Lörrach Corona und die Psyche

Gabriele Hauger

Interview: Die Psychologische Psychotherapeutin Dr. Cornelia Kneser über Corona, Quarantäne und die Folgen

Lörrach - Was machen Corona-Angst, Homeoffice und Quarantäne mit uns? Für viele sind sie eine große psychische Belastung. In ihrer therapeutischen Arbeit stellt Dr. Cornelia Kneser aus Lörrach die Bedürfnisse ihrer Patienten in den Mittelpunkt und versucht, ein lösungsorientierte Vorgehen darauf abzustimmen. Darüber sowie über praktische Empfehlungen in der Krise unterhielt sich Gabriele Hauger mit der Psychologin und Achtsamkeitslehrerin.

Was macht Corona mit uns?

Corona macht Kontrollverlust. Wir haben alle ein Bedürfnis nach Kontrolle. Wenn wir diese verlieren,  kann das alte Gefühle  von Hilflosigkeit aus der Kindheit  aktivieren, bedrückend sein und psychische Störungen auslösen.  Außerdem: Wir haben 40 Prozent mehr Alkoholkonsum als in Vor-Corona-Zeiten.  Auch wenn das Trinken uns vielleicht kurzfristig belastende Dinge vergessen lässt:  Langfristig gesehen ist es eher depressionsfördernd.  Zudem gibt es natürlich Menschen, die materiell  von der Krise gebeutelt sind.   Auch, wenn  wir das selbst nicht sind, nehmen wir  doch automatisch in uns auf, was gesellschaftlich passiert. Wir sind immer auch ein Kollektiv.

Wie reagiert der Mensch darauf, wenn es ihm angesichts  der Pandemie schlecht geht?

Wenn es uns schlecht geht, halten wir das oft für eigenes Versagen. Das löst dann Scham aus, und wir versuchen, das zu verbergen, ziehen uns zurück. Wir schaffen es oft nicht, uns in unserem Leid mit anderen zu verbinden. Dadurch entsteht noch mehr Isolation.   Wenn es uns schlecht geht, greifen wir auf alte, vertraute und oft unflexible Muster zurück. Doch die Pandemie fordert uns gerade heraus, kreativ zu sein. Das fällt uns unter diesen Umständen dann schwer.

Wie reagiert darauf  unser Unterbewusstsein?

Corona war zunächst   eine unmittelbar  nicht greifbare  Bedrohung. Das ändert sich zunehmend. Die Einschläge kommen näher, man kennt viel mehr Betroffene oder Menschen, die  in Quarantäne müssen. Alles, was wir nicht greifen können, wirkt bedrohlich. Und wir wissen noch relativ wenig über diese Erkrankung. Unser mentaler Apparat ist zudem sehr darauf ausgerichtet, die problematischen, negativen Dinge wahrzunehmen. Das ist biologisch auch durchaus sinnvoll für unser Überleben.

Der berühmte Hirnforscher Rick Hanson sagt: Für  positive Erfahrungen wirkt unser Gehirn wie Teflon, sie perlen ab; für negative Erfahrungen wie Klettband, sie bleiben hängen.  Wenn unser Gehirn verstärkt im Leerlauf ist – so wie derzeit  im Lockdown –  dann tritt es in einen Modus ein, bei dem es nach möglichen Problemen und Lösungen dafür sucht, auch in Vergangenheit und Zukunft, selbst wenn sie im gegenwärtigen Moment kaum relevant sind. Für dieses Kreisen der Gedanken ums Negative gibt die Pandemie uns viel Raum.

Was passiert, wenn wir positiv getestet oder in Quarantäne sind?

Krank  sein ist für viele Menschen schwierig.  Bei vielen, die positiv getestet werden, löst das massive Scham aus,  als ob sie daran schuld wären. Und gleichzeitig flammt die Angst auf, andere unfreiwillig angesteckt zu haben. Ein weiterer Aspekt ist die gestiegene soziale Kontrolle: Wir schauen, wer wie die Maske trägt, ob jemand sich desinfiziert – das ist alles neu. 

