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Binzener Runde: Auftakt der Weihnachtsaktion „Leser helfen Not leidenden Menschen“ unserer Zeitung / Jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm oder von Armut bedroht

Von Beatrice Ehrlich (Text) und Kristoff Meller (Fotos)

Mit der Binzener Runde hat am Freitag die Aktion „Leser helfen Not leidenden Menschen“ begonnen.

Binzen. Bei der Binzener Runde im Hotel Restaurant „Mühle“ treffen sich Gäste, die das Schicksal ihrer weniger gut gestellten Mitmenschen nicht kalt lässt. Ein Abend, der mit seiner besonderen Atmosphäre in Erinnerung bleibt. Kinderarmut steht diesmal im Zentrum der Weihnachtsaktion des Verlagshauses Jaumann – auch in der Mühle. Bereits zum Auftakt werden soziale Einrichtungen bedacht. Verwöhnt werden auch die Festgäste. Ein Vier-Gang-Menü, kreiert von Karsten Weltin, Küchenchef der Mühle, dazu ausgesuchte Weine der Bezirkskellerei Markgräflerland, bilden den stimmigen Rahmen. Hinzu kommt ein aufmerksames Serviceteam.

„Leser helfen notleidenden Menschen“ – eine echte Erfolgsstory: Seit dem Start vor 38 Jahren ist es den Verantwortlichen gelungen, immer neue Spendenrekorde zu erzielen: 177 675 Euro waren es 2016. Frank Würzburger, Gast und Gönner, spricht für viele mit seinem Wunsch, dieses Jahr möge es noch mehr werden. Ein Blick in die Menüfolge gibt Aufschluss über eine einzigartige Mischung dieser Veranstaltung zwischen Ernst und Unterhaltung – bei vielen Stammgästen ist sie Kult.

Der Apéro:

Nach und nach füllt sich der Saal. Schnell finden Gruppen bei Sekt und Häppchen zusammen. Der Profimusiker Hansi Kolz untermalt den Apéro mit stimmungsvollen Klängen auf dem Saxophon. Als die 120 Gäste sitzen, eröffnet Guido Neidinger, Chefredakteur der Jaumann-Zeitungen und Spiritus rector von „Leser helfen“, den Abend mit einem Paukenschlag: „Wären wir alle hier Kinder, dann wären 24 von uns arm“. Denn: Jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm oder von Armut bedroht.

Was Armut genau bedeutet, darüber wird der Psychologe Günter Koenemund später im Expertengespräch näher informieren. Meistens nicht so sehr der Mangel an Essbarem oder an Kleidung bringt Kinder laut Koenemund hierzulande in Not, sondern das Ausgeschlossensein von Alltäglichem, was man sich im Gegensatz zu anderen Kindern nicht leisten kann. Ein großes Problem für Hartz-IV-Familien sei zudem im Landkreis Lörrach die bezahlbare Wohnung.

Mit einem Blumenstrauß dankt Neidinger zu Beginn Gil Hechler. Gemeinsam mit ihrem Mann Hansjörg ist sie die Gastgeberin des Abends. Blumen gibt es auch für Uta Schroeder, die Geschäftsführerin von „Leser helfen“. Seit Jahrzehnten ist sie auch für Landrätin und Schirmherrin Marion Dammann eine zentrale Figur der Hilfsaktion.

Die Vorspeise:

Rouleau d’astrakon heißt die Vorspeise. Köstlich und wunderschön präpariert, sind die gefüllten Lachsröllchen zauberhaft, aber kein Zauberwerk. Das im niveauvoll gestalteten Programmheft mitgelieferte Rezept macht es deutlich. Im Anschluss gibt’s etwas zu sehen. Mit eindringlich gespielten Szenen rücken die Schauspieler des Jungen Theaters unter der Leitung von Birgit Vaith Momente von Armut und Ausgrenzung in den Blickpunkt. Da ist die Geschichte von Ella, die mit ihrer Mutter in einem Auto haust, oder die von Baschar, dem Flüchtlingskind, der vor dem Spott seiner Mitschüler unter dem Tisch Zuflucht sucht. Lea wünscht sich mehr Aufmerksamkeit von den Eltern statt ständig neuer Klamotten und Geldgeschenke, während die Älteste von sieben Kindern seufzt: „Wir sind einfach zu viele“, als es die Mutter allein nicht mehr schafft. Ihr ausdrucksvolles Spiel und Blicke, die Bände sprechen, lassen die dargestellte Not der Kinder für die Zuschauer real werden. Für die Binzener Gönnerrunde – namhafte Unternehmer und Freiberufliche – ist das Grund genug, dem Theater stellvertretend für den Sozialen Arbeitskreis (SAK) einen Scheck in Höhe von 4000 Euro zu überreichen. Die Gönnerrunde – das sind: Dr. Hansjörg Jaumann, Dr. Hans-Jürgen Weh, Thomas Sieberer, Anwaltskanzlei Seidler und Partner, Jörg Hieber, Wolfgang, Bernhard und Frank Würzburger, Günter Amann, Oliver Bohn und Antonio Guida.

