Lörrach Nicht jeder kann abstinent werden

Die Oberbadische
Frank Meißner (l.) und Robert Bischoff vom Arbeitskreis Rauschmittel Foto: Susann Jekle Foto: Die Oberbadische

Substitution: Vor 30 Jahren wurde Methadon erstmals in Deutschland verabreicht / Große Veränderung

Heute vor 30 Jahren, am 1. März 1988, wurde der erste Modellversuch mit dem Drogenersatzstoff Methadon in Deutschland gestartet. 100 Drogenabhängige in Nordrhein-Westfalen erhielten den Heroin-Ersatzstoff. Susann Jekle sprach mit Frank Meißner und Robert Bischoff vom Arbeitskreis Rauschmittel über das Thema Methadon.

Frage: Woher stammt Methadon und wofür wurde es ursprünglich entwickelt?

MEISSNER: Es wurde in den 1930er Jahren in Deutschland von der Firma Hoechst als synthetisches Opiat entwickelt. Zu der Zeit wurde der Zweite Weltkrieg geplant und das Methadon wurde als Schmerzmittel entwickelt, sodass im Kriegsfall verwundete Soldaten damit versorgt werden konnten. Deutschland wollte unabhängig vom Opiumimport sein.

Frage: Wofür wird Methadon heute eingesetzt?

BISCHOFF: Es wird als Ersatzstoff in der Substitutionstherapie eingesetzt, und es ist auch ein potentes Schmerzmittel, das zum Beispiel in der Schmerztherapie eingesetzt werden kann.

Frage: Wie funktioniert es als Substitutionsmittel bei Drogenabhängigen?

BISCHOFF: Die chemische Grundlage ist die sogenannte Kreuztoleranz der Opiate, das heißt, man kann ein Opiat beliebig durch ein anderes Opiat ersetzen: Morphin durch Methadon, Methadon durch Heroin. Als Beispiel: Wenn jemand alkoholabhängig ist, ist es egal, ob er Bier, Wein oder Schnaps trinkt. So ist es auch mit den Opiaten

.

Frage: Kann Methadon also auch süchtig machen?

MEISSNER: Methadon ersetzt nicht die Sucht durch eine Nicht-Sucht. Es wird lediglich die Substanz ersetzt: Das illegale Opioid – entweder Heroin oder andere opiathaltige Substanzen – wird durch das ärztlich verordnete Methadon oder andere Substitute – Buprenorphin oder retardiertes Morphin – ersetzt. Die Abhängigkeit von dem Stoff bleibt erhalten. Menschen, die sich in einer Substitutionsbehandlung befinden, sind immer noch opiatabhängig. Der Entzug von Methadon ist sogar wesentlich langwieriger und insofern schwieriger als der von Heroin.

Frage: Ist die Abstinenz immer das Ziel der Substitution?

BISCHOFF: Ursprünglich war die Betäubungsmittelabstinenz durch eine schrittweise Herunterdosierung des Methadons das Ziel. Heute sieht man das differenzierter: nicht alle Patienten können in die Abstinenz geführt werden. Vorrangige Ziele sind die gesundheitliche und psychische Stabilisierung sowie die gesellschaftliche Teilhabe.

Frage: Was war das Ziel des Modellversuchs 1988?

MEISSNER: Eine Opiatabhängigkeit ist besonders schwer zu überwinden. Nur eine kleine Zahl an Patienten wird dauerhaft abstinent. Im Modellversuch wurde erst einmal grundlegend festgestellt, dass man damit einen größeren Teil der Opiatabhängigen erreicht. Durch die Einführung der Substitution konnte man erstmals in Kontakt mit Konsumenten kommen, die zuvor keine Hilfe in Anspruch genommen hatten. So wurde ein Zugang zum Hilfesystem geschaffen.

BISCHOFF: Das Krankheitsverständnis der Drogenabhängigkeit hat sich über die Jahre verändert. Früher hatte man gehofft, dass durch die stationäre Drogentherapie alle gesund und clean werden. Heute sieht man die Abhängigkeit als eine unheilbare chronische Erkrankung – insofern, dass der Abhängige sein ganzes Leben damit zu tun hat, was sowohl Phasen der Abstinenz als auch der Rückfälligkeit mit einschließt. Ein abstinenter Drogenabhängiger ist symptomfrei, aber nicht geheilt - wie bei einem trockenen Alkoholiker.

Frage: Kann es Nebenwirkungen bei der Einnahme von Methadon geben?

