Wir unterscheiden klar zwischen Migranten, die ihr Land mehr oder weniger freiwillig aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, und Flüchtlingen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen und schlicht keine Wahl haben, als Schutz in einem anderen Land zu suchen. Migration kann man also im gewissen Sinne steuern und genau das soll der Migrationsparkt tun und zugleich Schleuser bekämpfen. Der Flüchtlingspakt soll die Lasten besser verteilen. Es kann nicht sein, dass einige der ärmsten Länder Millionen Flüchtlinge aufnehmen und einige der reichsten einfach wegschauen. Ja, der Pakt ist unverbindlich. Aber er setzt ein Zeichen für Solidarität: Die Welt hat begriffen, dass Flucht und Vertreibung ein weltweites Problem ist, was man nur international lösen kann.
Kürzlich hat der Bundestag Tunesien, Algerien, Marokko und Georgien als „sichere Herkunftsländer“ eingestuft. Wie bewerten Sie diese Entscheidung und die Lage in diesen Ländern?
Grundsätzlich hat UNHCR nichts dagegen, dass man so etwas wie sichere Herkunftsländer benennt. Das gilt aber nur, wenn die internationalen Standards hierfür eingehalten werden, wann ein Land als „sicher“ eingestuft werden kann. Dafür müssten nicht nur Verfolgung durch einen Staat zur Prüfung vorgesehen sein, sondern zum Beispiel auch Menschenrechtsverletzungen im nahen sozialen Umfeld oder durch nicht-staatliche Akteure wie Clans. Denken Sie an Genitalverstümmelungen durch die Dorfgemeinschaft oder gar die Familie.
Am Montag werden Sie sich mit Obertstufenschülern über das Thema Flüchtlingsschutz unterhalten. Normalerweise sollte der Staat die Sicherheit und Rechte seiner Bürger garantieren, für Flüchtlinge vor Verfolgung und Krieg wurde zudem die Genfer Flüchtlingskonvention geschaffen. Wie funktioniert dieser Flüchtlingsschutz und warum ist er auch in Deutschland notwendig?
Der Genfer Flüchtlingskonvention sind 147 Staaten beigetreten. Sie verpflichten sich, politisch Verfolgten Schutz zu gewähren, wenn es deren Heimatland nicht kann – oder es nicht will, weil der Staat selbst der Täter ist. Ein Land darf einen Flüchtling nicht abweisen. Deshalb ist die Unterscheidung zwischen Flüchtling und Migrant so wichtig. Im Grunde ist Deutschland der Grund, warum es diese Konvention überhaupt gibt, wegen des kaum vorstellbaren Leides, das der Krieg gebracht hatte. Deutsche waren aber auch selbst oft Flüchtlinge, das letzte Mal ist nicht einmal 30 Jahre her. Deutschland hat also viele gute Gründe, sich zu beteiligen – moralische, historische und auch ganz egoistische: Jeder kann zum Flüchtling werden. Wohl kein Flüchtling hätte vorher gedacht, dass es ihn selbst mal treffen würde.
Am Abend werden Sie außerdem im Rahmen der Vortragsreihe „Cum Tempore“ zum Thema „Flüchtlinge in Deutschland“ referieren. Die deutsche Bevölkerung schwankt zwischen großer Hilfsbereitschaft und Sorge, insbesondere da sich die Abschiebung krimineller Flüchtlinge teilweise als schwierig gestaltet. Wie kann die Abschiebung beschleunigt werden und wie beurteilen Sie die Stimmungslage in Deutschland?
Bei den Abschiebungen kann ich den Unmut zumindest nachvollziehen. Aber wir sollten uns von fragwürdigen Einzelfällen nicht täuschen lassen und rechtsstaatliche Prozesse in Frage stellen, auch wenn Abläufe immer optimiert werden können. Zudem gibt es Tausende freiwillige Ausreisen, über die man kaum spricht. Mit Angst und Hass lässt sich leider leicht Politik machen. Die meisten durchschauen das zwar, aber eben nicht alle. Ich bin Optimist, weil sich immer noch so viele Menschen für Flüchtlinge engagieren. In Umfragen wird immer wieder deutlich, dass eine breite Mehrheit der Deutschen auch weiter Verfolgten Asyl geben möchte. Und mehr als 80 000 Menschen unterstützen unseren Partner UNO-Flüchtlingshilfe mit regelmäßigen Spenden.
Es gibt inzwischen auch viele Flüchtlinge, die unsere Sprache gelernt und einen Job gefunden haben. Ist Deutschland bei der Integration Ihrer Meinung nach auf einem guten Weg und was muss sich noch verbessern?
Deutschland ist auf einem sehr guten Weg, aber natürlich lernt man jeden Tag dazu. Überlegen Sie, wie schwer es für die Flüchtlinge in der Fremde ist: Freunde findet man am besten bei der Arbeit, Arbeit aber nur mit guten Deutschkenntnissen und gutes Deutsch lernt man am besten mit Freunden. Wir erleben aber jeden Tag, wie Flüchtlinge lernen, lernen und lernen wollen. Entweder für einen neuen Start in der Heimat, oder um der Gesellschaft, der sie so viel verdanken, etwas zurückzugeben. Dass ist das Schöne an meinem Beruf: Es gibt keinen Tag ohne gute Nachrichten.