Lörrach Für ein lebenswertes Lörrach

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Hartmut Schäfer (l.) und Ingo Herzog: „Was „fairNETZt“ generell auszeichnet, ist das gemeinsame Anliegen eines Wandels zu mehr sozialem Zusammenhalt, ökologischer Verantwortung und ökonomischer Nachhaltigkeit.“ Foto: Kristoff Meller Foto: mek

Interview: Hartmut Schäfer und Ingo Herzog über Entwicklung und Perspektiven von „fairNETZt“

„fairNETZt“, eine Plattform für gesellschaftspolitisch aktive Menschen und Initiativen, feiert am heutigen Samstag im Nellie Nashorn ihren dritten Geburtstag. Aus kleinen Anfängen hat sich eine bunte Vielfalt von Gruppierungen entwickelt, die Lörrach auf facettenreiche Weise bereichern. Bernhard Konrad sprach mit Hartmut Schäfer, einem der „fairNETZt“-Gründer, und Ingo Herzog, Mitglied des Lenkungskreises „Zukunftsforum“, über die Arbeit von „fairNETZt“.  
 

Herr Schäfer, was war der Gründungsimpuls für „fairNETZt“?
SCHÄFER: „fairNETZt“ ist aus der Krise des Nellie Nashorn entstanden. Als Ende 2014 die Insolvenz ins Haus stand, wurde in den montäglichen Gesprächsrunden beschlossen, so lange als möglich interessante gesellschaftspolitische Veranstaltungen im Nellie zu organisieren. Zunächst sollte jede Gruppe eine Veranstaltung in die Hand nehmen – letztlich war es aber so, dass stets mehrere Gruppen ein Thema bearbeiteten. Beim Workshop „Leben in Lörrach 2030“ waren gar sechs Gruppierungen involviert. Damit wurde das Bedürfnis deutlich, sich über Querschnittsthemen auszutauschen, zusammenzuarbeiten und voneinander zu lernen.

Was war das Thema der Auftaktveranstaltung und welche Gruppen kamen nach und nach hinzu?
SCHÄFER: Erstes Thema war am 3. Februar 2015 „Moderne Nachbarschaftshilfe: die Zeitbanken“, initiiert von der Gemeinwohlökonomie, als eine von neun Gruppen hinter der Reihe. Konkret hat sich die Zeitbank+ im Anschluss in Lörrach gegründet.
Bei der Auswertung der Reihe haben alle Gruppen den Wert der Vernetzung betont und zum Ausdruck gebracht, dass Kontinuität wünschenswert sei. So wurde die Idee einer Plattform geboren, auf der sich Gruppen abstimmen, und einer Homepage, auf der sich alle Beteiligten vorstellen können – vor allem auch kleinere Gruppierungen, die keinen eigenen Internetauftritt haben. Hinzu kam noch ein Newsletter.
Anfangs waren neun Gruppen bei „fairNETZt“ aktiv, aber rasch kamen neue hinzu, die nicht im Nellie Nashorn verwurzelt waren. Mittlerweile engagieren sich 18 Gruppen bei „fairNETZt“ – sowohl eingetragene Vereine, als auch solche, die womöglich nur für eine bestimmte Zeit aktiv sind  – „Graswurzelbewegungen“ wie Pulse of Europe und die Gemeinschaftsgärten.

Welches grundsätzliche Anliegen haben die Gruppen und wo überschneiden sich Themen konkret?
SCHÄFER: Jede Gruppe hat ihre eigene Arbeit, aber es gibt immer wieder Querschnittsthemen – TTIP ist so ein Beispiel, Menschenrechte, regionale Landwirtschaft oder eben der Leitbildprozess Lörrach.
Bei den ersten Sitzungen waren Vertreter von Arbeitskreis Miteinander, Freundeskreis Asyl und Amnesty International am Tisch. Jede Gruppe hat eigene Aufgaben, aber das Thema „Flucht“ überschneidet sich auf vielfältige Weise, und dabei haben die Gruppen voneinander profitiert. Beispiel Wirtschaft: Die Gruppen Gemeinwohlökonomie, attac Lörrach und die fairBRAUCHer befruchten sich gegenseitig. Gleiches gilt für das Engagement der vielen Gruppen im Umweltbereich.
Was uns generell auszeichnet, ist das gemeinsame Anliegen eines Wandels zu mehr sozialem Zusammenhalt, ökologischer Verantwortung und ökonomischer Nachhaltigkeit.

