Lörrach Vom Zeitgeist und Menschsein

Jürgen Scharf

Ausstellung: Hommage an Ibenthaler zum 100. Geburtstag in drei Häusern  in Lörrach und Müllheim

Lörrach/Müllheim - Seine existentielle Auseinandersetzung mit dem Menschen und seine andauernde Beschäftigung mit Landschaft zeigen die drei Jubiläumsausstellungen zum 100. Geburtstag Paul Ibenthalers. Mit einer umfassenden Retrospektive würdigt das Dreiländermuseum einen der letzten expressiven Realisten mit den repräsentativen Ölgemälden aus dem Museumsbestand und zahlreichen Leihgaben der Ibenthaler-Stiftung.

Ein paar Schritte über die Bahnlinie hinweg stellt das Ibenthalerhaus über drei Stockwerke wichtige Lebensstationen in den Mittelpunkt. Mit einer kleineren Kabinettausstellung von Landschaften aus dem Markgräflerland schließt sich das Markgräfler Museum in Müllheim dem Jubelreigen an.

Die Porträts

Ibenthaler und Porträts: Das ist ein bedeutendes Thema im Gesamtwerk. Das Menschenbild, die Darstellung des Menschen war ein wesentliches Anliegen des Künstlers. Er malte Wegbegleiter, Familienmitglieder, Personen des öffentlichen Lebens und sich selbst. Für seine Frauenbildnisse hatte er oft Modelle.

Dem privaten Ibenthalerhaus, das 50 Selbstporträts besitzt, ist ein ganz besonderer Ausstellungscoup geglückt. So viele Selbstbildnisse hat man von ihm noch nie gesehen. Sie zeugen von der intensiven Beschäftigung mit dem eigenen Ich und dem Selbstverständnis als Maler und reichen von dem frühen „Selbstbildnis in gelber Jacke“ aus der Pariser Zeit bis zum letzten Selbstporträt kurz vor dem Tod, einem sehr asketischen, vielleicht unvollendeten Bild.

In vielen Arbeiten hält Ibenthaler den Pinsel in der Hand, am Bildrand erscheint ein Teil der Palette, die Staffelei, ein Bilderrahmen, wie als Bild im Bild. Man sieht den Maler im Arbeitskittel oder mit Pfeife, draußen mit Sommerhut und entspannter Miene, als ob er im Freien malte.

Fasziniert wie betroffen steht der Betrachter vor einigen der exzessiven Selbstreflexionen, die Ibenthalers eigene Entwicklung, künstlerisch wie geistig, wiedergeben. Ähnlich wie die Darstellungen von Natur und Landschaft belegen die Selbstporträts, dass die Farbe ein ganz wichtiges Gestaltungsmittel für Ibenthaler war, mit dem er Stimmungen, Gemüts- und Seelenzustände auszudrücken vermochte – in ausdrucksvollen Bildern voller Symbolgehalt.

Dieser Tage war zu lesen, dass Vincent van Gogh ein Selbstporträt während einer Psychose malte. Van Gogh hat sich oft selbst gemalt. Auch Paul Ibenthaler hat seine eigene Pathologie dargestellt, das Tragische des Menschseins, die eigene Passion. Die Selbstporträts zeigen überdies, dass er über sich hinausgewachsen ist, sich als Persönlichkeit objektiviert hat und es ihm gelungen ist, den Zeitgeist aufzunehmen und an geistige Zusammenhänge anzuschließen.

Mutige, eindrucksvolle Hängung mit großer Wirkungskraft

Ähnliches gelingt in anderen Bildnissen wie dem alten Arbeiter aus der KBC, dem „Lachenden Mann mit roten Haaren“ oder – grafisch plakativ – dem „Apotheker J.S.“. Auffallend experimentell in der modernen, picassohaften Bildsprache wirkt das Bildnis des Museumsdirektors Werner Schmalenbach. Während der Holzschnitt „Mann am Tisch mit Flasche“ eher zu den typologischen Studien zählt, ist das „Trinker“-Motiv Ausdruck einer gebrochenen Existenz, gezeichnet von Desillusion und Einsamkeit in der Nachkriegszeit.