BISCHOFF: Es gibt gewisse Nebenwirkungen, die bei allen Opiaten auftreten – Libidoverlust, Müdigkeit, Verdauungsstörungen. Bei Methadon insbesondere starkes Schwitzen.

MEISSNER: Manche fühlen sich antriebslos und eher depressiv verstimmt. Bei einer Originalstoffverschreibung wird Heroin statt Methadon verabreicht, das wird von den Betroffenen oft positiver erlebt.

Frage: Ist Methadon also ähnlich wie Heroin?

MEISSNER: Man kann Methadon nicht mit Heroin gleichsetzen. Der große Unterschied ist, dass man beim Heroinkonsum diesen Kick oder Rausch erlebt. Bei der Behandlung mit Ersatzdrogen ist das Ziel, dass ein gleichmäßiger Wirkstoffspiegel hergestellt wird. Heroin hat eine Wirkzeit zwischen vier und sechs Stunden, dann muss nachkonsumiert werden, um keine Entzugserscheinungen zu bekommen. Methadon wird einmal am Tag eingenommen. Von dieser Einnahme fühlt man sich nicht berauscht, sondern eher normal. Niemand wird ohne Grund drogenabhängig. Auch mit einem Substitutionsmittel bleibt die Hintergrundproblematik bestehen – die Welt wird nicht plötzlich rosarot. Dadurch erklärt sich der weiterhin bestehende Wunsch vieler nach Betäubung.

Frage: Werden auch in Lörrach Drogenabhängige damit behandelt?

MEISSNER: Wir gehen davon aus, dass in Lörrach derzeit rund 250 Menschen substituiert werden, ein Großteil davon wird mit Methadon behandelt.

Frage: In welcher Form wird der Stoff verabreicht?

BISCHOFF: Methadon gibt es in flüssiger und in Tablettenform und wird oral verabreicht. Bundesweit nehmen rund 80 Prozent der Behandelten Methadon/Polamidon, die restlichen 20 Prozent nehmen ein anderes Substitutionsmittel - in der Regel Buprenorphin.

Frage: Wie sehen Sie persönlich die Verabreichung von Methadon?

BISCHOFF: Man fragt sich vielleicht „Was bringt das Ganze, wenn die Abhängigkeit erhalten bleibt?“. Trotzdem bringt es sehr viel: Es geht darum, die Menschen vom intravenösen Konsum wegzubringen und zur oralen Einnahme des Methadons zu bewegen. So werden Infektionskrankheiten vermieden. Durch den gleichmäßigen Wirkstoffspiegel gibt es eine Entwöhnung vom Rausch. Außerdem werden die Beschaffungskriminalität und -prostitution reduziert. Insofern wird auch ein Beitrag zur Kriminalitätsprophylaxe geleistet. Betroffene können sich von der Drogenszene abwenden und die Mortalitätsraten gehen zurück.

MEISSNER: Es ist schwierig, zu vermitteln, wofür Methadon gut ist, wenn man nicht weiß, wie es in den Achtzigerjahren in bundesdeutschen Großstädten ausgesehen hat. In allen Großstädten gab es offene Szenen, wo Drogenabhängige öffentlich konsumierten und sich in erbärmlichen hygienischen und gesundheitlichen Situationen befanden. Das Aufkommen der HIV-Problematik regte zu einem Überdenken des bestehenden Hilfsangebotes an. Auch die Substitutionsbehandlung wurde eingeführt, weil man verhindern wollte, dass die HIV-Problematik auf die Allgemeinbevölkerung überschwappt. Das hat die ganze Sache maßgeblich beeinflusst.

Frage: Methadon soll auch in der Krebsbehandlung wirksam sein. Was weiß man darüber bisher?

MEISSNER: Derzeit ist die Hypothese, dass bei einer zusätzlichen Abgabe von Methadon neben der Chemotherapie die Behandlungschancen erhöht sind.

BISCHOFF: Wir haben die Entwicklung verfolgt, dass es wohl bei der Behandlung von Leukämie positive Effekte geben soll. Darüber kann man allerdings noch nichts Abschließendes sagen. Hierzu bedarf es weiterer Untersuchungen.

Umfrage

Heizung

Der Ausbau des Fernwärmenetzes im Landkreis Lörrach nimmt Fahrt auf. Würden Sie, falls möglich, Ihr Haus an das Netz anschließen lassen?

Ergebnis anzeigen
loading