Lörrach Spiegel auch unserer Zeit

Die Oberbadische
Foto: Dorothee Philipp Foto: Die Oberbadische

Film und Talk: Erfolgreicher Auftakt der Fassbinder-Hommage / Eigenproduktion des Burghofs

Von Dorothee Philipp

Lörrach. Der hinterste Winkel der extrem tiefen Bühne im Lörracher Burghof taugt als Ort für besondere Veranstaltungen: Mit der dreiteiligen Produktion „Wer sonst!“ zum Phänomen Rainer Werner Fassbinder hat das Burghof-Team Neuland beschritten, nicht nur beim Raum, sondern auch beim Format.

An drei Tagen richtet sich der Fokus auf das legendäre Genie, das den deutschen Film der 1960er und 70er Jahre international bekannt gemacht hat. Es gibt Filme, Diskussionsrunden, Lesungen, Gespräche von 18 Uhr bis Mitternacht und darüber hinaus eine Bar und lockere Jazzkeller-Bestuhlung.

Wie nähert man sich solch einem Lebenswerk, das inzwischen in großen Teilen wieder der Vergessenheit anheimgefallen ist, das aber das Lebensgefühl und das gesellschaftliche und politische Umfeld einer ganzen Generation einschließt? Die Eigenproduktion der Burghof GmbH unter der Federführung von Markus Muffler in Kooperation mit dem Kurator und Regisseur Niggi Ulrich aus Arlesheim, der für Dramaturgie und Programm verantwortlich ist, verlangt vom Publikum einiges an geistigem Stehvermögen, ist aber alles andere als langatmig, wie der erste Abend zeigte.

Während sich die Gäste noch plaudernd an Bier, Buletten und Gratis-Käse-Igel laben, springt der Basler Schauspieler Daniel Buser auf einen Stuhl und rezitiert „Ich bin der Schnittpunkt eines Dreiecks...“, eine philosophische, stilistisch und logisch brillante Betrachtung des erst 14-jährigen „RWF“.

Dann versucht Niggi Ullrich, die immensen Dimensionen des Œvres zu verdeutlichen, das eine produktive, obsessive und höchst umstrittene Persönlichkeit geschaffen hat: Es würde ein Festival von mindestens zwei Wochen nonstop füllen. Und jetzt müsse sich das Publikum „auf dem Weg von der Rinderherde zum Bouillonwürfel zusammenfinden“.

Privates wird öffentlich und umgekehrt

Den Einstieg macht der erst 2015 entstandene Film „Fassbinder“ der in Ostberlin aufgewachsenen Produzentin, Regisseurin und Drehbuchautorin Annekatrin Hendel. Sie wird später erzählen, dass sie sich ihr ganzes Arbeitsleben lang kontinuierlich mit Fassbinder beschäftigt hat. Zu Wort kommen viele Figuren aus dem Umfeld Fassbinders, dabei verzahnen Kamera und Schnitt die einzelnen Szenen so eng, dass keinerlei Brüche zwischen den Zeitebenen zu spüren sind. „Er war der Typ an sich“, hört man Hanna Schygulla sagen, während sie mit Fingerfarben auf alten Fotografien von Fassbinder malt. Die eingeblendeten Filmszenen lassen einen das Chaos, die Machtkämpfe, den Stress und die Obsession, die Fassbinders Umfeld kennzeichneten, ungefiltert erleben.

Es überrascht nicht, wenn einer der Protagonisten darauf hinweist, dass das auch das Bild dessen ist, was in der Gesellschaft passiert. Privates wird öffentlich und umgekehrt. Und dass es zur Abhängigkeit bis zur Hörigkeit auch Vasallen-Naturen braucht. „Für mich war das ein Riesenabenteuer mit diesem Irren da“, hören wir den gleichaltrigen Drehbuchautor Fritz Müller-Scherz sagen.

Die Diskussionsrunde danach in 70er-Jahre-Sesseln um ein Nierentischchen reflektiert den Film, profitiert natürlich besonders von der sprudelnden Begeisterung Annekatrin Hendels. Immer wieder muss sie sich zügeln, weil sie sonst den ganzen Abend lang erzählen könnte, wie sie selbst sagt.

Der Kabarettist Matthias Deutschmann ist nach eigenen Worten nicht als „Pointen-Hallodri“ gekommen, lenkt den Blick auf die „emotionale Gewalttätigkeit“ Fassbinders, die auf volles Risiko gespielt habe und an dem heutigen Feintuning der Political Correctness unentwegt anecken würde. Lörrachs OB Jörg Lutz reflektiert darüber, wie heute die Abschottung in Interessengruppen eine offene gesellschaftliche Diskussion verhindert. Auch aus dem interessiert lauschenden Publikum kommen Beiträge. Niggi Ullrich fügt sie geduldig und beharrlich in das vielteilige Puzzle ein, das sich nach und nach als Spiegel auch unserer heutigen Zeit entpuppt.

Den Film mit neuen Augen sehen

Und dann sieht man „Deutschland im Herbst“, diesen so unmittelbar nach den Ereignissen um die Schleyer-Entführung in Rekordzeit aus dem Boden gestampften Zweistunden-Film, an dem neun Regisseure mitgewirkt haben, nochmal mit neuen Augen. Danach ist die Bar immer noch offen...

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