Herr Sadovnik, macht Ihnen Ihre Arbeit noch Freude?
Es gibt Diskussionen, auch Kritik rund um Burghof, Stimmenfestival – und Kosten. Wir sprachen mit Burghof- und Stimmen-Chef Timo Sadovnik.
Herr Sadovnik, macht Ihnen Ihre Arbeit noch Freude?
Auf jeden Fall. Klar, die Situation ist schwierig und fordernd. Aber wir gehen damit entsprechend um und finden bisher auch immer eine Lösung, die unseren Ansprüchen gerecht wird und – wie ich denke – auch den meisten Ansprüchen außerhalb. Unser Ziel ist dennoch, dass wir langfristige Perspektiven entwickeln.
Warum braucht Lörrach den Burghof?
Es gibt viele Einflüsse, die von einem Kulturhaus und einer Institution wie dem Burghof ausgehen, die positiv auf die Stadt und die Gesellschaft wirken.
Welche?
Zum einen ist der Burghof ein Ort, an dem die Menschen in einen Dialog und Austausch kommen. Er bietet die Gelegenheit, sich mit Themen, die uns beschäftigen, kritisch auseinanderzusetzen, als Gruppe, als Individuen. Zum anderen ist da der wichtige Faktor Spaß, das Vergnügen, Kultur zu erleben. Das wiederum spielt eine große Rolle für die Psychohygiene der Bürger. Ein Kulturprogramm auf so hohem Niveau ist für die Stadt bedeutend. Auch wenn natürlich nicht jeder dieses Angebot nutzt, nur weil es da ist. Aber es geht ja zum Beispiel auch nicht jeder ins Fußballstadion. Ein ganz wichtiger Effekt geht in Richtung Stadtmarketing. Durch Burghof und Stimmenfestival kann sich Lörrach überregional positionieren, Sichtbarkeit erreichen, sich als lebenswerte Stadt und als Wirtschaftsstandort positionieren. Und dann gibt es noch die so genannte Umwegrentabilität. Das heißt, dass die Menschen, die die Kulturangebote wahrnehmen, sich in der Stadt aufhalten und dort Geld ausgeben.
Glauben Sie, dass sich die Lörracher an diesen „Luxus“ gewöhnt haben? Vor 25, 30 Jahren hatte die Stadt eine rumplige Stadthalle. Mit Burghof und Stimmen kamen Weltstars in die Stadt. Damit stiegen auch die Erwartungen ans Programm, oder?
Das spüren wir in allen Bereichen. Man merkt erst, was man hat, wenn es nicht mehr da ist. Das ist auch in anderen Städten so. Gerade jetzt, wo wir in der Kritik stehen und es um die Zukunft geht, gibt es aber auch einen großen Prozess der Bewusstwerdung, was hier in Lörrach auf dem Spiel steht. Das ist wichtig, genau darum geht es.
Wie nehmen Sie den Rückhalt in Politik und Stadtgesellschaft für Ihre Kulturarbeit wahr?
Ich spüre viel Rückhalt. Klar, gab, gibt und wird es immer kritische Stimmen geben, die auch sicher ihre Daseinsberechtigung haben. Ich hinterfrage mich ja auch selbst ständig! Eine wichtige Eigenschaft im Kulturschaffen. Ich vergleiche das mit der Stellung eines Fußballtrainers: Da gibt es immer in den Zeiten, in denen die Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprechen, Stimmen, die aus der Distanz einfache Antworten auf komplexe Fragen liefern. Das muss ich als Intendant auch aushalten. Ich bin aber durchaus dankbar für Vorschläge, manche hatte ich sogar schon in der Schublade. Das ist dann besonders schön, wenn sich das trifft.
Zum Beispiel?
