Lörrach Zwischen Freude und Schmerz

Beatrice Ehrlich
Eindrucksvoller Zusammenklang: Karim Sulayman, Sveta Kundish und Frank London. Foto: Beatrice Ehrlich

Stimmen-Festival: Frank London’s Ghetto Songs im Burghof: Musik aus fünf Jahrhunderten

Lörrach - Die Zeit stand still, als Frank London und sein achtköpfiges Ensemble am Donnerstagabend mit ihren „Ghetto Songs“ im Burghof gastierten. Die schiere Fülle und Pracht der dargebotenen Musik aus fünf Jahrhunderten und die große Bandbreite erschütternder Geschichten, die sich dahinter verbergen, ließen einen als Zuhörer die Corona-Pandemie für einige Stunden vergessen.

Frank London, schon öfter in Lörrach zu hören unter anderen mit seiner Gruppe Klezmatics, versteht es auf fabelhafte Weise, die so unterschiedlichen Stücke, die er für sein Programm zusammengetragen hat, einer schlüssigen Dramaturgie zu unterwerfen. Kongenial zur Seite stehen dem ausgezeichneten Trompeter und versierten Arrangeur dabei seine Mitmusiker an Cello (Julia Biłat), Gitarre (Brandon Ross), Akkordeon und Klavier Ilya Shneyveys, Kontrabass (Greg Cohen) und Schlagzeug (Zeno die Rossi) und, allen voran, die herausragenden Stimmen von Sveta Kundish und Karim Sulayman.

Vielseitig und aufwühlend

Wie vielseitig und aufwühlend die im jüdischen Ghetto entstandene Musik doch ist! Lieder, in denen in Text und Klang Todesangst mitschwingt, stehen gleichberechtigt neben solchen, die die Liebe preisen oder sogar zu ausgelassenem Feiern und Tanzen animieren. „Es ist ein ziemliches Auf und Ab, das wir Ihnen da zumuten“, kommentiert Frank London. Zu jedem Stück erzählt er eine Geschichte, mit Humor und Mitgefühl.

In der Auswahl der Lieder zeigt sich die geschlossene Welt des Ghettos als Brennglas intensiver Gefühle zwischen Freude und Schmerz. Ein eindrückliches Beispiel ist „Minutn fun bitukhn“ von Mordechaj Gebirtig, in dem beides zusammenkommt: unbändige Fröhlichkeit und nicht zu brechender Lebensmut im Bewusstsein eines unabwendbaren, grauenhaften Schicksals.

Den Abtransport in die Todeslager vor Augen, animiert er seine Zuhörer im Warschauer Ghetto, die Hoffnung nicht aufzugeben. Hinter fröhlichen Rhythmen und anfeuernden Rufen öffnet sich ein Abgrund von Angst – ein zutiefst berührender Moment.

Unheilvoll und beunruhigend klingt Dovid Beyglmans doppeldeutiges Wiegenlied „Makh tsu di eygelekh“, fast zur gleichen Zeit entstanden im Ghetto von Łodz. Es ist nur mündlich überliefert, da der Sänger gleich im Anschluss an den Vortrag von einem SS-Mann erschossen wurde.

Aber das ist nur ein Aspekt dieses facettenreichen Konzerts. Musikalische Schätze aus der Vergangenheit hat London von seinen Recherchen über das mittelalterliche Ghetto von Venedig mitgebracht. „Maoz tzur“, in der Synagoge von Venedig abgehört und aufgeschrieben von Benedetto Marcello vor rund 400 Jahren, entfaltet eine ungeheure Wirkung im Duett von Kundish und Suleiman, welches Sänger und Muszierende sichtbar selbst zutiefst beglückt. Gedichte der jüdisch-venezianischen Dichterin Sara Coppia Sullam aus dem 17. und des KZ-Überlebenden Primo Levi aus dem 20. Jahrhundert hat Frank London zum Anlass genommen für eigene farbenreiche Vertonungen.

Besondere Musikerpersönlichkeiten

An diesem Abend stehen besondere Musikerpersönlichkeiten auf der Bühne: Svetlana Kundish, geboren in der Ukraine, hat sich nach klassischer Gesangsausbildung der jüdischen Tradition zugewandt und ist auch Kantorin der jüdischen Gemeinde in Braunschweig. Ihr zur Seite steht der exquisite Tenor Karim Sulayman, Sohn libanesischer Flüchtlinge in Chicago und Grammy-Preisträger als bester klassischer Sänger im Jahr 2019.

Frank Londons unermüdlichem Wirken ist es zu verdanken, diese beiden Ausnahmekünstler gemeinsam auf der Bühne singen zu hören – eine echte Sternstunde. Auch andere glänzen: Für ihre einfühlsamen Soli und Improvisationen erhält die erst kurzfristig zum Ensemble gestoßene Cellistin Julia Biłat begeisterten Applaus.

Es gibt keine Pause und keine Minute Leerlauf in diesem inhaltlich wie musikalisch so ungemein dichten Konzert. Zeit- und Stilsprünge gelingen auf beeindruckende Art. Nahtlos fügen sich auch jene Stücke in den Programmablauf ein, in denen die Ghetto-Thematik kühn auf andere Kulturen und Kontinente ausgeweitet wird. Hier wechseln auch die Musiker ihrem besonderen Ausdrucksvermögen folgend die Rollen: Gitarrist Brandon Ross singt „The world is a ghetto“ zum funkigen Grundrhythmus, und Cellistin Biłat erweist sich als überraschend charismatische Interpretin von Antonio Carlos Jobims Favela-Hymne „O morro não tem vez“.

Erlittenes Leid spiegelt sich in der Musik

Zum Ausklang folgte mit „Gumboots“ dann noch ein rein instrumentales Stück aus einem Township in Kapstadt, das die dem Konzert zugrunde liegende Idee in Zusammenhang bringt mit heutigen Realitäten von Unrecht und Ausgrenzung. Erlittenes Leid und der unbändige Drang, nicht aufzugeben, spiegeln sich hier einmal mehr wider in unnachahmlicher Musik.

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