Lörrach „Gefeiert und gefürchtet“

Kristoff Meller

Geschichte: Lörracher Heft zur NS-Diktatur in den Ortsteilen vorgestellt. Sonderausstellung im Dreiländermuseum.

Lörrach - Nachdem der Historiker Robert Neisen 2013 seine Forschungsergebnisse zum Nationalsozialismus in Lörrach vorgestellt hat, liegen nun auch die Resultate zu seinen Recherchen über die NS-Diktatur in Brombach, Haagen und Hauingen vor. Auf knapp 300 Seiten beleuchtet er die Geschichte der damals noch selbstständigen Ortsteile und kommt im 31. „Lörracher Heft“ zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen – darum der Titel „Gefeiert und gefürchtet“.

„Die Zustimmung der Bevölkerung war nicht so gering, wie man es sich danach eingeredet hat.“ Das ist eine der Erkenntnisse, die Robert Neisen während seiner vierjährigen Forschung gewonnen hat, die er am Dienstag im Dreiländermuseum vorstellte. Die NSDAP habe sich am Ende der Weimarer Republik geschickt an die Spitze des Protestes gegen den „Steuerstaat“ gesetzt. Dieser war laut Neisen auch in den drei Industriegemeinden stark ausgeprägt, weil einige Firmen ihre Produktion in Folge der Weltwirtschaftskrise einstellen mussten.

Wenig Aufschwung

Bei den Reichstagswahlen 1932 wurde die NSDAP schließlich in allen drei Gemeinden stärkste politische Kraft. Sie hat sich laut dem Historiker vor allem wegen ihrer „großen Versprechen“ für mehr Wohlstand und eine Volksgemeinschaft ohne soziale Schichten durchgesetzt. Diese wurden aber nur bedingt erfüllt, denn die dominierende Textilwirtschaft habe nur wenig vom Aufschwung profitiert. Neisen: „Es gab weiterhin Kurzarbeit und geringe Löhne.“ Zudem scheiterte aus finanziellen Gründen und planerischer Unsicherheit der Bau einer Arbeitersiedlung in Haagen, um die große Wohnungsnot zu lindern.

Eine weitere Erkenntnis: Die lokalen Strukturen waren von großer Bedeutung für die Ausprägung des Nationalsozialismus. „Viele Gemeinden hatten einen starken kommunalen Eigensinn“, erklärte Neisen. So habe sich der Haagener Bürgermeister heftig gegen seine Absetzung gewehrt, während sein Brombacher Kollege sein Amt nach der Machtergreifung „mehr oder weniger widerstandslos“ aufgegeben habe. Dort sei es dem neuen Bürgermeister Josef Schmidberger gelungen, viele Posten mit überzeugten Nazis zu besetzen, die jedoch „wenig qualifiziert“ waren.

Brutales Vorgehen gegen Kritiker

In allen drei Gemeinden verlor die NS-Führung zudem wegen Korruption und ihres brutalen Vorgehens gegen Kritiker viele Sympathien. Gleichzeitig wurde das System durch starke bürgerliche Vereine gestützt: „Die Krieger-, Gesangs- und Turnvereine waren sehr militärisch und nationalistisch orientiert“, erklärte Neisen.

Die größte Gefahr für das NS-Regime war die starke Arbeiterbewegung, die „mit einer Mischung aus Unterdrückung und Umwerbung“ ausgeschaltet werden sollte. Doch auch andere Bevölkerungsgruppen wurden verfolgt, verhaftet und teilweise ermordet, wie Neisen an vielen Beispielen darstellt.

Im letzten Teil geht es schließlich um den Zweiten Weltkrieg, der für die Bevölkerung schnell viele Einschränkungen mit sich brachte – Lebensmittel wurden rationiert, viele Waren und Nutztiere mussten abgegeben werden. Neisen: „Die Einschränkungen wurden hingenommen, solange Hoffnung auf den berüchtigten Endsieg bestand, danach kam es zur Demoralisierung.“ Dazu starben 508 Soldaten aus den Ortsteilen auf dem Schlachtfeld.

