Lörrach Schablonen des Alltags aufgespießt

Tonio Paßlick
 Foto: Tonio Paßlick

Kabarett: Abdelkarim mit „Wir beruhigen uns“ im Burghof

Von Tonio Paßlick

Lörrach. „Sagt man hier Weggli oder Weckle?“ Lautes Grummeln im Publikum. „Wow, die Stimmung kippt jetzt wirklich….“ lacht Abdelkarim. Der ostwestfälische Marokkaner und Wahl-Duisburger spielt mit den Untertönen. In ständiger Kommunikation mit den Besuchern im Burghof leuchtet er die Gefühlsschwankungen aus, die Begriffe und Assoziationen, Schablonen und Verunsicherungen im Alltag auslösen können.

Er weiß auch, wie den Irritationen beizukommen ist, die allein schon durch eine andere Hautfarbe oder Kleidung ausgelöst werden. Dreimal tief ausatmen und zwischendurch einatmen.

„Wir beruhigen uns“ heißt der Titel seines neuen Programms, das mit seinen feinsinnigen und „krassen“ Anekdoten und Wortwitzen Fans aus allen Altersgruppen faszinierte.

„Gibt es hier Kanaken?“, fragt der bärtige Mann in Fleecehose, T-Shirt mit Katzenmotiv und schwarzer Lederjacke anfangs. Und ist mitten im Thema. Seine Lieblingsadressaten im Publikum heißen Mischa und Olga. „Woher kommst du?“ lautet das Leitmotiv des Abends. „Aus Lörrach? Klingt irgendwie arabisch…“ Im migrantischen Idiom gesprochen hört sich auch „Schwörstadt“ wie eine Verheißung an, freut sich Abdelkarim, der sich zu Beginn an den Schubladen abarbeitet.

„Woher kommst du?“ ist Leitmotiv des Abends

Für einen Mann, der am Teutoburger Wald aufgewachsen ist, sieht er nicht aus wie die blonden Germanen, die „im Wald Wildschweine erschrecken“. Er räsoniert die Fragen, die einem wie ihm wohlwollend gestellt werden: „Woher kommst du wirklich?“ Oder noch subtiler: „Als was fühlst du dich denn?“ Bis sich sein Gesprächspartner damit abgefunden hat, dass der Mann mit südlichem Aussehen tatsächlich deutsch spricht.

Dafür verrät er ungeschminkt seine eigene Überforderung in vielen Alltagssituationen. Warum so viele Leute „Bock auf Verschwörungstheorien haben“. Am besten stellt man den kruden Thesen eine eigene Verschwörungstheorie entgegen, die noch krasser sei. Oder dass die „Kriegsgeilheit“ so schnell wachse. Oder dass junge Leute in Bayern mit ihren Eltern in die Sauna gehen ….und dann noch Kontakt halten würden.

Er fragt im Publikum nach den schönsten Fernseh-Serien. Und bekennt, dass er den Hype völlig verpasst habe. Er glaubt, Jugendsprache zu verstehen. Und verzweifelt doch daran, dass jemand „Okay, ciao!“ sagt – und dennoch bleibt. Er sei acht mal geimpft worden – in Duisburg habe es mal eine Aktion gegeben: für jede Impfung einen Döner.

Urkomische Geschichten und Kabarett-Einlagen

Sein Auftritt ist mehr Zwiesprache als Monolog. Urkomische Geschichten wechseln ab mit kabarettistischen Einlagen. Schlagfertig retourniert er die Bälle, die ihm aus dem Publikum zugeworfen werden. Und er spießt genüsslich die Luxus-Sorgen einer dekadenten Gesellschaft auf: an zweiter Stelle „Handy-Akku ist leer“. An erster Stelle: „Handy-Akku ist fast leer...“. Und amüsiert sich über Sätze wie „Hier kommt nichts weg…“ oder „Jetzt beeil dich mal langsam…“ Eine Redewendung wie für ihn gemacht, dessen vegetarische Sehnsüchte an den traditionellen Gewohnheiten seines Freundes Ali zerschellen, der überzeugt ist, dass die Zeugen Jehovas Provision kassieren.

Seine Schlaglichter des Alltags beleuchten die Gesundheitsapostel genauso wie regionaltypische Wort-Verkürzungen. Wenn junge Kunden an einem schwäbischen Jahrmarkt „Lkw mit ABS“ bestellen (Leberkäsweckle mit a bissl Senf) oder der Nachbar jovial mitteilt, er hätte einen kalten Hund.

„Wenn wir uns alle nicht zu ernst nehmen, und wenn wir alle mehr miteinander reden anstatt übereinander, kriegen wir das alles gebacken,“ räsoniert Abdelkarim am Ende.

Was aussieht wie Standup-Comedy ist im Kern ausgesprochen politisch. Und zugleich beste Unterhaltung. Ein Rezept, das Abdelkarim 2018 den Deutschen Fernsehpreis und 2020 die Goldene Kamera einbrachte. Langer Applaus war am Sonntagabend nach zwei intensiven Stunden der Dank eines beeindruckten Publikums.

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