Oder nehmen wir als Beispiel das Berlin in den 20er Jahren: Das war geprägt von galizischen Juden, Exilanten aus Russland und sonst woher... Der Begriff Migration ist eigentlich ein sehr fruchtbarer, kreativer, lebenswichtiger.
Das sehen aber nicht alle so.
Die Ablehnung und das Misstrauen wurzeln hauptsächlich in der Angst. Für viele sind Migranten eine Bedrohung des so genannten Identifikationsversprechens im Hinblick auf die ökonomische Zukunft ihrer Kinder, die sie bedroht sehen. Deswegen haben national-populistische Strömungen leichtes Spiel, Ängste zu schüren. Aber: Deine Rente, meine Rente, das alles kann nur funktionieren, wenn genug in die Kassen einzahlen. Da sind wir auf jeden neuen Mitbürger angewiesen. Sonst kracht unser Sozialstaat zusammen. Das ist eine ganz einfache Rechnung.
30 Jahre Shantelogy. Was erwartet die Zuhörer beim Konzert im Burghof?
Es wird ein sehr sinnliches Spektakel – in erster Linie mit Party-Charakter, das wissen meine Fans. Wir sind eine bunt zusammengewürfelte Truppe, und jeder hat eine sehr eigene Handschrift in der Interpretation meiner Kompositionen. Da gibt es Stücke, die sind schon 25 Jahre alt. Die werden aber ganz neu, individuell gespielt. Es wird ein Popkonzert, angereichert mit traditionellen Klängen: mediterran, orientalisch, kleinasiatisch, jiddisch, slawisch.... Es gibt ganz verschiedene Einflüsse – das ist bei mir Programm. Und gerade bei Ihnen in diesem geradezu magischen Dreiländereck.
Also als magisch wurden wir noch nie eingestuft?
Man könnte fast sagen, das ist der Bauchnabel Europas.
Wie sehen Ihre weiteren musikalischen Pläne aus?
Shantel ist ein zweigleisiger kreativer Prozess. Ich bin zum einen sehr viel in der Welt unterwegs. war gerade in Südamerika. Da habe ich natürlich Augen und Ohren offen und adaptiere lokale musikalische Innovationen. Dann setze ich die sofort im Studio um. Da liegt dann unglaublich viel auf meinem Rechner, im Archiv und wartet darauf, verarbeitet zu werden Auf der anderen Seite bin ich ein sehr bodenständiger Songschreiber. Viele Songs sind am Schreibtisch entstanden. Das mache ich weiterhin intensiv.
Wann gibt es eine neue Platte?
Nächstes Jahr gibt es eine neue Doppel-CD. Sie setzt von der Klangästhetik und dem Sound her das fort, wofür man mich kennt. Ich glaube, ich bin in der Lage, die Zeit und ihre Strömungen zu erspüren. Ich brauche eine Geschichte, ein Lebensgefühl – dann entsteht daraus auch etwas. Das war bisher bei jeder Platte so: Bukowina war die persönliche Spurensuche; „Disko Partisani“ war das Manifest zum Balkanpop, mit dem wir dem englischsprachigen Pop etwas entgegenhalten wollten.
„Planet Paprika“ war das Manifest für eine grenzenlose Gesellschaft und ein bisschen ironisch. Dann kam „Anarchy and Romance“, die Zertrümmerung des Klischees vom Balkanpop, ein klares Rockalbum. Da wollte ich zeigen, dass ich auch anders kann. Und „Viva Diaspora“ war eine Reminiszenz an meinen griechischen Großvater. Als die Finanzkrise in Giechenland war, war ich im Land und sammelte ganz tolle Erfahrungen – auch mit den dortigen Musikern. So hat jede Veröffentlichung ihre Geschichte.
Sie haben Ihre Live-Auftritte einmal als Rausch bezeichnet. Ist dieser Rausch nach wie vor da?
Ich sage mit Demut und Dankbarkeit: Ich habe einen tollen Beruf. Zwar ein knüppelharter Job, aber ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. Ich mache das mit viel Hingabe. Und dass die Zuhörer das schätzen, macht mich glücklich. Konzerte geben, Musik schreiben, das ist für mich tatsächlich wie ein schöner Rauschzustand.
- Donnerstag, 6. Dezember, 20 Uhr, Burghof