffen auf der Kölner Domplatte nach. Dabei hätten wir Deutschen für Übergriffe doch extra Institutionen eingerichtet. „Der Missbrauch findet bei uns in der Kirche statt und nicht davor!“ Diese Nacht habe jedenfalls vieles verändert. Seitdem regiere die Angst vor der „Flüchtlingsflut“, vor allem geschürt von „alten Männern“.

Mathe als Mittel gegen die Angst

Jochimsen empfiehlt Mathe als Mittel gegen die Angst. „Nehmen wir an, die 100 Leute im Publikum sind die 80 Millionen Deutsche. Dann waren Sie da vorne die Flüchtlingswelle“, rechnet Jochimsen vor und deutet auf einen Besucher in der ersten Reihe. Zusperren helfe jedenfalls nicht gegen die Angst. „Sag mir einen Horrorfilm, bei dem das funktioniert.“

Dieses Genre liegt in der Gunst der Fernsehzuschauer aber sowieso nicht auf den vorderen Plätzen. Sie ziehen Beruhigungspillen vor: Fußball, Tatort und Volksmusik. „Was, wenn die Volksmusik-Gucker Recht haben?“, fragt sich Jochimsen bang – um dann mit seinem Akkordeon ein schunkelnd-schauriges Lied auf das Heimatland anzustimmen.

Und der Plot seines Lieds „Bauer und Schmied“ hätte das Zeug, in einen Heimatfilm verpackt und am Sonntagabend zur besten Sendezeit gesendet zu werden: Zwei beste Freunde vom Land lieben ein und dieselbe Frau. In scharfem Kontrast zur simplen Handlung steht Jochimsens Gitarrenbegleitung. Er zupft und klopft, wirbelt durch die Lagen und greift zum leeren Wasserglas, um damit das Griffbrett zu bearbeiten.

Bei der folgenden „politischen Selbstanklage in h-moll“ setzt er dann weniger auf den Ton- als den Lichteffekt. Blutrot wird der Bühnenhintergrund ausgeleuchtet, als er singend verkündet: „Die Russen kommen – steht in der FAZ in fett“. Sage also keiner, man habe nicht gewarnt. Obwohl: Im Fernsehen sitze nur Putin nackt auf dem Pferd oder beim Fischen. Ansonsten wisse man so wenig.

Jochimsen wünscht sich einen Deuter, Gerd Ruge wäre schön, und ertappt sich dabei, manchmal auch Angst zu bekommen und sich nach früher zu sehnen. Doch „früher ist rum“, reißt er sich zusammen. Einmauern hilft nicht. Daher auch seine Prognose: „Spätestens übermorgen ist wieder offen – wegen heute.“

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