Das Stimmenfestival wird 25 Jahre alt – eine gute Gelegenheit für einen Rückblick: In unserer Serie widmen wir jedem Stimmen-Jahrgang eine Seite. Die Folgen erscheinen bis zum Ende des diesjährigen Festivals in regelmäßigen Abständen. Heute schreibt Juri Junkov über seine Erlebnisse im Jahr 2014.

Von Juri Junkov

Lörrach. Mit etwas Besorgnis wartete ich auf den Juli 2014, in der Hoffnung, dass sich Elton Johns  Pläne nicht wieder ändern würden. Denn sein Auftritt in Lörrach war bereits für 2013 geplant und musste dann aufgrund seiner Erkrankung  abgesagt werden. Und was jetzt? Hurra! Er kommt – der Ritter E.J. wird nicht nur mich sondern auch mehr als 5000 seiner Bewunderer auf dem  Marktplatz glücklich machen.

Mehr als 1000 Fotos an diesem Abend

Es ist der 23. Juli. Das erste Marktplatzkonzert. „Stimmen“ ist in vollem Gange. Diese Spannung und wieder mehr als 1000 Fotos an diesem Abend. Nach dem Konzert entspannen? Davon kann ich nur träumen. Zu Hause vielleicht, nach Mitternacht, am Computer, sobald alle Bilder gesichert sind.

Ist das nicht eine echte Jagd? Die Arbeit eines Fotoreporters wird oft im Scherz mit der Tätigkeit der Paparazzi verglichen. Beide befinden sich in der Rolle des Jägers nach dem seltenen, besonderen, lebendigen Bild. Bei „Stimmen“ fühlt sich jeder Fotograf ein bisschen als Paparazzo, weil jeder den Wunsch hat, auch nach den erlaubten ersten drei Songs weiter zu fotografieren, wenn das Konzert intensiver wird. Wie sonst könnte man diese seltene, lang ersehnte Aufnahme hinbekommen, die alle vom Fotografen erwarten? Dieses Mal dürfen wir jedoch   Elton John nur aus fast 100 Metern Entfernung „jagen“. Danke. Diejenigen, die solche Entscheidungen treffen, sind sich sicher, je weiter der Fotograf vom Musiker entfernt ist, desto besser wird das Bild.

Musik mit den Augen statt den Ohren wahrnehmen

Als ich 24 Seiten eines Buches mit dem Titel „Stimmen 1994-2017“ in meinem Gedächtnis durchblättere, stelle ich fest, dass ich zu einem begrenzten Kreis von Menschen gehöre, die Musik nicht mit ihren Ohren sondern mit den Augen wahrnehmen. Und so hängt der Grad meiner Zufriedenheit bei einem Konzert nicht unbedingt vom Musikalischen, sondern von der  visuellen Wahrnehmung ab. Von der Bühnenbeleuchtung, der Dynamik und weniger von der Musik.

So war es 2014 mit der Performance des belgischen Trios The Triggerfinger. Ihr wilder, lauter Auftritt  konnte keinen Fotografen gleichgültig lassen – jede Sekunde ein neues Sujet, ein Moment   besser als der andere. Ständig wechselnde Mimik, die schreienden Posen der Musiker provozierten mich zu fotografieren, ohne für eine Sekunde zu stoppen. Dauerfeuer. Etwas Ähnliches habe ich auch beim Konzert von The Bosshoss erlebt, obwohl ich nicht behaupten würde, dass ich von ihrer Musik begeistert bin.

Immer etwas Besonderes ist allerdings der  persönliche Kontakt mit einem Künstler  abseits der Bühne. In den vergangenen Jahren meines Stimmenlebens waren es Bobby McFerrin, Laurie Anderson, Bob Geldoff, Jamie Cullum, Rufus Wainright und viele andere.  2014 war es ein Treffen mit John Grant aus Michigan. Am Tag vor dem Konzert gab er eine Pressekonferenz. Dabei hat er nicht nur über die Musik, sondern auch ganz offen über sein Privatleben geplaudert. Danach hat er  einem Fotoshooting zugestimmt und ertrug es sehr geduldig.

Als Markus Muffler mich als offiziellen Fotografen des Festivals vorstellte, wechselte Grant sofort auf Russisch, und wir konnten eine Zeit lang reden, so dass niemand um uns herum uns verstehen konnte. Das war lustig. Es stellte sich heraus, dass seine Eltern, wie auch ich, in der Sowjetunion gelebt haben und später in die Vereinigten Staaten ausgewandert sind. Kommunziert wurde  innerhalb der Familie aber immer auf Russisch.

Totale Freiheit für Fotografen

Das Gefühl der totalen Freiheit bietet uns Fotografen die Konzertreihe „Stimmen on Tour“. Hier werden Musiker Zuschauer, Fotografen und technisches Personal zu einer Einheit, ein Organismus der so lange lebt, wie das Konzert läuft. Aber auch danach stirbt dieser Organismus nicht, sondern schläft ein – bis zum nächsten Auftritt an einem anderem Ort. Die Idee, die von Markus Muffler ins Leben gerufen wurde, hat sich von drei lokalen Konzerten im Jahr 2014 im Binzener Rathaus, im Werkraum Schöpflin und im Goldenen Löwen in Schopfheim zu sechs im Jahr 2018 entwickelte, mit weiteren Spielorten in Frankreich und der Schweiz.

Wie Helmut Bürgel mal gesagt hat – bei Stimmen gibt es immer viel Neues zu entdecken. Dabei hat er bestimmt die Musik gemeint. Ich als Fotograf gehe bei Stimmen auch jedes Mal auf eine Entdeckungsreise, dabei meine ich nicht nur die Musik, sondern auch die Stimmung, die ich im Bild zu verewigen versuche. Und sobald das Festival vorbei ist, hört man keine Musik mehr. Was bleibt? Nur Bilder – auf dem Papier, auf dem Bildschirm, im Kopf.

Der Autor
Juri Junkov begleitet das Stimmenfestival als Fotograf seit 1995, seit 2006 als offizieller Festivalfotograf. Geboren in der UdSSR, aufgewachsen in Tashkent, studierte er  Fotografie in Gorki (1976-78) und Journalistik in Tashkent  (Usbekistan, 1983-89). Von 1978 bis 91 war Junkov Fotokorrespondent bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften in Tashkent. 

1991 kam er nach Lörrach, seit 2000 wohnt er in Wittlingen. Seit 1995 ist Junkov als selbstständiger Fotograf für Zeitungen und Zeitschriften sowie Firmen in Deutschland und der Schweiz, für die Stadt Lörrach und weitere Auftraggeber tätig. Seinen Bilder hat er schon in  über 20 Fotoausstellungen präsentiert.