Lörrach Turbulent, amüsant, lehrreich

Ines Bode
Die 68er-Rebellen fallen in die gute Stube des Kleinbürgers ein. Foto: Ines Bode

Tempus fugit: Exzellent erarbeitete „68er“-Eigenproduktion mündet in Vorstellung vor vollen Rängen.

Lörrach - Eben war sie noch in Ordnung, die Welt des Kleinbürgertums, dann verschaffte sich die 68er-Bewegung Gehör: laut, schrill und provokant trat die Subkultur auf. Den selben Charakter zeigt das 68er-Stück des Theaters Tempus fugit, das am Samstag Premiere feierte.

Mann trug blauen Lippenstift, Frau trug maskuline Schieberkappe. Er zwängt sich in knallengen Latex, sie in signalrote Latzhosen – so stellte sich die aufmüpfige Geschlechterrolle dar. Titel der Revolte: „Da merkten sie, dass sie nackt waren“. 50 Jahre ist sie her, diese Revolution, angezettelt von „einer kleinen Minderheit“, wie es hieß. Es war die Zeit, als die „Antibaby-, Kinderwunsch-Pille“ für Furore sorgte. Wie bitte?, fragten sich Nachfolger-Generationen.

Sexuelle Revolution in den Fokus gerückt

Den Skandal, sprich die sexuelle Revolution, rückten die Verantwortlichen Sabrina Lössl, Benjamin Böcker und Axel Rulf in den Fokus. Aufgeführt am Samstag vor vollen Rängen im eigenen Schauspielhaus im Adlergässchen.

Was der Kleinbürger nicht gewagt hätte, bei Tage auszusprechen, zerrte der Antagonist gnadenlos ans Licht. Frauen und Männer liebten sich vor aller Augen untereinander. Auch die Akteure sprachen Tacheles. Es ging um das Reizthema „Abtreibung“, lange heimlich realisiert. Höchst erstaunt vernahm der Zuhörer, dass Inhaftierte noch bis 2004 ihre Strafe absaßen. Als kriminell galt, wer in Abtreibung verwickelt war.

Allein die Tatsache rechtfertigt die Aufarbeitung der 68er-Thematik, war man sich im Publikum einig. Den Ablauf spickten Fragen und Thesen, belebt mit einer Vielzahl neuer Ansichten – teils radikal inszeniert.

Echte 68er-Sprößlinge auf der Bühne

Oder anders ausgedrückt: es wurde wild, es polterte. Nur ein Aufschrei: „Raus aus meinem Vorgarten“.

Jüngere und ältere Semester mischten sich in der Besetzung, darunter echte 68er-Sprößlinge, zu nennen Manfred Walter. Für den Schopfheimer galt es, in den „Wirren erwachsen zu werden“. Im Stück mimt er den braven Familienvater, während Mutti – wieder mal schwanger – in Kittelschürze den Sauerbraten richtet.

In diesen Kreisen drehte man das Radio lauter, wenn Heintje sein „Mama“ schmetterte, im Radius der „Kommune 1“ indes wenn „Je t‘aime“ erschallte. Der Aufreger in Noten durfte nicht fehlen, ebenso wie Aufklärer Wilhelm Reich. All diese Aspekte eint die Arbeit, akkurat recherchiert, angefüllt mit alter und neuer Denkweise – turbulent, amüsant und lehrreich verpackt.

  •  Wer wissen will, ob die 68er-Revolution vorbei ist oder wir mittendrin sind, hat die Chance am 23. und 24. Januar um 20 Uhr im Bürgersaal Rheinfelden.

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