Sehen Sie mit Blick auf die Politik und die Arbeit der Medien ein Transparenzdefizit in unserer Gesellschaft, so dass auch vor diesem Hintergrund die Existenz dieser Gruppen wichtig ist?
SCHÄFER: Es gibt bei vielen Menschen das Bedürfnis, die Dinge in ihren Zusammenhängen zu verstehen. Nach meinem Eindruck werden öffentliche Betrachtungsweisen mitunter zu isoliert kommuniziert und wahrgenommen. Nehmen wir als Beispiel das Elektroauto: Zunächst könnte behauptet werden, das E-Auto sei die Zukunft der Mobilität. Es gibt aber eine ganze Menge unterschiedlicher Perspektiven, unter denen das Elektroauto betrachtet werden muss. Es geht nun darum, aus diesen Perspektiven ein möglichst schlüssigen Gesamtbild zu erarbeiten. Das geht nur im Diskurs und über Vernetzung.

Ohne das „ fairNETZt“-Engagement parteipolitisch einordnen zu wollen: Die Initiativen stehen politisch eher dem linken und grünen Spektrum nah. Empfinden Sie es als Manko, dass nicht die ganze Breite der Gesellschaft erreicht wird?
HERZOG: Da muss ich widersprechen. Ich selbst bin Christdemokrat – auch in der CDU gibt es Leute, die mit ihren Überzeugungen, wie Zukunft gestaltet werden sollte, durchaus bei den Grünen aktiv sein könnten.
Ich sehe die Aufgabe von „fairNETZt“ nicht in der Aufarbeitung von Transparenzdefiziten, sondern als parteiübergreifende Plattform, um Erkenntnisse zu sammeln.

Wie hat sich „fairNETZt“ entwickelt und was haben die Gruppen erreicht?
SCHÄFER: Wir sind zum einen für den Zulauf an interessierten und engagierten Bürgerinnen und Bürgern dankbar. Das bestärkt uns, weiterzumachen.
In den drei Jahren haben wir einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Unsere Aktivitäten zielen auf eine intensivere Bürgerbeteiligung. Dieses wird übrigens gelegentlich noch etwas schwarz-weiß diskutiert. So wird immer wieder ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Gemeinderat entscheidet. Da sagen wir: Natürlich entscheidet der Gemeinderat. Aber unser demokratisches System kann und soll mit der Zeit gehen und Möglichkeiten der Mitwirkung aufgreifen – hierfür gibt es sehr gut funktionierende Beispiele, die wir in Lörrach diskutieren und implementieren wollen. Das eine tun und das andere nicht lassen.
Federführende Akteure des Zukunftsforums deuteten an, sie würden sich von Seiten der Verwaltung und des Gemeinderats etwas mehr Beachtung und Wertschätzung dieses Engagements wünschen.

HERZOG: Es war ja nicht unser erstes Anliegen, eine Signalwirkung für die Verwaltung herbeizuführen. Ich mache den Erfolg unserer Arbeit nicht in erster Linie davon abhängig, was die Verwaltung denkt. Toll fand ich, dass sich so viele unterschiedliche Menschen im Zukunftsforum eingebracht haben. Nicht nur Fachleute wie ich, sondern auch ganz normale, fachfremde Menschen. Dass Experten und Laien auf Augenhöhe ins Gespräch kommen und etwas erarbeiten, ist ein Erfolg, der die Sache stark macht. „fairNETZt“ bietet die niedrigschwellige Möglichkeit zu bürgerschaftlichem Engagement ohne Berührungsängste.
Im Übrigen hat die Verwaltung das Ergebnis ja durchaus zur Kenntnis genommen und ist nun zu konkreten Themen mit uns im Gespräch. Das finde ich schon sehr gut. Unsere Intention war es, Anstöße zu geben – und nicht, Lösungen zu präsentieren. Das geht in der Kürze der Zeit und in dieser Konstellation auch gar nicht.

Sie erwarten demnach nicht, dass sich der Gemeinderat mit den Ideen des Zukunftsforums auseinander setzt?
HERZOG: Möglicherweise könnte das Interesse des Gemeinderats noch etwa größer sein – ich weiß nicht genau, wie viele Gemeinderäte beim Zukunftsforum anwesend waren.

