Lörrach Gewalt gegen Frauen geht uns alle an

Guido Neidinger

Frauenhaus legt Bericht für 2018 vor. Jubiläumsjahr mit vielen Aktivitäten. Nachfrage 30 Prozent höher.

Lörrach - „Das Jahr 2018 war ein besonderes Jahr für uns“, schreibt das Team des Lörracher Frauenhauses in ihrem gestern vorgelegten Jahresbericht. Es war das Jahr, in dem die Einrichtung ihr 33-jähriges Bestehen mit einer Reihe von Aktionen und Veranstaltungen gefeiert hat.

Das Jubiläumsjahr war geprägt von einer gelungenen Aktionswoche, in der das Thema „Gewalt gegen Frauen“ mit zwei Ausstellungen, einer Lesung, einer Theateraufführung und einem Abschlusskonzert facettenreich dargestellt wurde. Hinzu kam die landkreisweite Brötchen-Aktion „Gewalt kommt mir nicht in die Tüte“, für die 14 Bäckereien gewonnen werden konnten.

In einem Artikel des Jahresberichts schreibt das Frauenhausteam: „Gewalt gegen Frauen ist und bleibt keine Privatsache, sie geht uns alle an.“ Wie wichtig es ist, weiterhin für dieses drängende gesellschaftliche Problem zu sensibilisieren, zeigt die Statistik, die dem Jahresbericht angehängt ist.

Auslastung des Frauenhauses

Mit 99,1 Prozent war die Auslastung nach wie vor sehr hoch. 139 Frauen und 160 Kinder konnten im vergangenen Jahr wegen Platzmangels nicht aufgenommen werden. Eine Abnahme der Nachfrage nach Plätzen ist über die letzten 15 Jahre nicht feststellbar. Im Gegenteil: Die Zahl der Anfragen nach einem Platz im Frauenhaus hat sich von 2017 auf 2018 um 30 Prozent erhöht. Wenn Aufnahmen wegen Platzmangels nicht möglich waren, wurden die Frauen an andere Frauenhäuser vermittelt, was allerdings immer schwieriger wird, da auch diese Häuser häufig voll belegt sind. Akute Notaufnahmen für Frauen aus dem Landkreis sind allerdings immer möglich.

Dauer eines Frauenhausaufenthalts

Insgesamt verweilten 68 Frauen und 64 Kinder im Jahr 2018 im Frauenhaus Lörrach, das damit auf 4342 Verweiltage kommt. Etwa 50 Prozent der Frauen (im Vorjahr 40 Prozent) blieben zwischen einem und sieben Tagen im Haus. Dazu heißt es: „Das ist der Zeitraum, in dem der erste Schock überwunden ist und die vorgefallenen Gewalterlebnisse von den Frauen selbst verharmlost und entschuldigt werden. Zu diesem Zeitpunkt entscheiden die Frauen am meisten, wieder zum Misshandler zurückzukehren.“ Der Anteil der Frauen, die über Monate im Frauenhaus bleiben, ist im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozent auf 31 Prozent gesunken.

Alter der Frauen im Frauenhaus

Der Anteil der Frauen unter 26 Jahren ist mit 23,5 Prozent (16 Frauen) im Vergleich zum Vorjahr gleich geblieben, genauso die Altersspanne von 26 bis 35 Jahre mit 41,2 Prozent (28 Frauen). Insgesamt bleibt es bei dem Trend, dass die meisten Frauen, die das Frauenhaus als Zufluchtsort wählten, dies vor ihrem 45. Geburtstag tun. Acht Frauen waren älter als 45 Jahre.

Der Weg der Frauen ins Frauenhaus

Der Großteil der Frauen, die das Lörracher Frauenhaus 2018 aufgesucht haben, wurden von anderen Institutionen wie anderen Frauenhäusern, Kliniken, Beratungsstellen oder Gemeinschaftsunterkünften vermittelt. Mit Bedauern stellt das Team die geringe Zahl von Vermittlungen durch Ärzte fest, während die Vermittlung durch die Polizei noch mal auf 18 Frauen zugenommen hat. Seit zehn Jahren wurden pro Jahr nie mehr als zwei Frauen von Ärzten vermittelt. Dazu heißt es in dem Bericht: „Gerade im ärztlichen Bereich müssten die Verletzungen, entstanden durch häusliche Gewalt, auffallen und angesprochen werden.“

Wohin nach dem Frauenhaus?

Eine eigene Wohnung zu finden, ist im Landkreis Lörrach sehr schwierig. Jede sechste Frau, im Vorjahr jede fünfte, schaffte es dennoch, eine eigene Bleibe zu finden. Mit 22 Prozent ist der Anteil der Frauen, die zum Misshandler zurückkehren, im Vergleich zum Vorjahr konstant geblieben. Wahrscheinlich aber gibt es eine nicht bekannte Dunkelziffer.

Als besonders bedauerlich empfindet es das Frauenhausteam, dass Frauen aus Verzweiflung, keine eigene Wohnung gefunden zu haben, wieder beim Misshandler eingezogen sind.

Mädchen und Jungen im Frauenhaus

25 der insgesamt 64 Kinder, die mit ihren Müttern ins Frauenhaus kamen, waren zwischen zwei und fünf Jahren alt, 17 zwischen sechs und zehn Jahren, neun älter als elf Jahre und 13 bis zu einem Jahr. Da die Kinder der unterschiedlichen Altersstufen auch sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben, stellt dies die Mitarbeiterinnen des Hauses oft vor große Herausforderungen. Mit 32 bleibt die Zahl der Frauen, die ohne Kinder ins Frauenhaus flüchten, konstant hoch. Die Zahl stieg 2018 sogar noch mal um zehn Prozent. Eine weitere große Gruppe ist die der Frauen mit nur einem Kind (17).

Wer sind die Misshandler?

Mit 78 Prozent flohen die meisten Frauen vor ihrem Lebenspartner (Ehemann, Ex-Mann, Freund) ins Frauenhaus. Mit knapp 15 Prozent stark angestiegen ist die Zahl der Frauen, die aus ihrem Elternhaus Zuflucht im Frauenhaus gesucht haben. Diese Zahl hat sich zum Vorjahr praktisch verfünffacht.

Nach der polizeilichen Kriminalstatistik des Jahres 2016 lebten 68 109 der von Mord und Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Bedrohung und Stalking erfassten Opfer mit dem Tatverdächtigen in einem gemeinsamen Haushalt.

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