Lörrach Unfruchtbar gemacht und ermordet

Die Oberbadische
Das historische Foto zeigt das im August 1933 eingeweihte Kriegerdenkmal in Haagen, das NS-Ideologie transportierte: mit den martialisch gestalteten Soldaten, Hakenkreuz und Weltkugel aus Symbol für Weltherrschaft.Foto: Stadtarchiv Lörrach Foto: Die Oberbadische

Geschichte: Historiker Robert Neisen referiert über die Ideologie der Nationalsozialisten in Haagen

In Haagen fiel die Ideologie der Nationalsozialisten auf fruchtbaren Boden. Dies ging aus dem Vortrag über Haagen im Nationalsozialismus hervor, den der Historiker Robert Neisen am Mittwoch in der Alten Halle hielt.

Von Regine Ounas-Kräusel

Lörrach-Haagen. Aber ganz ohne Widerstand konnten die Nationalsozialisten sich in Haagen nicht etablieren. So wehrte sich zum Beispiel Bürgermeister Karl Gümpel, ein überzeugter Demokrat, energisch gegen seine Absetzung im Jahr 1933.

Er wolle nicht als Ankläger auftreten, versicherte Robert Neisen seinen Zuhörern, unter denen auch Ortsvorsteher Horst Simon, Ortschaftsräte und Gemeinderäte waren. Vielmehr wolle er dafür sensibilisieren, zu wie viel Leid und Gewalt eine Diktatur führen könne.

Im Laufe der Jahre wandten sich die Haagener immer stärker den demokratiefeindlichen Parteien der NSDAP und der KPD zu. Dies hatte mehrere Gründe, wie Neisen ausführte. Zum einen waren Gemeinderat und Bürgerausschuss nicht willens, die Wohnungsnot zu beseitigen. Anstatt Geld für den Bau von Wohnungen auszugeben, setzten die bürgerlichen Parteien auf Sparsamkeit. Als es in der Wirtschaftskrise der 1920er Jahre immer mehr Arbeitslose gab, wollte Bürgermeister Gümpel die wachsende Fürsorgeleistung mit einer Bürger- und Getränkesteuer finanzieren. Die NSDAP organisierte Proteste. Dabei nutzte sie das Misstrauen der vermögenden Bevölkerung gegen den Weimarer „Interventionsstaat“ aus. Gümpel setzte die Steuer schließlich per Notverordnung durch.

Im Jahr 1933 etablierten die Nationalsozialisten ihre Macht von oben durch Gleichschaltungsgesetze und von unten durch eine Drohkulisse mit Hilfe von SA und SS. Die Haagener Gemeinderäte, inzwischen mehrheitlich NSDAP, verweigerten Bürgermeister Gümpel die Zusammenarbeit und drohten ihm mit der SA, falls er nicht zurücktrete. Gümpel schaltete das Bezirksamt ein und konnte immerhin seine Pensionsansprüche retten. Auch Gemeinderechner Jakob Fuchs ging nicht kampflos.

Robert Neisen schilderte, wie Haagener Honoratioren die Herrschaft der Nationalsozialisten stützten. So trat der Oberlehrer und Vorsitzende des Gesangvereins Eintracht Rötteln schon 1931 der NSDAP bei. Wilhelm Schöpflin, der 1930 sein Versandhaus gründete, war kein überzeugter Nationalsozialist, so Neisen. Dennoch wirkte er im Jahr 1933 in der Kommission zur Planung eines Denkmals für die gefallenen Soldaten des ersten Weltkrieges mit. Es wurde mit Weltkugel, Reichsadler und Hakenkreuz und zwei martialischen Soldatenfiguren als Symbol der „NS-Weltherrschaft“ gestaltet.

Der Historiker schilderte, wie sich die Lage der Bevölkerung unter den Nationalsozialisten nur teilweise verbesserte. Die Textilfirma Großmann, Brombach, und die Spinnerei Haagen-Rötteln, die in der Wirtschaftskrise schließen musste, boten wieder Arbeitsplätze. Das Versandhaus Schöpflin hatte 1939 sogar 700 Mitarbeiter. Doch beim Bau von Arbeiterwohnungen scheiterten die Nationalsozialisten kläglich am Dickicht gegensätzlicher Interessen.

Der Historiker berichtete auch über den Terror der Nationalsozialisten in Haagen. Zum Beispiel kam der Arbeiter Martin Glogger, der sich weigerte in der Firma KBC kriegswichtige Produkte herzustellen, im KZ Dachau um. Verfolgt wurden auch Anhänger der Zeugen Jehovas. Neisen schilderte auch, wie ein Bauernsohn, der als „schwachsinnig“ galt, unfruchtbar gemacht wurde und wie ein Arbeiter der Spinnerei im Zuge des „Euthanasieprogramms“ in der Anstalt Grafeneck ermordet wurde.

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