Lörrach Rhythmus im Rausch der Paprika

Gabriele Hauger
Shantel wird im Burghof für Party sorgen. Foto: zVg

Interview: Stefan Hantel kommt mit Balkan-Sound in den Burghof. Musik als gelebte Integration.

Lörrach - Shantel alias Stefan Hantel, bringt bei seinen Konzerten mit seinem mitreißenden Balkan-Sound regelmäßig die Hallen zum Kochen. Mehrfach auch schon den Lörracher Burghof. Der vielseitige Musiker, der lange in der DJ- und Club-Szene erfolgreich war, zahlreiche Platten veröffentlichte und die Musik für Filme wie „Borat“ oder „Alles auf Zucker“ schrieb, tourt durch die ganze Welt. Am Donnerstag, 6. Dezember, kommt er wieder nach Lörrach. Im Vorfeld unterhielt er sich mit Gabriele Hauger.

Sie sind in Mannheim geboren. Was verbindet Sie noch mit diesem Teil Heimat?
Für mich war Mannheim eigentlich nie Heimat. Ich habe die Stadt ja schon als Säugling verlassen. Meine Großeltern mütterlicherseits allerdings sind bei ihrer Ausreise aus Rumänien in Mannheim gelandet. In ihrer dortigen Wohnung haben sie die Familientradition aus der Bukowina bewahrt, dort habe ich das alles kennengelernt. Ich erinnere mich an große Familienfeiern mit weit verzweigter Verwandtschaft.

Spielte bei diesen Familientreffen Musik eine Rolle?
Ja, natürlich. Da liefen im Wohnzimmer stets die alten Platten aus der Heimat. Eine Sammlung, die ich nach dem Tod meiner Großeltern übrigens übernommnen habe. Bei diesen Festen habe ich mich zunächst extrem fremd und fast ein bisschen verwunschen gefühlt. Für mich war das alles irgendwie mystisch. Diese Musik habe ich erst viel später für mich als kulturelle Schatzkammer entdeckt.

Viele interessieren sich erst für ihre Wurzeln, wenn sie recht alt sind. Bei Ihnen war das schon 2001 so: Sie reisten nach Czernowitz, der Heimat Ihrer Mutter. Da waren Sie Anfang 30. Gab es dafür einen speziellen Auslöser?
Mit Ende 20 habe ich angefangen, mir Fragen zu stellen. Ich war ja als elektronischer Musiker bekannt, der aus einer Party- und Clubkultur herauskommt. Ende der 80er habe ich relativ schnell eine Karriere in dieser elektronichen Musikszene hingelegt. Musik war allerdings für mich zunächst gar nicht der angestrebte Lebensstil. Ich habe erstmal Kunst studiert.

Sie hatten aber diesen Erfolg.
Ja. Dieser musikalische Erfolg war natürlich toll. Aber irgendwie hatte ich zunehmend das Gefühl, dass diese Musik nicht wirklich mit mir zu tun hat, mit meiner Sozialisation und mit meinem Erwachsenwerden. Im Ausland habe ich natürlich immer Protagonisten getroffen, die musikalisch ähnlich gearbeitet haben, deren Geschichte sich in ihrer Musik widerspiegelte. Wenn einer beispielsweise aus den Bronx kommt und rappt – dann passt das, ist authentisch. Aber ein Deutscher aus einer Großstadt mit englischsprachiger club-affiner Musik? Da fühlte ich mich nie so richtig Zuhause. Ich wollte mehr wissen über meine Familie, meine Wurzeln. Und wollte diesen Sehnsuchtsort Bukowina für mich entdecken. Das war also eine sehr private persönliche Motivation.

Als was fühlen Sie sich: persönlich und musikalisch?
Ich bin absoluter Kosmopolit und Kontinentaleuropäer. Für mich ist der europäische Gedanke und Kulturbegriff ein ganz wichtiger. Wenn mich die Leute fragen, was ich mache und wo ich herkomme, sage ich: Ich bin in erster Linie europäischer Musiker.

Ihre Musik à la Partizani ist gelebte Integration. Inwieweit bewegen Sie als Musiker die aktuellen Debatten rund um Migration und Fremdenfeindlichkeit?
Ich habe diese Thematik schon vor Jahren im Radio und in vielen Interviews artikuliert. Zum Beispiel in Ungarn, als die rechte Regierung Orban gewählt wurde. Als die ersten größeren Flüchtlingsströme kamen, fand ja plötzlich ein Paradigmenwechsel statt: verstärkte Abschottung, Grenzziehungen. Dagegen habe ich mich klar positioniert. Denn ich habe direkt vor Ort die Situation erlebt. Ich bin die ganze Route über Griechenland und Ex-Jugoslawien abgefahren. Ich wollte mir selbst einen Eindruck verschaffen. Hatte dort Konzerte und sprach mit Flüchtlingen. Ich trete zudem viel im Nahen Osten, Palästina, der Türkei, im Libanon auf. Daher bin ich mit der Situation in diesen Ländern sehr vertraut und sehr sensibilisiert für die Lage der Menschen. Natürlich auch deshalb, weil meine Familie ebenfalls eine Flüchtlingsfamilie war – wenn auch im Zuge des Zweiten Weltkriegs.

