Lörrach Mosaik jüdischen Geisteslebens

Walter Bronner
Als klangsinnliche und komödiantische Vermittler jüdischen Kulturschaffens überzeugten (v. l.) Gregor Hänssler, Michael Herrmann, Heinke Hoffmann, Jacqueline Forster und Hilke Hänssler beim Musik- und Literaturabend. Foto: Walter Bronner

Musik und Literatur: Abend der Israelitischen Kultus- und evangelischen Kirchengemeinde.

Lörrach/Weil am Rhein - Einen Beleg für den großen jüdischen Anteil an der abendländischen Kultur lieferte ein Konzert- und Literaturabend im evangelischen Gemeindehaus im Bläsiring in Weil am Rhein. Wiederholt wird die Veranstaltung heute, Donnerstag, 17 Uhr im Davidssaal der Israelischen Kultusgemeinde Lörrach.

Die Kirchengemeinde Weil und die Israelitische Kultusgemeinde, die ihr 350-jähriges Bestehen und zehn Jahre neue Synagoge feiert, laden gemeinsam zu den beiden Anlässen ein.

Die musikalische Bandbreite im Gemeindehaus reichte von Gipfelwerken der Hochromantik wie Felix Mendelssohn-Bartholdys Engelsgesang „Hebe deine Augen auf“ aus dem „Elias“-Oratorium und dem Terzett „Waldesruhe“ seiner Schwester Fanny bis zu Friedrich Holländers frechem Revue-Song „Kleptomanin“ und den Musical-Hits „I feel pretty“ und „Somewhere“ aus Leonard Bernsteins „West Side Story“.

Literarisch wurde der Bogen von Heinrich Heines „Die Engel“ bis zu Christians Morgensterns „Tapetenblume“, einem Text an Joseph Goebbels – 1936 ließ Reichsdramaturg Rainer Schlösser den Propaganda-Minister wissen, es sei nicht möglich „den jüdischen Bestand an der Operette“ vollends auszumerzen – und Walter Mehrings Apell „Werft eure Herzen über alle Grenzen“ gespannt.

Letztere Forderung stand auch leitmotivisch über dem Abend, den die Sängerinnen Jacqueline Forster, Hilke Hänssler (beide Sopran) und Heinke Hoffmann (Alt, Klarinette) sowie Michael Herrmann (Klavier) und Gregor Hänssler (Violine) gestalteten. Was sie in Wort und Ton vorzutragen hatten, geriet zum vielfarbigen Mosaik jüdischen Geisteslebens, jiddischer Lebenslust im Umfeld von Armut und Bedrängnis und dem mitunter frivolem Witz, der unter anderem in Kurt Tucholskys „Die Frau spricht“ und „Der andere Mann“ oder in Ralph Benatzkys „Sigismund“-Lied oder dem anzüglichen „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben“ von Oskar Nathan Strauss leuchtend aufblitzte.

Dazu entfalteten die vorzüglich bei Stimme befindlichen Sängerinnen eine gehörige Portion komödiantischen Esprits, der sich zuweilen mit beachtlichem Körpereinsatz unter anderem im ausgelassenen Song „Bei mir bistu schejn“ (Bei mir bist du schön) aus dem jiddischen Musical „Men ken lebn nor men lost nisht“ von Sholom Secunda und Jacob Jacobs förmlich austobte.

Im Kontrast dazu führten besinnliche und fatalistische Texte und Gesänge wie Claire Golls „Und wirst die mir verzeihen Kind“ und Ilse Webers in Theresienstadt entstandenes Lied „Wenn der Regen rinnt“ oder der ergreifende Film-Soundtrack zu „Schindlers Liste“ zu Momenten betroffener Nachdenklichkeit. Sie fanden sich auch in den eigentlich lebenslustigen Texten und Melodien der Stedtl-Kultur, etwa im „Lidl vun guldenen Land“ (Mordekhay Gebirtig), im Schlager „Irgendwo auf der Welt“ (Werner Richard Heymann/Robert Gilbert) oder im Musical-Song „Blue Moon“ (Richard Rodgers/Lorenz Hart).

Bewirkt wurden diese Momente nachhaltig auch von Pfarrer Michael Hoffmans leidenschaftlichem Plädoyer wider den neu aufkeimenden Antisemitismus, einschließlich seiner schlüssigen Nachweise, dass abendländische Kultur nicht etwa von der jüdischen durchsetzt ist, sondern auf ihr basiert. Desgleichen die christliche Religion, deren Bibel zu drei Vierteln aus Texten des Alten Testaments, also den jüdischen Glaubensgrundlagen besteht.

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