In beiden Lörracher Häusern sieht man solche interessanten Selbstbildnisse und Porträts. Im Ibenthalerhaus wurden sie von Kurator Martin Leccese noch nie so eng gehängt wie dieses Mal: eine bemerkenswert mutige, eindrucksvolle Hängung mit großer Wirkungskraft. Einige dieser Selbstbespiegelungen haben ganz starken Ausdruck, zeigen Melancholie, aber auch Elend, das sich in einem Porträt mit rotgeränderten Augen ausdrückt. Ein Raum versammelt eines der häufigsten Modelle, Elisabeth Ernst, von der Ibenthaler die meisten Porträts und Aktbilder malte.

Dreiländermuseum

Chronologisch und thematisch geordnet hat Kuratorin Dina Schneberger die Werkgruppen im Dreiländermuseum. Sie beginnt mit dem Frühwerk, das noch konform und idealisierend erscheint und das erste Selbstbildnis von 1938 und eine Kopie nach Botticelli enthält. Es folgt der Wandel zum angehenden Künstler, der als Besatzungssoldat nach Paris kommt, „mit Genuss durch Museen flaniert“, Einflüsse von Cézanne und dem französischen Impressionismus aufnimmt. Laut Schneberger fiel es Ibenthaler „wie Schuppen von den Augen“, dass es noch eine andere Kunst gab als die, die er bisher kennengelernt hatte.

Die nächsten Stationen sind Kriegsende und Heimkehr. Ibenthaler arbeitet die Zeit auf („eine ganz wichtige und bedeutende Abteilung“). Die Schrecken und das Grauen des Krieges schauen einem aus manchen dieser Nachkriegsbilder entgegen. Weitere Schwerpunkte sind religiöse Kunst, Stillleben, Akt, Figur, Landschaft, mit Hauptwerken dieser auf Ausdruck angelegten Kunst.

Spannend ist das thematisch aufschlussreiche Kapitel „Ibenthaler und die zeitgenössische Kunst“, wo „raumgreifende Polemik“ in Bildfindungen mit Avantgardekünstlern wie Beuys, Warhol, Christo und Fontana („Party“) einfließt. Wie Ibenthaler ja überhaupt die zeitgenössische Kunst mit ihren amerikanischen Einflüssen kritisch gesehen hat.

Repräsentativ in der Museumsschau ist der Themenkomplex „Porträtmaler“. Dem Bildnis des ehemaligen Lörracher Oberbürgermeisters Egon Hugenschmidt gibt Ibenthaler einiges an Selbstsicherheit mit. Auch das Aktmalen liegt ihm, „fordert ihn aber nicht so wie das Porträtieren“, wie die Kunsthistorikerin feststellt, war aber ein Bereich, dem Ibenthaler viel Aufmerksamkeit schenkte.

Ein anderes zentrales Thema ist die Figur. In der Schau wird das Figurenbild als „erweitertes Porträt“ mit anderer Zielsetzung erfasst, als „psychologische Studien in Bildform“. Neben dem Menschenbild ist Natur und Landschaft seiner näheren Umgebung sowie das Leben der einfachen Leute ein Themenkreis, der sich in kraftvollen Szenen des kargen bäuerlichen Lebens niederschlug.

Markgräfler Museum

Wer den Weg nach Müllheim wählt, kann im Markgräfler Museum in zwei Foyer-Räumen Werkbeispiele dieses Genres sehen: Bauernpaare auf dem Weg ins Feld, die Rübenhackerinnen auf dem Dinkelberg, ein Fuhrwerk, die Kartoffelernte oder Schnitter mit der Sense – ein Motiv, in dem der Einfluss von Ibenthalers Künstlerfreund Adolf Riedlin sichtbar wird.

Mühelos mit Adolf Strübe mithalten, kann die kubistisch-abstrahierte „Markgräflerin“. Unter den Landschaften vom Markgräflerland, Dinkelberg und dem Rhein fällt der expressiv gestrichelte „Sommertag bei Blansingen“ ins Auge, ein Pastell, das vom Stil her an van Gogh erinnert.

Man sollte sich also nicht nur die schön kuratierte und aspektreiche Lörracher Museumsrückschau und die sehr persönlich und biografisch orientierten „Lebenslandschaften“ im Ibenthalerhaus anschauen, sondern auch den kleinen, aber feinen Müllheimer Beitrag im Blankenhorn-Palais, der das Gesamtbild von Ibenthalers Lebenswerk abrundet.  

Dreiländermuseum bis 8. März, Di-So 11-18 Uhr, Ibenthalerhaus bis 26. Juli, So 15-17 Uhr, Markgräfler Museum bis 19. April, Di-So 14-18 Uhr

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