Ein Tipp   für alle, die in Quarantäne sind: Nehmen Sie soziale Hilfsangebote an, zumal das eine Win-win-Situation ist: Jemanden zu helfen macht glücklich, wenn man sich selbst dabei nicht überfordert. Leider fühlen wir uns in Situationen, in denen wir Hilfe brauchen und darum bitten müssen, oft schwach. Um einen  hohen Preis versuchen wir dann, unser Selbstbild aufrecht zu erhalten, dass wir doch autonom sind und alles selber hinkriegen.  

Einen Buchtipp hätte ich auch noch: Der Mönch Anselm Grün hat über Quarantäne geschrieben: „Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung: So gelingt friedliches Zusammenleben zu Hause“ – durchaus lesenswert.

Wer braucht Sie jetzt vor allem?

Meine Patienten erleben, dass  ihre Bewältigungsfähigkeiten einfach nicht mehr ausreichen. Viele erfuhren  das Homeoffice  zunächst als ganz angenehm, alles ein bisschen ruhiger und entspannter. Nach dem Motto: Ich kriege das ganz gut hin, auch mit den Kindern, mache meinen Sport.

Doch nach drei, vier  Monaten merkten sie: Ich schaffe es nicht, mich zu disziplinieren. Das Homeoffice frisst sich ins Privatleben. Es war ja schon vor Corona wissenschaftlich belegt, dass diejenigen, die im Homeoffice sind, in der Regel mehr Arbeitszeit leisten als im Büro. Die  Vermischung  setzt sich jetzt noch fort: Ich mach’  noch schnell die Wäsche zwischen zwei Sitzungen. Das alles wirkt sich auf die Psyche aus.   

Natürlich merken das diejenigen Menschen am stärksten, die schon vorher an ihrer Belastungsgrenze entlang schrammten und alles jonglieren. Dazu trägt die spezielle Situation bei: Isolation, wenig Kontakte. Das spricht menschliche Grundängste an, denn die allermeisten Menschen  fürchten  die Einsamkeit.

Geben Sie uns ein paar Beispiele aus Ihrer Praxis.

Wir merken, dass die Nachfrage deutlich steigt. Das bestätigen auch die Krankenkassen und Verbände.  Wir sehen in den Praxen jetzt natürlich nur die Menschen, die sich trauen zu  kommen und die sich auf den Weg machen. Die vielen, die das mit sich allein  austragen, kommen vielleicht erst nach Monaten oder Jahren. Ich erlebe Menschen in meiner Praxis, die es einfach nicht mehr schaffen, etwas Schönes zu planen, was trotz Lockdown noch möglich wäre. Ich erlebe Patienten mit Krebsdiagnose und ihre Angehörigen, die verzweifelt sind, weil eine Operation aufgeschoben werden muss. Ich begleite Menschen,  die im ersten Lockdown Familienmitglieder in den Tod begleiten wollten und das im Krankenhaus nicht konnten,  weil Besuch nicht zugelassen war.

Sind im Falle der Quarantäne nicht vor allem Frauen stärker gefordert? Stichwort: Doppelbelastung.

Statistisch betrachtet  ist es auch ohne Homeoffice so: Sobald ein Paar Kinder bekommt,  übernehmen Frauen mehr Anteil an der Hausarbeit. Da kann ein Paar noch so gleichberechtigt sein. Das mag an  einem übertragenen Rollenverständnis liegen. Mädchen werden immer noch entsprechend erzogen, wenn auch oftmals unbewusst. Frauen neigen dazu zu sagen: „Bevor ich das lange erkläre, mache ich das jetzt noch schnell selbst.“ Das kann zu viel werden. Und Frauen und Kinder sind vorrangige Opfer häuslicher Gewalt. In einer Quarantäne oder unter Lockdown-Bedingungen spitzt sich alles dann noch zu.