SCHÄFER: Mit dem Zukunftsforum wollen „fairNETZt“ und die Schöpflin Stiftung ein Querschnittsthema über die Debatte in Kleingruppen hinaus auf eine Ebene heben, auf der Lörracher Institutionen und Bürger über Grenzen hinweg kontinuierlich arbeiteten. Im ersten Zukunftsforum sind viele Dinge entwickelt worden, die Hand und Fuß haben. Dieser Prozess soll 2018 mit einem neuen Thema fortgesetzt werden – wobei Gruppen des Zukunftsforums 2017 weiter an ihren Projekten zum WohnWandel arbeiten werden. Beides ermöglicht die Schöpflin Stiftung durch ihr finanzielles und persönliches Engagement.
Ich wünsche mir natürlich, dass möglichst viele Menschen sich mit den Vorschlägen auseinander setzen. Sie spiegeln ja eine große Bandbreite dessen, was zukünftiges Wohnen in der Stadt ausmacht. Eine Vielfalt im Denken kann Lörrach nur gut tun. Alle gesellschaftlichen Akteure sind deshalb eingeladen, teilzunehmen, auch Verwaltung und Gemeinderat. So waren zuletzt schon Vertreter von Verwaltung und Landkreis im Lenkungskreis dabei.

Welche Voraussetzungen müssen Gruppen mitbringen, die bei „fairNETZt“ mitmachen möchten?
SCHÄFER: Die Voraussetzung liegt in der gegenseitigen Toleranz und Akzeptanz, Wandel zu gestalten. Wir sind überzeugt davon, dass wir in einer Zeit des Wandels leben – und dass wir diesen Wandel „von unten“ mitgestalten können. Alles, was in Richtung „mehr soziales Miteinender“, „Ökologie“ und „faires Wirtschaften“ geht, ist willkommen bei uns. Aber wir treten auch in Dialog mit Gruppen, die diese Aspekte nicht als Erstes auf ihre Fahnen schreiben.

Wie viele Menschen sind mittlerweile in den verschiedenen Gruppen aktiv?
SCHÄFER: Schwer zu sagen. Mit unserem Newsletter erreichen wir wohl rund 500 Menschen. Die einen sagen es den anderen,  und so werden es mehr, die diskutieren und sich einbringen.

Welche Pläne hat „fairNETZt“ für die Zukunft?
SCHÄFER: Wir wollen die Rahmenbedingungen für die gesellschaftspolitischen Gruppen verbessern, damit angefangen, dass im Nellie Nashorn keine Raummiete bezahlt werden muss. Auch wollen wir Seminare anbieten, damit Ehrenamt effizienter arbeiten kann. Zum Glück haben wir die Schöpflin Stiftung gewinnen können, mit einem „Wandelbudget“ den Gruppen bis zu jeweils 1000 Euro  für die Umsetzung einer überzeugenden Wandel-Idee zur Verfügung zu stellen. Das ist vorbildlich.
Und wir möchten uns regional vernetzen. So gibt es etwa die erfolgreiche Initiative „Murg im Wandel“, in Basel und Steinen gibt es ebenfalls Wandel-Gruppierungen, in Rheinfelden gibt es die „Engagierte Stadt“, das französische Ungersheim ist Transition Town. Wir  lernen gegenseitig von uns.
Persönlich hoffe ich, dass „fairNETZt“ sachorientierte Beiträge zu Zukunftsdebatten leistet – jenseits von Parteidenken und Einzelinteressen – als Plattform für die künftige Gestaltung von Lörrach als Stadt für uns Bürger. Und: Wir möchten als verlässlicher Partner wahrgenommen werden. Wir sind zwar im Grunde eine lose Bewegung, aber wo wir uns ein Querschnittsthema vornehmen, werden wir zuverlässig, mit modernen Methoden, Freude und pfiffigen Ideen mitarbeiten.
Es gibt diesen Begriff der „Weisheit der Vielen“: Wenn sich die verschiedenen Menschen und Gruppen gemeinsam mit einem Thema beschäftigen, entsteht am Ende immer etwas Neues. Neue Gedanken, neue Einsichten. Ich sehe diese Kultur der Beteiligung als Bereicherung für die Demokratie.

Die Feier
Beginn ist heute, Samstag, um 15 Uhr im Nellie Nashorn mit Begrüßung, Rück- und Ausblick. Danach Kaffee und Kuchen sowie Beiträge und Präsentation von Förderern, Wegbereitern, Gruppen und Initiativen. Gegen 17 Uhr Film- und Diskussionsbeiträge, abends besteht die Möglichkeit zum Essen in der Gastwirtschaft, ab 21 Uhr Disko und Tanztee. Alle Interessenten sind eingeladen.

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