Von Jürgen Scharf
Der Pianist Alexander Melnikov gab sein Debüt im Burghof
Von Jürgen Scharf
Lörrach. Es war Bach, dem Schostakowitsch seine große Präludien- und Fugensammlung verdankt. Klangaskese kennzeichnet das Werk, und welcher Pianist wäre da geeigneter als Alexander Melnikov mit seiner variablen Spieldisposition. Bei seinem Debütkonzert im Lörracher Burghof hat der in Berlin lebende Russe diese große Aufgabe imponierend bewältigt.
Melnikov zeigt Meisterschaft im polyphonen Spiel, schon zuvor bei Brahms’ Klavierstücken op. 116. Wahrscheinlich hängt das mit seiner Beschäftigung mit historischer Aufführungspraxis zusammen. Denn der Pianist arbeitet gern mit Ensembles aus der Originalklangbewegung zusammen, was wohl auf sein Spiel abfärbt.
Alexander Melnikov ist keiner der russischen Tastenlöwen, wie man sie sich so vorstellt. Das merkt man bereits bei Schuberts Wanderer-Fantasie. Der 41-Jährige agiert eher introvertiert, meidet oberflächliche Virtuosität, verfügt aber über hohe Gestaltungskraft. Die sieben Capriccios und Intermezzi von Brahms klingen bei ihm trotz aller Verhaltenheit spannungsintensiv. Ereignishaft waren hier ganz besonders die lyrischen Stellen. Selten hört man Brahms so ruhig, so innig, so sensibel ausgehorcht, mit so viel Zwischentönen, werden die melodischen Linien so fein nachgezeichnet, mit liebevoller, nuancenreicher Detail-Differenzierung.
Dieser Pianist erschließt das Wesentliche der Musik, und er hat eine Meisterschaft im polyphonen Spiel. Das fällt schon bei Brahms auf, und das wird bei Schostakowitsch noch deutlicher, wo Melnikov die ersten zwölf Präludien und Fugen ins Programm nimmt. Sie werden zum eigentlichen Ereignis des Abends. Auch hier sind seine leisen Töne die schönsten.
Melnikov sitzt versunken vor dem Flügel, hat zwar die Noten auf dem Klavier liegen, aber sein Blick schweift oft in die Ferne, lauscht den Klängen nach. Da spielt einer mit großer Kontemplation und Konzentration. Die wird hier auch vom Publikum verlangt, das aber winterbedingt das Husten und Niesen nicht vermeiden konnte.
Die Präludien spielt dieser Schostakowitsch-Spezialist mit schönstem Legato, wo es sein muss, sind doch die Stücke, die den Beginn des Spätwerks von Schostakowitsch markieren, elegisch und melancholisch, auch langsam im Tempo und teils improvisationsartig. Die straff geführten Fugen klingen unter Melnikovs Händen transparent und klar strukturiert nach gedankenschweren Abstraktionen und variierter Logik – ein überzeugendes Klavierspiel.
Eigentlich, meinte der Pianist, dürfte man nach so einem langen Abend keine Zugabe erwarten. Doch dann setzt er sich noch einmal an den Flügel, zaubert ein Skrjabin-Poéme (op.32, Nr.1) auf die Tasten. Und lässt wieder die Musik für sich sprechen. Der zarte Lyrismus tat gut nach der vorangegangenen Konzentrationsübung höchsten Grades.