Welche Strategien gibt es? Was kann man selbst tun? 

Zunächst: Es gibt es noch Beratungsstellen mit Kapazitäten wie die Burnout-Brücke in Steinen. Jede Strategie, die ich hier nennen kann, ist als Anregung zu verstehen, für tief greifende emotionale Krisen ist immer ein individueller Zugang notwendig. Gehen Sie der Frage nach, was Ihnen wirklich guttut: Geschichten, die das Herz nähren, eine Sammlung von guten Büchern oder Filmen als DVDs oder aus einem Streamingdienst.  Vorlesen stärkt die zwischenmenschliche Verbundenheit, auch am Telefon oder per Videokonferenz. Pflegen Sie Ihre sozialen Kontakte, ob übers Internet oder bei einem Picknick im Freien.

Hilfreich ist alles, was  uns in  der Materie verankert: Gärtnern, Aufräumen, Schöpferisches wie Handwerkern und Malen, auch Backen und  Kochen. Gehen Sie in die Natur, suchen Sie sich dort einen Lieblingsort, feiern Sie die Jahreszeiten. Unter dem Stichwort Waldbaden finden sich gute Anleitungen in Büchern oder im Internet. Verbinden Sie sich mit den Elementen: Feuer machen, durch einen Bach waten, Drachen steigen lassen.

Es gibt viele Bewegungsspiele in der freien Natur, die selbst im Winter und unter Lockdown-Bedingungen Spaß machen. Und: Einen Spielabend kann man auch online gestalten, dafür finden sich im Internet viele Ideen. Menschen, die zu einer Risikogruppe gehören, empfehle ich, sich sichere Masken nach FFP2-Standard zu besorgen, um sich mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen.

Und therapeutisch?

Aus psychotherapeutischer Sicht ist  die Mitgefühlspraxis enorm hilfreich. Selbstmitgefühl erleichtert uns den Umgang mit den Einschränkungen und Auflagen, die uns die Pandemie abverlangt. Empfehlenswert sind das Buch Selbstmitgefühl von Kristin Neff und die Internetseite von Christine Brähler mit Meditationsanleitungen dafür. Ich ermutige zu qualifizierten Online-Kursen. Teilnehmer sind immer wieder überrascht von den tief greifenden Erfahrungen, die auch über dieses Medium möglich sind. 

Auch die Dankbarkeitspraxis ist unterstützend, man findet sie in allen spirituellen Traditionen. Hier ist nicht gemeint: „Du musst dankbar sein, denke an die armen Kinder in Indien!“ Vielmehr geht es darum, sich  immer wieder auf  Stärkendes auszurichten. Sie können zum Beispiel ein Dankbarkeits-Tagebuch führen: Jeden Tag  ein positives Erlebnis hineinschreiben, auch wenn es noch so klein sei. Oft übersehen wir genau das: einen Sonnenstrahl in einem Tautropfen oder das Lächeln der Supermarkt-Kassiererin. Aufgrund seiner Plastizität verändert sich unser Gehirn, je nach dem, womit wir es füttern. Durch entsprechendes Training lassen sich Gedanken und Gefühle positiv beeinflussen. Wir sind, was wir denken.

Bringt Sie Corona selbst auch manchmal an Ihre Grenzen?

Durchaus. Ich merke, dass es Orte gibt, an denen ich mich nicht wohl fühle, wenn ich mich nicht sicher fühle. Und natürlich gibt es Tage, an denen mich das alles  sehr mitnimmt: die Nachrichten, die sich ständig ändernden Regelungen, das Umorganisieren und die Beschäftigung mit  Themen, die neu für mich sind – vom Luftreiniger bis zur doppelt verschlüsselten Video-Schaltung. Oft nehmen wir gar nicht wahr, wann die unangenehmen Gefühle wieder vorbeigehen. Gefühle kommen und gehen, denn sie sind endlich, wie alles in diesem Zeitenlauf.

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