Langjähriger Diskussions- und Forschungsprozess

Das 31. Lörracher Heft bildet laut Stadtarchivar Andreas Lauble den „vorläufigen Abschluss eines langjährigen Diskussions- und Forschungsprozesses“. Dieser wurde 2006 mit der Debatte über das Porträt des NS-Bürgermeisters Reinhard Boos im Rathaus angestoßen. Daraufhin hatte Robert Neisen den Auftrag von der Stadtverwaltung erhalten, die NS-Zeit in Lörrach umfassend aufzuarbeiten. Seither hat er tausende Akten im Stadtarchiv gesichtet. Stadtarchivar Andreas Lauble lobte die „konstruktive Zusammenarbeit“, Neisen betonte „die große Hilfsbereitschaft“ im Archiv.

„Wir sind froh, dass die Aufarbeitung einen Schritt weiter ist“, ergänzte Lars Frick, Fachbereichsleiter Kultur. Gleichwohl sei sie nicht vorbei: „Es gibt immer wieder neue Fakten und Funde.“ Wie zuletzt die Debatte über die Namensänderung des Carl-Keller-Wegs, über die noch in diesem Jahr im Gemeinderat beraten werden soll. Zudem wird laut Frick nach der Sommerpause das Konzept zur künftigen Erinnerungskultur präsentiert.

Sonderausstellung als Kurzfassung

Parallel ist der NS-Geschichte in den Ortsteilen auch eine kleine Sonderausstellung im ersten Obergeschoss des Dreiländermuseums gewidmet. Diese baut laut Neisen auf dem Buch auf, setzt aber eigene Schwerpunkte und ist aus Platzgründen eine „sehr konzentrierte Form“ des schriftlichen Werkes.

Neben Dokumenten und Exponaten sind dort zwei bislang ungezeigte Filme zu sehen, die Ausschnitte des Kreisparteitages der NSDAP im Jahr 1939 in Lörrach dokumentieren. Die privaten Aufnahmen wurden laut Lauble erst dieses Jahr – zufälligerweise fast zeitgleich – von Priatpersonen an das Stadtarchiv beziehungsweise an das Museum übergeben. Die Stummfilme beinhalten unter anderem einen Aufmarsch der Hitlerjugend für Gauleiter Robert Wagner sowie eine Kundgebung, bei der Adolf Glattacker unter den Zuschauern zu sehen ist. Werke des Heimatmalers sind auch Teil der angrenzenden Schau „Kunst und Nationalsozialismus“ im gleichen Stockwerk (wir berichteten).

„Es gibt einige interessante Verknüpfungen zwischen den Ausstellungen“, erklärte Museumsleiter Markus Moehring. Interessierten empfiehlt er noch eine dritte aktuelle Schau zum Thema „Drittes Reich“: Das Historische Museum Basel befasst sich in der Barfüsserkirche bis Ende März unter dem Titel „Grenzfälle“ mit der Geschichte der Stadt Basel während der NS-Herrschaft. Die beiden Ausstellungen im Dreiländermuseum sind bis zum 30. Mai 2021 zu sehen.

Rahmenprogramm & Vorträge
Robert Neisen wird in drei Vorträgen noch genauer auf die NS-Geschichte in den Ortsteilen eingehen. Termine: 14. Oktober in Brombach (Alte Sporthalle), 28. Oktober in Haagen (Alte Halle) und 2. November in Hauingen (Feuerwehrgerätehaus). Beginn jeweils 19 Uhr.

Weitere Veranstaltungen im Dreiländermuseum, 21. Oktober, 18 Uhr: Podiumsdiskussion zum 80. Jahrestag der Deportation der Lörracher Juden 1940

3. Dezember, 18 Uhr: Vortrag zur Zwangssterilisation in Lörrach zwischen 1934 und 1945 mit Dr. Johann Faltum

14. Januar, 18 Uhr: Film und Vortrag zum NS-Kreisparteitag in Lörrach 1939 mit Hubert Bernnat

21. März, 18 Uhr: Vortrag„Sag mir wo die Männer sind“. Stadtarchivar Andreas Lauble begibt sich auf eine persönliche Spurensuche, ausgehend von Feldpostbriefen seiner Familie.  

Weitere Termine, Anmeldung und Informationen: www.dreilaendermuseum.eu

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