Der Zwischengang:

Weltins samtig über die Zunge gehende Süppchen von Mais mit Scampi ist ein echter Küchenknüller, mit seinem feinem Aroma punktgenau platziert zwischen süß und pikant. Pikant auf eine etwas andere Art ist die Kabarettistin Alice Hoffmann, die als Vanessa Backes fachkundig und ohne Tabus einführt in die Geheimnisse des saarländischen Dialekts von „Dätsch mer mol“ bis „Dibbelabbes“. Jetzt wird gelacht, bis die Tränen in den Augen stehen.

Früher machte Hoffmann als Hilde Becker in der ARD-Comedyserie Familie Heinz Becker Furore, jetzt steht sie inmitten der Binzener Runde. Gute Beziehungen der Verantwortlichen in die deutsche Kabarettszene haben es ermöglicht, einen solchen Stargast nach Binzen zu holen.

Der Hauptgang:

Mit den Entenbrüstchen mit L’orange-intense-sauce hat die Küche ein leichtes Hauptgericht mit Pfiff gezaubert, das vom Aroma her ein bisschen an Weihnachten denken lässt. Das kommt an, ebenso wie der dazu gereichte 2012er Spätburgunder SL.

Eher schwerverdaulich ist, was Günter Koenemund von der psychologischen Beratungsstelle des Landkreises Lörrach aus eigener Erfahrung über die Not von Kindern berichtet. Seine Einrichtung richtet sich in erster Linie an Eltern, um sie durch verschiedene Hilfestellungen wieder dazu zu befähigen, sich um ihre Kinder zu kümmern, betont er. Um aber auch Kinder ganz direkt anzusprechen, gibt es seit einigen Jahren die „offene Sprechstunde“, ein Angebot, bei dem es an Nachfrage noch nie gemangelt habe. Mit der Babylotsin am Elisabethenkrankenhaus wird versucht, gleich nach der Geburt eines Kindes diskret und unverbindlich Hilfebedarf aufzuspüren. Eine Spende von 5000 Euro nimmt Frank Meißner als Vertreter der Vereine KisEl (Kinder suchtkranker Eltern) und Leuchtturm (Kinder psychisch erkrankter Eltern) entgegen. Kinder und Eltern werden dort in ihrer schwierigen Situation fachkundig begleitet, erläutert Meißner. Den Sponsoren der Binzener Runde, Rainer Liebenow (Sparkasse Lörrach-Rheinfelden), Peter Blubacher (Sparkasse Markgräflerland, Mathias Nikolay (Badenova) und Dr. Karl Busch von der Firma Busch in Maulburg ist das alle Unterstützung wert.

Das Dessert:

Der offizielle Teil neigt sich dem Ende zu, ein feines Dessertbuffet von hausgemachtem Tiramisu über Panna Cotta bis hin zu frischen Früchten wird von Hansi Kolz untermalt mit flotten Evergreens am Saxophon, hier und da wird sogar getanzt. Wieder einmal ist es den Veranstaltern gelungen, in der Binzener Runde Menschen zu vereinen, und das alles für einen guten Zweck. Die Aktion „Leser helfen notleidenden Menschen“ hat damit erst begonnen. Mit der Riesentombola als deren populärstem Standbein geht es weiter. Verlost werden weit über 600 Preise im Wert von mehr als 80 000 Euro. Der Hauptgewinn ist ein Toyota Yaris Hybrid im Wert von 20 500 Euro, gestiftet von Oliver Schultheiß, dem Chef des Autohauses Schultheiß in Weil am Rhein/Maulburg. Am Eingang des Restaurant Mühle konnte er am Freitag bereits bewundert werden. Bis kurz vor Weihnachten steht das umweltfreundliche Auto vor dem Jaumann-Verlagsgebäude am Alten Markt in Lörrach.

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