Lörrach „Wir vergessen manchmal das Gestalten“

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Interview – Teil II: Oberbürgermeister Jörg Lutz spricht über die trinationale Regio und den schwierigen Wohnungsbau.

Vor vier Jahren – Mitte Juli 2014 – wurde Jörg Lutz zum Oberbürgermeister der Stadt Lörrach gewählt. Damit hat er die erste Halbzeit seiner Amtsperiode hinter sich. Guido Neidinger, Bernhard Konrad und Kristoff Meller nahmen dies zum Anlass, mit dem Stadtoberhaupt eine politische Bilanz der vergangenen  vier Jahre zu ziehen und einen Blick in die Zukunft zu werfen. Herausgekommen ist ein Interview, das wir in vier Teilen – für jedes Jahr eines Seite – in den nächsten Tagen veröffentlichen. Das Gespräch wurde von Guido Neidinger dokumentiert.
 

Herr Lutz, Ihre Vorgängerin hat viel in die positive Außenwirkung Lörrachs investiert und sich sicher auch als erste Marketingfrau der Stadt verstanden. Wo sehen Sie da Ihre Schwerpunkte?
LUTZ: Die Außenwirkung ist mir natürlich auch sehr wichtig, vor allem als Stadt, die gefühlt weit weg ist von Stuttgart und Berlin, also von den politischen Machtzentren. Für mich gibt es zwei Kreise. Zum einen sehe ich da die Region, die mir sehr am Herzen liegt. Deshalb bin ich hier auch in den wichtigen Gremien wie Eurodistrict, Metrobasel und IBA im Vorstand mit gewichtiger Stimme vertreten.

Auch im baden-württembergischen Städtetag und im Deutschen Städtetag arbeite ich in Ausschüssen mit, ebenso im Nachhaltigkeitsbeirat in Berlin und im Thüga-Beirat. Also auch auf Bundesebene bin ich für die Stadt Lörrach präsent. In erster Linie fühle ich mich allerdings als Innenminister. Denn zunächst einmal muss die Stadt funktionieren. Aber es ist für mich selbstverständlich, dass ich gut vernetzt bin in der Region und darüber hinaus.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen der Kreisstadt und dem Landratsamt bei den Projekten Kreisklinikum, Weberei Conrad und Radwegeausbau? Bisweilen kann man den Eindruck gewinnen, dass bei der  Kommunikation nach Auffassung der Stadt noch Luft nach oben ist.
LUTZ: Zunächst möchte ich betonten, dass ich mich sehr gut mit der Landrätin, aber auch mit Herrn Müller, dem Geschäftsführer der Kliniken, gut verstehe. Wir pflegen ein vertrauensvolles Verhältnis. Ich bin ja schon lange Mitglied im Kreistag und in anderen Gremien des Landkreises. Ich denke, dass gerade das Kreisklinikum unter einem ganz immensen Zeit- und Kostendruck steht. Wir ringen da inhaltlich schon sehr intensiv miteinander. Und da kann es natürlich auch mal ein bisschen Reibungswärme geben. Insgesamt aber bewegt sich das in einem ganz guten Rahmen, und die Atmosphäre ist geprägt von einem persönlichen Vertrauensverhältnis. Aber wir vertreten unsere städtischen Positionen und Interessen selbstbewusst.

Blicken wir über die Grenze: Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit den Schweizer Nachbarn?
LUTZ: Die Zusammenarbeit in den Gremien ist sehr gut und intensiv. Mit den Akteuren auf Schweizer Seite pflege ich gute Kontakte. Das gilt ganz besonders für die Nachbarn in Riehen und Basel. Persönlich bedauere ich, dass die Vision für die gemeinsame Region etwas verloren gegangen ist. Mein Ziel ist es, deutlich zu machen, dass wir die innovative Modellregion für grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa sind. Vor diesem Hintergrund sind wir aktuell etwas zu viel im Kleinklein unterwegs und vergessen manchmal das Gestalten und die Idee, wie wir am meisten voneinander zugunsten der Bürgerinnen und Bürger profitieren können. Die Aufbruchsstimmung, die vor zehn Jahren beim Eurodistrict geherrscht hat, ist der Geschäftigkeit des Alltags gewichen. Das finde ich schade. In grenzüberschreitende Projekte sollte man mehr Energie und Herzblut einbringen.
 
Ist die IBA Basel nicht ein solches in die Zukunft gerichtetes und zudem grenzüberschreitendes Projekt?
LUTZ: Die IBA zähle ich in jedem Fall dazu. Aber: Ursprünglich hieß sie mal IBA 2020, und nach meinem Kalender haben wir schon bald das Jahr 2020. Deshalb stelle ich mir schon die Frage: Was wird hinterher passieren? Da ist noch viel offen, was geklärt werden muss. Zum Beispiel, wo bleiben die IBA-Akteure mit ihrem Wissen? Mir ist es ganz wichtig, die geschaffenen Strukturen zu erhalten.