Migration und Emmigration sind für Sie quasi etwas Normales?
Schon. Ob das jetzt durch Krisen motiviert ist oder deshalb, weil man ein besseres Leben möchte. In meinem Album „Viva Diaspora“ wollte ich die negative Konnotation des Migrationsbegriffes abmildern. Ein Migrant ist für mich nämlich ein wichtiger Kulturbotschafter in der neuen Heimat. Sehen Sie nur in andere Länder und Städte! Gerade in Amerika bestehen viele ja praktisch nur aus Migranten. Die Kultur wird meistens von diesen Migranten getragen: in Theater, Tanz, Musik oder Film.

Oder nehmen wir als Beispiel das Berlin in den 20er Jahren: Das war geprägt von galizischen Juden, Exilanten aus Russland und sonst woher... Der Begriff Migration ist eigentlich ein sehr fruchtbarer, kreativer, lebenswichtiger.

Das sehen aber nicht alle so.
Die Ablehnung und das Misstrauen wurzeln hauptsächlich in der Angst. Für viele sind Migranten eine Bedrohung des so genannten Identifikationsversprechens im Hinblick auf die ökonomische Zukunft ihrer Kinder, die sie bedroht sehen. Deswegen haben national-populistische Strömungen leichtes Spiel, Ängste zu schüren. Aber: Deine Rente, meine Rente, das alles kann nur funktionieren, wenn genug in die Kassen einzahlen. Da sind wir auf jeden neuen Mitbürger angewiesen. Sonst kracht unser Sozialstaat zusammen. Das ist eine ganz einfache Rechnung.

30 Jahre Shantelogy. Was erwartet die Zuhörer beim Konzert im Burghof?
Es wird ein sehr sinnliches Spektakel – in erster Linie mit Party-Charakter, das wissen meine Fans. Wir sind eine bunt zusammengewürfelte Truppe, und jeder hat eine sehr eigene Handschrift in der Interpretation meiner Kompositionen. Da gibt es Stücke, die sind schon 25 Jahre alt. Die werden aber ganz neu, individuell gespielt. Es wird ein Popkonzert, angereichert mit traditionellen Klängen: mediterran, orientalisch, kleinasiatisch, jiddisch, slawisch.... Es gibt ganz verschiedene Einflüsse – das ist bei mir Programm. Und gerade bei Ihnen in diesem geradezu magischen Dreiländereck.

Also als magisch wurden wir noch nie eingestuft?
Man könnte fast sagen, das ist der Bauchnabel Europas.

Wie sehen Ihre weiteren musikalischen Pläne aus?
Shantel ist ein zweigleisiger kreativer Prozess. Ich bin zum einen sehr viel in der Welt unterwegs. war gerade in Südamerika. Da habe ich natürlich Augen und Ohren offen und adaptiere lokale musikalische Innovationen. Dann setze ich die sofort im Studio um. Da liegt dann unglaublich viel auf meinem Rechner, im Archiv und wartet darauf, verarbeitet zu werden Auf der anderen Seite bin ich ein sehr bodenständiger Songschreiber. Viele Songs sind am Schreibtisch entstanden. Das mache ich weiterhin intensiv.

Wann gibt es eine neue Platte?
Nächstes Jahr gibt es eine neue Doppel-CD. Sie setzt von der Klangästhetik und dem Sound her das fort, wofür man mich kennt. Ich glaube, ich bin in der Lage, die Zeit und ihre Strömungen zu erspüren. Ich brauche eine Geschichte, ein Lebensgefühl – dann entsteht daraus auch etwas. Das war bisher bei jeder Platte so: Bukowina war die persönliche Spurensuche; „Disko Partisani“ war das Manifest zum Balkanpop, mit dem wir dem englischsprachigen Pop etwas entgegenhalten wollten.

„Planet Paprika“ war das Manifest für eine grenzenlose Gesellschaft und ein bisschen ironisch. Dann kam „Anarchy and Romance“, die Zertrümmerung des Klischees vom Balkanpop, ein klares Rockalbum. Da wollte ich zeigen, dass ich auch anders kann. Und „Viva Diaspora“ war eine Reminiszenz an meinen griechischen Großvater. Als die Finanzkrise in Giechenland war, war ich im Land und sammelte ganz tolle Erfahrungen – auch mit den dortigen Musikern. So hat jede Veröffentlichung ihre Geschichte.

Sie haben Ihre Live-Auftritte einmal als Rausch bezeichnet. Ist dieser Rausch nach wie vor da?
Ich sage mit Demut und Dankbarkeit: Ich habe einen tollen Beruf. Zwar ein knüppelharter Job, aber ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. Ich mache das mit viel Hingabe. Und dass die Zuhörer das schätzen, macht mich glücklich. Konzerte geben, Musik schreiben, das ist für mich tatsächlich wie ein schöner Rauschzustand.

  •  Donnerstag, 6. Dezember, 20 Uhr, Burghof

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