Lörrach Mehr als eine Waffe

Bernhard Konrad

Interview: Stefan Mäder über die Entwicklung und den symbolischen Gehalt von Schwertern.

Lörrach - Der promovierte Archäologe Stefan Mäder inventarisiert am Lörracher Dreiländermuseum Eisenfunde zur aktuellen Ausstellung „Burg Rötteln“ und historische Waffen. Neben seinen fachspezifischen Tätigkeiten, unter anderem für das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, arbeitete er in In- und Ausland  als Experte in Museen, Galerien und Auktionshäusern. Im Gespräch mit Bernhard Konrad sprach Stefan Mäder über die Kulturgeschichte des Schwertes.

Herr Mäder, wann haben Sie Ihr Interesse für Schwerter entwickelt?
Meine Faszination für das japanische Schwert wurde vor 27 Jahren geweckt: Damals habe ich mit Kendo, dem japanischen Fechten angefangen. Einige Jahre später habe ich mit dem „Iaido“ begonnen, dem Schwertziehen und –schneiden. Aber schon als Kind war ich, wie viele andere Jungs, vom Rittertum begeistert.

Wann wurden Schwerter erstmals entwickelt?  Vollzog sich dieser Prozess in unterschiedlichen Kulturkreisen  nahezu gleichzeitig?
Die Ausbreitung des Schwertes hängt mit der Entwicklung und Verbreitung der Metallurgie zusammen. Die ersten längeren Bronzeschwerter gab es in Syrien bereits etwa 2000 vor Christus. In Mitteleuropa kamen Eisenschwerter im 8. bis 7. Jahrhundert vor Christus auf. Nach Japan kam die Eisenmetallurgie dagegen erst etwa im dritten Jahrhundert nach Christus. Die europäische Tradition der Eisenverarbeitung begann damit fast 1000 Jahre früher als in Japan.

Sehen das die Japaner genau so?
Sie hören das nicht so gern. Ich sitze mit dieser Ansicht tatsächlich ein wenig zwischen den Stühlen.

Weshalb?
Weil vor allem viele japanische Veröffentlichungen meiner Ansicht nach eher der Vorstellung geschuldet sind, wie man es gerne hätte. In unseren Breiten wiederum ist der traditionell hohe Stellenwert des Schwertes weitgehend in Vergessenheit geraten. Meine Erkenntnisse sind als kleiner Beitrag zu einem Austausch zwischen Ost und West gedacht, der offensichtlich gemeinsames kulturelles Erbe zumindest ebenso hoch veranschlagt wie gegenseitige Wirtschaftsinteressen.

Warum wurden Schwerter überhaupt entwickelt? Was hatten sie den Lanzen und Äxten als Waffe voraus?
Unter rein gebrauchstechnischen Gesichtspunkten sind etwa Lanzen und Äxte dem Schwert überlegen, weil sie effektiver sind. Beim Schwert haben von Beginn an symbolische und religiöse Elemente eine Rolle gespielt.

Sie meinen, das Schwert wurde nicht ausschließlich als Waffe gefertigt?
Es war sicher ein Nimbus dabei, der deutlich über das Tötungsinstrument hinaus geht. Im Museum für Ur- und Frühgeschichte in Freiburg steht heute noch, das Schwert sei die erste Waffe gewesen, die ausschließlich zum Töten von Menschen geschaffen wurde. Das ist nach meiner Überzeugung eine moderne, aber nicht zutreffende Sichtweise. Unter diesen Gesichtspunkten hätte man nicht von der Axt und der Lanze zum Schwert greifen müssen. Auch mit der Himmelsscheibe von Nebra, ein eindeutig kultischer Gegenstand, sind unter anderem zwei verzierte Schwerter gefunden worden.

Was ist die symbolische Bedeutung des Schwerts – über den Gebrauchsgegenstand als Waffe hinaus?
Wenn das Leben davon abhängt, entwickelt man – wohl bei jeder Waffe – fast schon eine Beziehung zu ihr. Sätze wie „Das Gewehr ist die Braut des Soldaten“ klingen für uns hier und heute befremdlich, sie sind aber in der Situation des Soldaten eher nachvollziehbar. Im europäischen Mittelalter wurde nicht von Ungefähr die Kreuzform des Schwerts entwickelt. Gebrauchstechnisch ist sie nicht notwendig, sonst wäre sie auch in anderen Kulturen ähnlich ausgeprägt. In Japan wird gesagt: Das Schwert ist die Seele des Kriegers, er versucht es so makellos zu halten wie seinen Charakter. Auch im europäischen Rittertum durfte ein Ritter sein Schwert nicht entehren. Im Frühmittelalter wurden Schwerter sogar als belebte Wesen angesehen; ganz zu schweigen vom Symbolwert des Schwertes in der Bibel, als Herrschafts- und als Rechtssymbol.

