Lörrach Infernalisches Getöse

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Das Stimmen-Plakat des Jahres 2000. Foto: zVg Foto: mek

25 Jahre Stimmenfestival - Folge 7: Die ganz großen Namen fehlten im Jahr 2000.

Das Stimmenfestival wird 25 Jahre alt – eine gute Gelegenheit für einen Rückblick: In unserer Serie widmen wir jedem Stimmen-Jahrgang eine Seite. Die Folgen erscheinen bis zum Ende des diesjährigen Festivals in regelmäßigen Abständen. Heute erinnert Veronika Zettler an infernalisches Getöse im Milleniumsjahr 2000.

Von Veronika Zettler

Lörrach. Patti Smith liest aus Allen Ginsbergs Gedicht „Howl“. Das Foto, das der verstorbene Lörracher Bildjournalist Klaus D. Ebner im Jahr 1999 beim Stimmen-Festival machte, erlangte einige Berühmtheit in der Stadt. Fast jeder kannte die Aufnahme. Im Jahr 2000 hing es an exponierter Stelle in Ebners Foto-Ausstellung im Burghof-Foyer über das Stimmen-Festival. Es zierte auch andere Wände, prangte unter anderem im Lörracher „Roten Hahn“ bis zu dessen Schließung Ende 2009.

Das 2000er-Festival begann somit mit einem fotografischen Auftakt, bei dem der „Stimmungs-Dokumentarist der Stimmenfestivals“ die Höhepunkte aus sechs Festivaljahren präsentierte. Schon damals, im Jahr sieben des Stimmen-Festivals, glich diese Fotoschau einem kleinen „Who is Who“ des Rock, Pop und der Weltmusik.

Es war ebenfalls Patti Smith, Punkgöttin der 70er Jahre, die 2013 im „New Yorker“ einen Nachruf auf Lou Reed veröffentlichte. Wiewohl sie ihn und seine Musik verehrte, habe sie ihn in den Anfangstagen ihrer Karriere oft einschüchternd und launisch erlebt.

Wie auch immer: Ein Jahr, nachdem Patti Smith Lörrach beehrte, kam Lou Reed selbst in die Lerchenstadt. Unter den vielen Namen des Stimmen-Plakats aus dem Jahr 2000 stach vor allem seiner ins Auge. Lou Reed, das löste Assoziationsketten aus: Velvet Underground, Nico, John Cale, Andy Warhol und natürlich New York. Was machte es da, dass sein Lörracher Auftritt ganz und gar bescheiden ausfiel? Er habe Stimme und Instrumente derart dröhnen lassen, „als wollte er den Dauerregen über Lörrach mit infernalischem Getöse verjagen“, berichtete unsere Zeitung. Geklappt hat das leider nicht.

Kritik am Programm: die ganz großen Namen fehlen

In den 70er Jahren startete Lou Reed seine Solokarriere. Zu dieser Zeit demonstrierten große Teile der Musikwelt ihre zukunftsorientierte Haltung, indem sie an alles nur mögliche den Zusatz „2000“ anhängten, ob an Disconamen, Song- oder LP-Titel. Lörrach wartete bis zum Millennium, heftete sich dann aber das Siegel „2000“ umso stolzer an die Brust: Unter dem Namen „Stimmen 2000“ firmierte das Festival mit einem Programm, das diesmal vom Rock über den Schwerpunkt Weltmusik bis hin zur Operette ein weites Feld absteckte. „Ein besonderes Selbstbewusstsein und ungetrübte Lebensfreude strahlt die Stadt in diesen Tagen aus“, notierte unser Zeitungsbericht zur Stimmen-Eröffnung.