Die Vernetzung mit den lokalen Kulturinstitutionen wie Nellie Nashorn und Tempus fugit beim Stimmenfestival. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass wir es schaffen, die Strahlkraft vom Burghof und von Stimmen zu nutzen. Die Strahlkraft großer Künstler auf dem Marktplatz und die tolle Reputation, die das Festival hat, soll für die ganze Stadt wirken, für die ganze Kulturlandschaft und unsere Partner, die ja zur Vielfalt beitragen.
Stimmen ist abgespeckt und nicht mehr das, was es mal war: Wie reagieren Sie auf solche Kritik?
Diese Aussagen gibt es schon immer. Ich habe in den letzten beiden Jahren sichtbar gemacht, dass ich dem, was die menschliche Stimme ist und sein kann, ein breiteres Spektrum verschaffe, mit Kunstinstallationen zum Ukraine-Konflikt oder mit Kunstprojekten wie „Paint the Town Red“ bei Stimmen – ausgezeichnete Künstler, die sich dem Thema Stimme auf unterschiedliche Weise annähern. Diese Vielfalt wurde aber auch kritisiert.Aber das ist ja auch das Schöne an Kunst! Die darf auch irritieren. In dieser Festivalausgabe spüren wir allerdings sehr stark die finanziellen Auswirkungen der vergangenen defizitären Jahre. Das hängt auch damit zusammen, dass unsere Zuschüsse nicht parallel zur Inflation mitgewachsen sind. Wobei die Stadt nicht anders konnte, ich habe da großes Verständnis. Auch bei den Sponsoren: Unsere finanziellen Ressourcen bleiben gleich, parallel steigen die Kosten in einem unglaublichen Ausmaß. Meine Ausweitungspläne waren somit zum Scheitern verurteilt, selbst das Frühere beizubehalten, war nicht leistbar.
Das ist aber nicht gerade ermutigend für die Zukunft?
Es ist herausfordernd. Wir müssen schauen, wie wir aus dieser Situation wieder herauskommen. Ich verstehe schon, dass die Leute fragen: Was ist denn jetzt mit dem Festival passiert, wo sind die ganzen schönen Spielorte wie Rosenfelspark, Vitra oder Wenkenpark? Uns blutet auch das Herz.
Besonders beim Rosenfelspark?
Ja, klar, aber auch beim Vitra Campus, das waren großartige Konzerte, nur finanziell noch nicht erfolgreich, aber vom Feedback her der Wahnsinn. Ein positiver Schritt. Ich bin überzeugt, dass das Zukunft hat. Wir tragen aber den Sparkurs der Stadt mit und haben volles Verständnis dafür. Zugleich ist der Anspruch, nicht an der Qualität, sondern eher an der Quantität zu sparen. Das hat dann zu den angesprochenen Maßnahmen geführt. Das bedeutet schon auch Schmerzen für uns, weil wir wichtige Plattformen verlieren, gerade für Künstler und Formate, die sich vom Mainstream absetzen oder am Aufstreben sind. Das gilt es wieder herzustellen.
Ihnen wurde vorgeworfen, dass Sie bei fehlender Nachfrage nicht auch Konzerte kurzfristig absagen. Was entgegnen Sie?
Das ist nicht so leicht. Es bestehen ja zahlreiche vertragliche Verpflichtungen. Das ist nicht jedem klar. Da geht es um die Künstler, aber auch um die gesamte Infrastruktur, die Dienstleister, die Technik und so weiter. Bei kurzfristiger Absage stehen wir voll in der Zahlungspflicht. Auch darum kümmern wir uns aktuell weniger um die Nischen, sondern konzentrieren uns auf das, wo wir ziemlich sicher sind, dass wir die entsprechenden Verkaufszahlen erreichen können. Auch wenn man sich da nie sicher sein kann. Selbst Künstler und Formate die lange Zeit Selbstläufer waren, funktionieren nicht immer gleich gut oder nach einer Zeit nicht mehr.
Wohin steuert dann Stimmen?