Auch wenn die Entwicklung des Schwerts nicht in allen Kulturen zeitgleich von Statten ging: War denn die symbolische und kulturelle Relevanz vergleichbar?
Es gibt spannende Hinweise darauf, dass mit Schwertern in verschiedenen Kulturen ähnliche Konzepte verbunden worden sind – beginnend von der Bronzezeit bis zur Neuzeit. So wurden besondere Schwerter gerade in Zeiten, als ihre symbolische Bedeutung groß war, von Süd-Ostasien bis Nordeuropa immer wieder mit Drachen und Schlangen verziert. Meine These ist, dass diese Darstellungen nicht eine Folge kultureller Kontakte war, sondern quasi Bestandteil eines mythologischen Programms, das sich zusammen mit der Metallurgie ausgebreitet hat. Somit hätte quasi die Metallurgie vorgegeben, wie sich der Stellenwert des Schwerts in den verschiedenen Kulturen entwickelt.

Sie haben etliche Jahre in Japan gelebt. Durch die Filme von Quentin Tarantino hat das Samurai-Schwert in der öffentlichen Wahrnehmung eine Renaissance erlebt. Sind diese Schwerter tatsächlich so überragend?
Gute europäische Schwerter waren gewiss nicht „schlechter“ als die japanischen. Eine Ursache in der allgemeinen Annahme, die japanischen Schwerter seien besser und kunstvoller, als die europäischen liegt auch im Umstand, dass das Verständnis und die Tradition alter Techniken und der Fechtkunst in Japan – im Gegensatz zu Europa – seit dem Mittelalter durchgängig ungebrochen ist. Schmiede, die diese Technik perfekt beherrschen, gelten dort als lebendes Kulturgut. Immerhin waren unsere Schwerter zwangsläufig wie jedes japanische Schwert genauso aus tausenden Lagen Raffinierstahl  gefertigt.

Was hat es mit dem Richtschwert von Rötteln auf sich?
Das ist eine ganz eigene Kategorie – außerhalb der üblichen Waffen. Es ist übrigens von der Verarbeitungsqualität sicher so gut wie ein japanisches Schwert. Würde man es japanisch anpolieren, würde man einen ebenso feinen, nur scheinbar homogenen Stahl vorfinden, der aussieht, fast wie gewachsenes, gemasertes Holz.

Wie lange dauert es heute, um ein gutes Schwert herzustellen?
Heute gibt es so gute Stähle, dass man Schwerter gar nicht mehr schmieden müsste, sondern sie einfach ausfräsen kann.

Wie unromantisch…
Traditionell geschmiedet dauert es etwa vier bis fünf Tage, dann kommt noch mal etwa ebenso viel Zeit hinzu, bis es wirklich fertig ist.

Schwerter faszinieren offenbar bis heute: Vom Licht-Schwert der Star Wars-Filme und den Samurai-Schwertern bei Tarantino über das Sport-Fechten bis hin zum Kinderspielzeug aus Holz oder Plastik. Warum ist das so?
Ich denke, da gibt es so etwas wie eine genetische und gleichzeitig romantische Komponente: die unter rein materiellen Gesichtspunkten naiv erscheinende Sehnsucht nach einer Welt, in der das Recht des Stärkeren durch eine Art Ehrenkodex ausgehebelt wird.
Der in Japan als einer von mehreren Lebenswegen gedachte Kampf mit dem Schwert (Kendô) – bei dem es wohlgemerkt nicht (mehr) darum geht, jemanden zu verletzen oder gar zu töten – ist auch eine Lebens- und Charakterschule. Ich kenne viele junge Frauen und Männer, die Interesse am Erlernen des Schwertkampfs haben, vor allem in der Mittelalterszene.

Weil es sich letztlich um eine intensive Begegnung zweier Menschen mit vergleichbaren Voraussetzungen handelt?
Ein guter, fairer Fechtgang ist wie ein interessantes Gespräch ohne Worte. Beide halten sich an Regeln, aber man darf nicht direkt für den anderen durchschaubar sein. Er erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit für sein Gegenüber, gleichzeitig ist viel Selbstdisziplin unabdingbar. Dabei ist es das Ziel, schon die Andeutung einer Unaufmerksamkeit zu erkennen und sportlich auszunutzen.
Dieser Prozess kann sowohl den Sieger, als auch den Verlierer weiterbringen. Interessanterweise hören diejenigen, denen es beim Kendo nur ums Gewinnen geht, meist schon bald wieder auf. Fechten ist mehr als das. Es geht dabei auch um die Schulung von Intuition. Ich habe in Japan gegen über 80-jährige Männer gefochten, die fast zwei Köpfe kleiner waren als ich: Sie haben mich im Kampf getroffen, weil sie erahnten, was von mir kommt, bevor ich es selbst richtig wusste.

Heute wird ja mitunter das Ausleben jeder Form von Aggression rasch kritisch gesehen. Wie stehen Sie dazu?
Ich durfte in Japan erfahren, dass das Fechten auch ein großes Potenzial für pädagogische Zwecke mit sich bringt. Beim Fechten kann etwa Kindern und Jugendlichen sowohl der Respekt vor dem anderen vermittelt werden, als auch, dass Schwächere nicht niedergemacht werden dürfen. Die Bereitschaft und Fähigkeit zum Kampf ist bis zu einem gewissen Grad in jedem Menschen vorhanden, man sollte diese Eigenschaft deshalb auch nicht grundsätzlich ablehnen. Ernsthaftes Fechten auf einem im besten Sinne „ritterlichen“ Fundament ist eine gute Möglichkeit, Aggression in positive, ja kreative Bahnen zu lenken.

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