Die ganz großen Namen fehlten im 24 Konzerte umfassenden Programm, dafür dürfte es für Weltmusikfans der fruchtbarste Jahrgang überhaupt gewesen sein. Nichtsdestotrotz stand die Programmgestaltung in der Kritik: „Bei Stimmen 2000 war kein einziges Zugpferd für Leute zwischen 15 und 30 am Start“, wurde bemängelt. Überdies hatte Khaled seinen Auftritt kurzfristig abgesagt. Indes bekräftigte Helmut Bürgel in einem Interview seine Position: „Es gibt noch andere Marketinggesetze als das der großen Namen“. Und: „Das, was an künstlerischer Qualität geboten wurde, war außergewöhnlich.“

Zu allem Überfluss zeigte sich der Juni verregnet und kalt: Das letzte Rosenfelspark-Konzert hatte deshalb in den Burghof verlegt und das „Classic goes Rock“-Konzert ganz abgesagt werden müssen, sodass in den Medien der Begriff „Schwimmen-Festival“ auftauchte.

Regen und weniger Zuschauer: Verlust in  sechsstelliger Höhe

Zum Schluss präsentierte die Festivalleitung ernüchternde Zahlen: Statt der erwarteten 21 000 Tickets wurden nur 14 000 verkauft. Die Veranstalter, Burghof GmbH, Koko Entertainment und Showcircus, gingen von einem Verlust in sechsstelliger Höhe aus.

Dabei war das Festival mit Balkanklängen erstklassig gestartet. Goran Bregovic eröffnete den Konzerteigen am 30. Juni im ausverkauften Burghof und beendete ihn am 31. Juli beim letzten Marktplatzkonzert. Die Mutter Serbin, der Vater Kroate, die Frau muslimische Bosnierin – im Jahr 2000, in dem die Wunden der Jugoslawienkriege noch bluteten, war auch das eine Message. „Erhabene Schönheit und Intensität“ fand unser Rezensent in Bregovics Konzert und er schloss: „Seine Musik hält in fernen Sphären eine Welt zusammen, die auf Erden in Trümmern liegt“.

Der Traum vom grenzüberschreitenden Festival

Zwischen etlichen weltmusikalischen Gigs gab es einige klassische Glanzlichter: Das Ensemble Cantus Cölln etwa interpretierte im Burghof Bachs frühe Kantaten und Motetten „so unverbraucht, als ob sie gerade erst komponiert worden wären“. Mittlerweile hatte das Festival seine Fühler auch über die Grenzen ausgestreckt. Im Kulturhaus Muttenz gastierten zum Beispiel Benat Achiary und Pedro Soler „mit einem wilden Tanz von Gitarre und Stimme“.

Es stand bereits fest, dass Stimmen 2001 erstmals in Saint-Louis aufschlagen würde und man plante zudem, in naher Zukunft Augusta Raurica zu bespielen – ein Idee, die glänzend beim Publikum ankommen sollte. Helmut Bürgel am 15. Juni 2000: „Mein Traum ist, dass es ein richtiges regionales, grenzüberschreitendes Festival wird mit Schwerpunkt Lörrach.“
Nicht zuletzt: Chico César und Daniela Mercury traten bei den Marktplatz-Konzerten vor 1500 ausgelassen tanzenden und feiernden Besuchern auf, weitere 1500 kamen zum Konzert von Joan Armatrading und nochmals 2000 zum Schlusskonzert mit Goran Bregovic.

Unter den Rosenfelskonzerten stach jenes von Rickie Lee Jones besonders hervor: Es soll sagenhaft schlecht gewesen sein. „Wann vorher bei den Rosenfels-Konzerten des Stimmenfestivals hat das Lörracher Publikum keine Zugabe herausgeklatscht, herausklatschen wollen?“, fragte der Konzertkritiker. Diesen Punkt durfte Rickie Lee Jones für sich verbuchen.

Die Autorin
Veronika Zettler ist freie Journalistin und berichtet für unsere Zeitung seit vielen Jahren über das Stimmenfestival. Für die Jubiläumsserie hat sie alte Zeitungsbände gewälzt, um die Höhepunkte der jeweiligen Jahrgänge herauszufiltern.

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