Wir fokussieren uns auf die Kernorte des Festivals, grade in einer Situation der Konsolidierung. Für die Zukunft wäre mehr finanzieller Spielraum und Planungssicherheit wichtig, damit wieder eine Ausweitung möglich wird. Man sollte aber nicht erwarten, dass wir bereits nächstes Jahr wieder trinational sind und an die 40 Konzerte bieten. Ich stehe in der Verantwortung gegenüber meinen Mitarbeitern und den Gesellschaftern. Glücklicherweise setzen Partner und Sponsoren auf uns. Das Thema der Trinationalität wollen wir neben dem Thema menschliche Stimme aber natürlich nicht gänzlich aus den Augen verlieren.
Kritik gab es vor vielen Jahren ja auch umgekehrt an einer zu weiten Ausdehnung von Stimmen – Stichwort Guebwiller. Kann man die stärkere Konzentration auch als Chance sehen?
Unbedingt. Das tun wir auch. Wir versuchen, uns auf unseren Kern zu konzentrieren und uns dann wieder neu zu erfinden.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Marktplatz-Programm?
Sehr. Ich glaube, das ist eine schöne Mischung. Wir hatten ja immer schon auch Künstlerinnen, die ein etwas älteres Publikum ansprechen, andere, die eher Jüngere anziehen. Jetzt haben wir mit James Bay oder auch Faithless Formationen, die das tun. Die Beach Boys schrieben Musikgeschichte und haben einst sogar die Beatles beeinflusst. Die Bandbreite ist also groß: Von großen Namen bis zu aktuellen Trends.
Partymachen ist wichtig?
Ganz wichtig. Die Stimmung mitten in der Stadt, die riesige Bühne, eine dennoch intime Atmosphäre, nah an den Künstlern, Gänsehautmomente und Ausgelassenheit, die Restaurants drumherum – genießen und feiern.
Wie läuft der Vorverkauf?
Sehr gut. Das stimmt uns zuversichtlich.
Die Burghofsaison geht auf die Zielgerade. Wie sieht Ihre Bilanz aus?
Insgesamt bin ich sehr zufrieden. Viele Menschen haben uns Mut zugesprochen, als Kritik aufkam. Klar gibt es Formate, die sich schwerer tun. Die Nische hat im Burghof aber auch weiterhin ihren Platz. Wir sind bei rund 50 Prozent Auslastung – und das ist eigentlich ein vergleichsweise guter Wert.
Welche Zukunftsideen gibt es?
Wir haben unglaublich viele Ideen! Diese Stadt hat ja sehr viele Potenziale. Wenn man sich vorstellt, wie es hier vor 30 Jahren aussah! An der Entwicklung Lörrachs ist großer Mut und auch eine visionäre Strategie ablesbar – auch in der Kultur. Lörrach ist nicht den Weg gegangen, ein Park and Ride für Basel zu werden. Daran möchte ich gerne anknüpfen. Burghof und Stimmen sollen ihren Beitrag leisten, dass sich diese Stadt weiterentwickelt. Der Burghof ist da, er lässt sich nicht wegdiskutieren. Diese Investition wurde getätigt. Er ist nichts, was uns auf der Tasche liegt, sondern ein irres Potenzial, das wir ausschöpfen müssen. Dazu gehören auch die Institutionen drumherum: die Stadtbibliothek, das Museum, Tempus fugit, das Altenheim, mit dem wir auch schon schöne Kooperationen hatten. Das könnte sich zu einem Kulturquartier entwickeln. Wir müssen diese Möglichkeiten nutzen, bevor wir uns zu Tode sparen.
Sie sind jetzt seit drei Jahren hier in Lörrach. Haben Sie es sich vorher so fordernd vorgestellt?
Es war weltweit schon vor der Pandemie sehr schwer für die Kultur. Ernüchternd finde ich aber schon die gesamtpolitischen Strömungen in puncto Kulturförderung und Bildung. Das macht es nicht leicht. Ich möchte mich dieser Verantwortung aber stellen. Es ist hier so viel möglich! Und es steht viel auf dem Spiel.