Lörrach Plastik ebnete den Weg in die Zukunft

Hubert Bernnat
Kleine Andeckkappen und Kabelhalter für Autos sind die ersten Massenartikel, die in der Lörracher Firma ARaymond nach dem Vorbild aus den USA produziert werden. Foto: zVg/ARaymond

Vor 125 Jahren startete die Firma ARaymond ihre Produktion in der Teichstraße. Eine Publikation des Historikers Hubert Bernnat widmet sich der Lörracher Unternehmensgeschichte. Unsere Zeitung beleuchtet in einer Serie vier Facetten dieser Geschichte.

Raymond war in den frühen Fünfzigerjahren unter Geschäftsführer Jean Perrochat verstärkt in die Herstellung von Schnellbefestigungsteilen für die Automobilindustrie eingestiegen. Doch die Verwendung von Metallklammern hatte zwei Nachteile: Sie vibrierten und verursachten Geräusche, und sie rosteten überall dort, wo Wasser in die Zwischenräume gelangte. Das war vor allem bei den Zierleisten an den Autokarosserien der Fall. Für Daimler-Benz, damals der wichtigste Kunde für Raymond, spielte das Thema Rostschutz eine immer größere Rolle.

Entwicklung aus den USA

In den USA wurde zu dieser Zeit bei der Firma Carr Fastener schon mit Kunststoff experimentiert und erste Teile hergestellt. Perrochat, der gute Kontakte in die USA hatte, erkannte schon 1956 die Zukunft dieses Materials, von ihm stammte der Anstoß für die Entwicklung von Kunststoff-Produkten in Lörrach.

Hubert Bernnat Foto: Bernhard Konrad

Die technische Umsetzung gelang 1957 Manfred Diebold, der noch nicht lange seine Werkzeugmacherlehre abgeschlossen hatte, und dem 34-jährigen Konstrukteur Herbert von Rath. Er stammte aus dem Sudetenland und war einer der heimatvertriebenen Fachkräfte, die nach Lörrach kamen. Es gelang ihnen sehr schnell, aus den thermoplastischen Kunststoffen Polyäthylen, Polyamid und Polypropylen rostfreie, wasserdichte und vibrationsarme Prototypen herzustellen, die für Automobilkunden zum Testen und Beurteilen dienten.

Kunststoffteile in Autos

In extra hergestellten Spritzgussmaschinen musste dafür das Kunststoffgranulat bei Temperaturen von über 200 Grad in eine homogene Masse verwandelt und in die Werkzeuge eingespritzt werden. Die Anfänge der Entwicklung beschreibt Manfred Diebold, der heute in Kanada lebt:

„Zuerst wurden Werkzeugmaschinen gekauft und eine Spritzgussmaschine angefertigt, mit dieser wurden kleine Muster hergestellt. Die Werkzeuge für die Musterfertigung wurden von mir angefertigt, nach Zeichnungen von Hr. von Rath. Die Produkte waren Zierleistenbefestigungen für Mercedes, VW, Opel und andere Autounternehmen. Die Kunststoffteile fanden gleich Anklang. Herr von Rath stellte sie in den Unternehmen vor und sie wurden dort auch ausprobiert. Auch Kleinteile für Schriftbezeichnungen in Autos wurden in großen Mengen hergestellt. Ein wichtiger Bestandteil war, dass sie wasserdicht sein mussten, darauf legten die Unternehmen hohen Wert. Ein Mitarbeiter von Mercedes besuchte die Firma und wollte die Kunststoffabteilung sehen. Er war besorgt, wie er den kleinen Maschinenpark für die Produktion sah. Er teilte uns mit, dass eine Konkurrenzfirma, die auch Kunststoff herstellte, das benötigte Produkt vorerst liefern muss, da die Einrichtung nicht ausreichend war. Von einer Musterfertigung zu einer vollen Produktion lag noch ein weiter Weg vor uns. Es wurden dann sofort Spritzgussmaschinen angeschafft. Die ganze Produktion ist dann so gut gelaufen, dass die Werkzeugmacher Überstunden machen mussten und eine Zwölf Stunden-Schicht angeordnet wurde. Dies war notwendig, um die Aufsicht und Bedienung der Maschinen abzudecken.“

Patentiertes System

Schon im März 1957 konnte die Firma bei Daimler-Benz mit Zierleisten-Befestigungs-Streifen und den dazugehörenden Klammern erste Artikel aus Plastik präsentieren.

Daimler wollte mit Kunststoff, wo es möglich ist, Metall ersetzen. Die ersten Massenartikel waren Abdeckkappen und Kabelhalter.

Raymond Lörrach war die erste Firma in Europa, die selbst entwickelte Befestigungselemente in Kunststoff herstellte. Besonders das 1958 entwickelte und patentierte Tülle/Stopfen-System für die Zierleisten-Befestigung wurde ein großer Erfolg, das dem Unternehmen ganz schnell wichtige Aufträge der PKW-Hersteller brachte. Das Grundprinzip war einfach. In das Loch im Blech wurde eine Tülle gedrückt. So konnte die Zierleiste mit dem vormontierten Stopfen unkompliziert in der Tülle befestigt, aber auch wieder entfernt werden.

Alle in den nächsten Jahrzehnten produzierten Tülle/ Stopfen-Teile ergäben aneinanderlegt eine Länge rund um den Äquator.

Firma expandiert

Die neue Kunststoffabteilung zur Herstellung der Werkzeuge und zur Fertigung war anfangs notdürftig im Reserveraum mit rund 100 Quadratmetern eines Anbaus von 1955 untergebracht. Erst Ende 1963 konnte, was dringend notwendig war, eine dreimal so große neue Halle bezogen werden.

Immerhin war der Anteil der Kunststoffteile am Gesamtumsatz von drei Prozent 1958 bis 1963 schon auf 16,5 Prozent gestiegen, mit wachsender Tendenz. Schon Ende 1958 waren für Mercedes zehn verschiedene Plastikartikel in der Entwicklung, von denen insgesamt für ein Modell 433 Teile gebraucht wurden.

In Lörrach ist der Einstieg in die Kunststoffproduktion schnell vonstattengegangen. Natürlich gab es auch hier Animositäten zwischen den Metallern und den Plastikern, nicht nur wegen des Geruchs, der bei der Arbeit mit thermoplastischen Kunststoffen entstand; zumal anfangs ja die Metall- und die Kunststofffertigung räumlich noch nicht getrennt waren.

Vorbehalte gegen Plastik

Aber es gab keinen Streit um die Tradition der Firma, deren Erfolg auf der Herstellung von Druckknöpfen und Metallwaren beruhte. Und es war auch richtig, nicht ausschließlich auf Kunststoff zu setzen, die Herstellung von Befestigungsteilen aus Metall sollte auch in der Zukunft wichtig bleiben.

Die Lörracher Niederlassung des Unternehmens konnte ihren Umsatz zwischen 1957 und 1965 von 3,7 Millionen DM auf zwölf Millionen DM mehr als verdreifachen. Das war sicher nicht alleine der Herstellung von Schnellbefestigern aus Plastik geschuldet, aber zu einem beachtlichen Teil eben doch.

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