Lörrach Trauma und Rassismus

Die Oberbadische
Foto: Jürgen Scharf Foto: Die Oberbadische

Lesung: Bride (Lisa Stiegler) und Booker (Vincent Glander) bei den Wintergästen

Von Jürgen Scharf

Lörrach. Booker und Bride, beide Anfang 20, beide mit einem Kindheitstrauma: Er, Booker, verlor seinen Bruder Adam durch einen pädophilen Kindermörder; sie, Bride, heißt eigentlich Lula Ann, und ist wie Booker eine Schwarze mit einer „Haut so schwarz wie Teer“. Ihre Mutter sieht sich aber mehr als Weiße und ist bei der Geburt schockiert.

Aber das führt nur zum Anfang dieser Geschichte „Gott, hilf dem Kind“, dem neuen Roman der amerikanischen Nobelpreisträgerin Toni Morrison. Jede Figur in diesem Roman hat Kämpfe zu kämpfen. Man denkt, es gibt nur ein Problem, aber es gibt deren viele. Gegen Ende, nach manchem Abenteuer und mancher traurigen und gewalttätigen Episode, kommt es erst raus: die Lüge, die Schuld.

Auf der breiten Bühne in der großen Reithalle im Wenkenhof sitzen vier Sprecher. Die drei Frauen sind die Ich-Erzähler, der Mann spricht im Erzählton. Links sitzt die Mutter, die sich Sweetness nennen lässt, neben ihr Lula Ann Bridewell, die sich später nur Bride nennt, dann kommt Booker, ihr Geliebter, den die beste Freundin Brooklyn (rechts daneben) als wenig vertrauenerweckendes „Raubtier“ charakterisiert.

Neben den Hauptthemen Hautfarbe und Herkunft dreht sich die Geschichte noch um eine gewisse Sofia Huxley, eine Lehrerin, die jahrelang wegen Kindesmissbrauch hinter Schloss und Riegel saß, weil die damals achtjährige Lula vor Gericht falsch ausgesagt hat. Als sich Bride bei der aus der Haft Entlassenen entschuldigen will, wird sie von ihr grün und blau geschlagen. Damit nicht genug. Auf der Suche nach ihrem Booker, der sie mit dem lakonischen Satz „Du bist nicht die Frau, die ich will“ sitzen lässt, erlebt sie noch einiges mehr. Unter anderem fliegt sie, die als narzisstische, glamouröse schwarze Schönheit Karriere bei einem Kosmetikkonzern gemacht hat, bei der Fahrt in den Süden aus der Kurve und kracht mit ihrem Jaguar gegen einen Baum.

Die Story wird von den Frauen aus ihren Erzählperspektiven im Wechsel erzählt. Man muss bei dieser letzten szenischen Lesung der „Wintergäste reloaded“ doch höllisch aufpassen, denn die Episoden klingen manchmal improvisatorisch. Jeder erzählt in Rückblenden aus der Kindheit, manchmal in langen Monologen, und es gibt auch richtiggehend surreale Erzählmotive darin. Etwa, wenn Bride feststellt, dass sie nur noch kindliche Brüste hat.

Von Liebe und Schuld

Passend dazu war die szenische Einrichtung durch Marion Schmidt-Kumke (Dramaturgie und Realisation), die die Erzähler in wechselndem Scheinwerferlicht beleuchtet und zu Wort kommen lässt. Liesa Stiegler als Lula/Bride rückt erst am Schluss mit der Wahrheit heraus, ihre beste Freundin weiß längst: „Sie lügt“. Chantal LeMoign ist die Mutter, die nicht Mutter genannt werden will, Vincent Glander der flippige und saloppe Aussteiger Booker, Sibylle Mumenthaler (eingesprungen für Angela Buddecke) die „Pseudofreundin“ Brooklyn. Es gab auch noch andere Rollen zu sprechen.

Morrison erzählt anhand dieser Geschichte des schwarzen Überraschungsbabys von Liebe und Schuld, Lüge und Rassismus, Tätern und Opfern, am Schluss auch von Hoffnung, denn Bride ist guter Hoffnung, bekommt von Brooker ein Kind, und das Ganze läuft, vielleicht etwas zu sentimental, auf ein mild verklärendes Happy End hinaus. Gut, dass die Dramaturgin die vielen Handlungsfäden zusammengefügt und manches gekappt hat, damit man die Geschichte stringent mitverfolgen konnte, die im prägnanten Sprachstil der Alltagssprache geschrieben ist.

Man könnte sie auch als ein modernes Märchen lesen, die Geschichte von der schönen Bride, die sich aufmacht, ihren Lover zu suchen. Jedenfalls ein ganz beeindruckender Abschluss der diesjährigen grenzüberschreitenden Lesereihe und ein Blick in das andere, schwarze Amerika.

Basel/Lörrach. Der Beifall ist verklungen, die Scheinwerfer sind erloschen, die Lesemanuskripte zugeklappt: Die „Wintergäste“ 2018 werden in bester Erinnerung bleiben. Um die tausend Zuhörer haben an den drei Spielorten – dem Lörracher Werkraum Schöpflin, dem Basler Ackermannshof und der Reithalle im Riehener Wenkenhof – die szenischen Lesungen zum aktuellen Thema „Das andere Amerika“ miterlebt. „Ein Riesenerfolg“, freut sich Produktionsleiterin Birgit Degenhardt. Der Zuspruch habe sich gegenüber früher enorm gesteigert.

Als vor fünf Jahren der Burghof aus der Produktion ausstieg, sei man froh gewesen, die Literaturreihe erhalten zu können, als sich mit dem Verein Wintergäste Basel ein neuer Kooperationspartner fand. Die Kooperation sei erfolgreich, bereits zum dritten Mal. Für Degenhardt ist es „der richtige Schritt gewesen“, damit die Literatur lebendig bleibe. Der Erfolg gebe der Sache viel Rückenwind. Jede Lesung habe ein besonderes Element, was sie einzigartig mache; manche Texte seinen Steilvorlagen, es szenisch zu machen, bei anderen gebe es der Text nicht her. „Die Carte Blanche wollen wir unbedingt weiterbehalten.“ Bestens funktioniere die Zusammenarbeit mit der Dramaturgin. Marion Schmidt-Kumke habe ein Gespür für Themen, Stoffe und die richtige Besetzung.

Maria Iselin vom Verein Wintergäste zeigte sich bei der Finissage gleichermaßen beeindruckt von den „exzellenten dramaturgischen Fähigkeiten“. Für Iselin bedeutet das Format der szenischen Lesung eine „besondere Konzentration auf Inhalt, das gelesene, gesprochene Wort“, das einen Film im Kopf bewirke.

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