Lörrach Wenn Orwell nur noch niedlich ist

Die Oberbadische
Wunderbar wandelbar: Mathias Richling, der Duracellhase unter den Kabarettisten Foto: zVg Foto: Die Oberbadische

Kabarett: Von Merkel bis Martin Luther: Mathias Richling brillierte im Lörracher Burghof

Von Dorothee Philipp

Lörrach. Dass 25 Talkgäste ausgefallen sind und deswegen kurzfristig durch Mathias Richling ersetzt wurden, freute das Publikum im Lörracher Burghof. Ebenso diese Ansage aus dem Off mit einer zittrigen, sächselnden Erich-Honecker-Stimme. Das Bühnenbild ist gigantisch. Ein Riesenauge wacht über der Bühne, transparente Kuben in verschiedenen Dimensionen möblieren das Ganze und dienen dem Künstler während der folgenden zwei Stunden als visuelle Verdeutlichung von Ort- und Zeitebenen.

Man reist laut Programm ja auch ins Jahr 2084, nachdem Orwells Visionen von 1984 längst überholt und als Big-Brother-Show im Fernsehen verniedlicht sind. Richling braucht keine Kostüme, keine Perücken: Wenn er in die Rolle seiner imaginären Gäste schlüpft, sind diese so präsent wie im echten Leben, nur dass ihre Macken viel deutlicher herauskommen.

Der Duracellhase unter den Kabarettisten, nimmt seinen Zweistunden-Nonstop-Monolog auf, tigert flügelschlagend auf der Bühne hin und her, die müsste dafür eigentlich mindestens 200 Meter breit sein. Der Mann ist ein Energiebündel, geht gleich zur Sache: Die Wahl. Martin Schulz, der „Briefbeschwerer seiner Partei“ randaliert als Suppenkaspar „ich esse keine Merkel, nein...“ und war alsbald „politisch tot“, dann kommt Lindner und beweist, dass Politik und Wirtschaft zusammengehören, wie man am Alt-Kanzler Schröder mit seinem 400-tausend-Euro-Job sieht...

Richling ist nicht nur Kabarettist, der von seinen Einfällen schier überrollt wird – die Textkaskaden schichten die Pointen im Sekundentakt – er hat auch Theaterblut in den Adern, deswegen kann man ihn getrost auch Künstler nennen. Wie er die Kanzlerin des Jahres 2084 ihre Rede halten lässt, die auch in einen Kampf mit dem ständig verrutschenden Gebiss ausartet! Sie mahnt eine gesetzliche Männerquote in den Unternehmen an und stellt das soundsovielte Milliardenpaket für Griechenland in Aussicht. Dann geht es zügig weiter. Es treten auf Jogi Löw mit seinem typischen Lefzengeräusch, Martin Schulz, der sich Willy-Brandt-like mit einer die Sätze absonderlich zerhackenden Rhetorik in Rage redet und dabei schwankt wie eine Palme im Orkan, Anton Hofreiter, der sich von der Frauenquote der Grünen übervorteilt sieht, Christian Lindner, die „Ich-FDP“, der sich denen anbietet, denen die CDU zu schwammig, die SPD zu altbacken und die AfD zu unappetitlich ist: „Wir bieten alles“.

Nicht jeder seiner Talkgäste ist gleich gut in Form, aber mit Wolfgang Schäuble erreicht Richling geradezu die Qualität eines klassischen Dramas. Gekonnt sind die Überleitungen von einem „Auftritt“ zum nächsten, ein Stichwort reicht, und schon ist man in einem neuen Film. Ein Höhepunkt das Interview von Horst Lichter mit Ursula von der Leyen, die Nazi-Devotionalien aus den Kasernen weghaben will. Komisch: An der Luft wird’s immer braun. Und siehe da, sogar der große Reformator Luther ist auferstanden und schwadroniert in aufgeregtem Sächsisch gegen die neuen Götter „Appel, Gockel und Fatzebock“. 500 Jahre geistige Erneuerung für die Katz. „Ach Gott, nee!“

Gallig wird’s, wenn Richling den dauergrinsenden Peter Hahne das Flüchtlingsdrama als Soap-Opera für den Fernsehsessel zurechttrimmen lässt. Aus Gregor Gysis Silbentsunami kristallisiert sich auf einmal das Thema Rüstungsgüter und Menschenrechte heraus, so beiläufig und dann doch so wuchtig, wie das eben nur Richling kann.

Und zum Schluss braucht es dann doch eine Verkleidung: Richling nimmt als Inkarnation von Angela Merkel und Queen Elizabeth in wallender weißer Robe mit goldener Krone vor dem Video mit der echten Queen bei der Thronrede das Märchen vom Fischer und seiner Frau als Vehikel, um den Brexit zu erklären. Das hat Shakespeare-Qualitäten. Überhaupt ist er einer der wenigen, die einen Gedankenfaden so weiterspinnen können, dass da ein Roman entsteht, wo andere nur Zitate-Konfetti in die Luft blasen.

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