Auch wenn die Entwicklung des Schwerts nicht in allen Kulturen zeitgleich von Statten ging: War denn die symbolische und kulturelle Relevanz vergleichbar?
Es gibt spannende Hinweise darauf, dass mit Schwertern in verschiedenen Kulturen ähnliche Konzepte verbunden worden sind – beginnend von der Bronzezeit bis zur Neuzeit. So wurden besondere Schwerter gerade in Zeiten, als ihre symbolische Bedeutung groß war, von Süd-Ostasien bis Nordeuropa immer wieder mit Drachen und Schlangen verziert. Meine These ist, dass diese Darstellungen nicht eine Folge kultureller Kontakte war, sondern quasi Bestandteil eines mythologischen Programms, das sich zusammen mit der Metallurgie ausgebreitet hat. Somit hätte quasi die Metallurgie vorgegeben, wie sich der Stellenwert des Schwerts in den verschiedenen Kulturen entwickelt.
Sie haben etliche Jahre in Japan gelebt. Durch die Filme von Quentin Tarantino hat das Samurai-Schwert in der öffentlichen Wahrnehmung eine Renaissance erlebt. Sind diese Schwerter tatsächlich so überragend?
Gute europäische Schwerter waren gewiss nicht „schlechter“ als die japanischen. Eine Ursache in der allgemeinen Annahme, die japanischen Schwerter seien besser und kunstvoller, als die europäischen liegt auch im Umstand, dass das Verständnis und die Tradition alter Techniken und der Fechtkunst in Japan – im Gegensatz zu Europa – seit dem Mittelalter durchgängig ungebrochen ist. Schmiede, die diese Technik perfekt beherrschen, gelten dort als lebendes Kulturgut. Immerhin waren unsere Schwerter zwangsläufig wie jedes japanische Schwert genauso aus tausenden Lagen Raffinierstahl gefertigt.
Was hat es mit dem Richtschwert von Rötteln auf sich?
Das ist eine ganz eigene Kategorie – außerhalb der üblichen Waffen. Es ist übrigens von der Verarbeitungsqualität sicher so gut wie ein japanisches Schwert. Würde man es japanisch anpolieren, würde man einen ebenso feinen, nur scheinbar homogenen Stahl vorfinden, der aussieht, fast wie gewachsenes, gemasertes Holz.
Wie lange dauert es heute, um ein gutes Schwert herzustellen?
Heute gibt es so gute Stähle, dass man Schwerter gar nicht mehr schmieden müsste, sondern sie einfach ausfräsen kann.
Wie unromantisch…
Traditionell geschmiedet dauert es etwa vier bis fünf Tage, dann kommt noch mal etwa ebenso viel Zeit hinzu, bis es wirklich fertig ist.
Schwerter faszinieren offenbar bis heute: Vom Licht-Schwert der Star Wars-Filme und den Samurai-Schwertern bei Tarantino über das Sport-Fechten bis hin zum Kinderspielzeug aus Holz oder Plastik. Warum ist das so?
Ich denke, da gibt es so etwas wie eine genetische und gleichzeitig romantische Komponente: die unter rein materiellen Gesichtspunkten naiv erscheinende Sehnsucht nach einer Welt, in der das Recht des Stärkeren durch eine Art Ehrenkodex ausgehebelt wird.
Der in Japan als einer von mehreren Lebenswegen gedachte Kampf mit dem Schwert (Kendô) – bei dem es wohlgemerkt nicht (mehr) darum geht, jemanden zu verletzen oder gar zu töten – ist auch eine Lebens- und Charakterschule. Ich kenne viele junge Frauen und Männer, die Interesse am Erlernen des Schwertkampfs haben, vor allem in der Mittelalterszene.
Weil es sich letztlich um eine intensive Begegnung zweier Menschen mit vergleichbaren Voraussetzungen handelt?
Ein guter, fairer Fechtgang ist wie ein interessantes Gespräch ohne Worte. Beide halten sich an Regeln, aber man darf nicht direkt für den anderen durchschaubar sein. Er erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit für sein Gegenüber, gleichzeitig ist viel Selbstdisziplin unabdingbar. Dabei ist es das Ziel, schon die Andeutung einer Unaufmerksamkeit zu erkennen und sportlich auszunutzen.
Dieser Prozess kann sowohl den Sieger, als auch den Verlierer weiterbringen. Interessanterweise hören diejenigen, denen es beim Kendo nur ums Gewinnen geht, meist schon bald wieder auf. Fechten ist mehr als das. Es geht dabei auch um die Schulung von Intuition. Ich habe in Japan gegen über 80-jährige Männer gefochten, die fast zwei Köpfe kleiner waren als ich: Sie haben mich im Kampf getroffen, weil sie erahnten, was von mir kommt, bevor ich es selbst richtig wusste.
Heute wird ja mitunter das Ausleben jeder Form von Aggression rasch kritisch gesehen. Wie stehen Sie dazu?
Ich durfte in Japan erfahren, dass das Fechten auch ein großes Potenzial für pädagogische Zwecke mit sich bringt. Beim Fechten kann etwa Kindern und Jugendlichen sowohl der Respekt vor dem anderen vermittelt werden, als auch, dass Schwächere nicht niedergemacht werden dürfen. Die Bereitschaft und Fähigkeit zum Kampf ist bis zu einem gewissen Grad in jedem Menschen vorhanden, man sollte diese Eigenschaft deshalb auch nicht grundsätzlich ablehnen. Ernsthaftes Fechten auf einem im besten Sinne „ritterlichen“ Fundament ist eine gute Möglichkeit, Aggression in positive, ja kreative Bahnen zu lenken.