Welche grenzüberschreitenden Projekte gibt es denn zur Zeit?
LUTZ: Da sind vor allem die beiden großen Studien zu nennen: die S-Bahn-Studie, die ohne die Schweiz nicht möglich ist. Das gilt auch für die Tram-Studie. Wenn die Tramverlängerung kommen sollte, dann ist das nicht ausschließlich ein Lörracher Tram-Projekt, sondern auch ein Schweizer Tram-Projekt. Auch die Mobilitätsdrehscheibe am Zoll ist ein großes grenzüberschreitendes Projekt. Für mich gilt das auch für die weitere Entwicklung des Lebensraums Wiese.

Wie stehen Sie persönlich zu einer Tramverlängerung?
LUTZ: Ich halte nichts von einer Bauchentscheidung. Die Tram ist ein sympathisches Verkehrsmittel. Sie bedeutet aber sowohl im Betrieb als auch von den Investitionen anders als der Bus erhebliche Aufwendungen. Wenn es irgendwie wirtschaftlich darstellbar ist und wir die Fahrgast-Effekte bekommen, dann gerne. Aber nochmal: Wir sollten gemeinsam und sachlich die Grundlagen erarbeiten und dann schauen.

Bis 2025 sollen in Lörrach 2500 Wohnungen entstehen. Aber überall, wo Sie bauen wollen, gibt es Widerstand. Ist das nicht manchmal zum Verzweifeln?
LUTZ: Gegenwind wird es immer wieder geben. Da darf man sich keine Illusionen machen. Aber wenn unsere Projekte von der Dichte und der Art der Bebauung passen, dann glaube ich, dass wir die Menschen überzeugen können. Natürlich wünsche ich mir als Oberbürgermeister oft, dass es schneller gehen könnte. Andererseits aber geht Qualität beim Wohnen in jedem Fall vor Schnelligkeit. Wichtig ist mir, dass wir überall das Umfeld mitnehmen.

Sind Sie nach wie vor sicher, dass das Wohnungsbau-Ziel zu erreichen ist – auch angesichts der immens langen Planungsphasen?
LUTZ: Es ist ohne Frage ein ambitioniertes Ziel, das wir uns gesteckt haben. Wenn man sich das große Ganze anschaut, also Belist, Neumatt-Brunnwasser, Bühl, Salzert und dann noch andere Bereiche wie den Engelplatz, dann bin ich zuversichtlich. Ob die 2500 Wohnungen im Jahr 2025 alle gebaut sind, sei einmal dahingestellt. Aber die planungsrechtlichen Voraussetzungen für 2500 Wohnungen, so dass gebaut werden kann, die sollten bis dahin geschaffen sein.

Nach dem Kirchberg wurden im Belist die städtischen Grundstücke ebenfalls meistbietend versteigert – ohne soziale Komponente. Wann wird die Stadt auch Normalverdienen wieder die Möglichkeit bieten, Baugrund zu erwerben?
LUTZ: Nicht jeder wird sich in Lörrach den Traum von den eigenen vier Wänden verwirklichen können. Dafür sind die Baukosten hier zu hoch. Es stellt sich auch die Frage, ob wir etwas erreichen, wenn wir den Quadratmeterpreis für Bauland mit 20 Euro sozial ermäßigen. Bei einem Grundstück von durchschnittlich 450 Quadratmetern bringt das angesichts des gesamten Kostenpakets beim Bauen nicht den entscheidenden Vorteil, der den Hausbau dann möglich macht. Erstaunlich war für uns im Belist, dass wir auf die eher günstigen Reihenhausgrundstücke von Privat gar keine Gebote bekommen haben. Dabei wäre hier ein Bauvorhaben für mittlere Einkommen am ehesten möglich.

Es ist ganz klar, dass wir beim Thema Eigenheim nicht alle befriedigen können. Wichtig ist uns, neben den eigenen vier Wänden möglichst viel günstigen Miet-Wohnraum bereitzustellen. Angesichts des knappen Grundstücksangebots und des hohen Drucks am Wohnungsmarkt macht es meines Erachtens keinen Sinn, voll auf die Karte Wohneigentum zu setzen, sondern eher, möglichst viel günstigen Miet-Wohnraum zu schaffen.

Wir haben leider nicht die großen Flächen zur Verfügung. Die Baugebiete, die ich eben genannt habe, dürften die letzten großen bebaubaren Flächen sein. Daher setzen wir aktuell bereits mit gleicher Intensität auf die Nachverdichtung.

Um es noch einmal zu konkretisieren: Eine soziale Komponente beim Verkauf städtischer Grundstücke ist für Sie kein Thema?
LUTZ: Wir haben bereits jetzt eine soziale Komponente. Wenn unsere Wohnbau baut, oder wenn andere Bauträger nach unseren Vorgaben bauen, dann bekommen sie schon heute einen deutlichen Rabatt. Für mich ist das eine soziale Komponente. Damit können wir dem Wunsch nach günstigem Wohnraum als Stadt eher Rechnung tragen, als mit einer Rabattierung auf Grundstücke im privaten Wohnungsbau.

Teil III lesen Sie in unserer morgigen Ausgabe.

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