Lörrach Zwischen Miss- und Aufbruchsstimmung

Hubert Bernnat

Stadtgeschichte: November 1918 in Lörrach. Gewaltiger Zustrom von Soldaten nach Waffenstillstand.

Vor 100 Jahren: Kriegsende und Revolution

Der Erste Weltkrieg endete, die deutsche und badische Republik wurden ausgerufen.  Der Historiker Hubert Bernnat hat die wichtigsten Ereignisse im November 1918 in Lörrach – aber auch in Deutschland  – auf dieser Seite zusammengefasst. Der vorliegende Text ist in einer  ausführlicheren Fassung  im neuen Stadtbuch Lörrach abgedruckt.

I. Kriegsende

Der Krieg war in Lörrach durch die nahe Front auf dem Vogesenkamm immer spürbar. Die Schweiz kontrollierte seit 1914 die bis dahin offene Grenze. Wegen der Kriegslage sollte das Elsass im Sommer 1918 aufgegeben und die Verteidigung auf der rechten Rheinseite aufgebaut werden. Bausoldaten wurden nach Lörrach verlegt. Neben dem Isteiner Klotz sollte der Tüllinger zur Festung werden.

Auch die Reformen vom 28. Oktober, die Deutschland zu einer parlamentarischen Monarchie machten, beendeten den aussichtslosen Krieg nicht. Noch am 1. November war im Oberländer Boten ein Aufruf zur Zeichnung der 9. Kriegsanleihe zu lesen. Doch die Stimmung in der Bevölkerung war längst gekippt.

Lörrachs Oberbürgermeister Erwin Gugelmeier schreibt in seinen Erinnerungen: „Die Kriegsanleihen... gaben jedes Mal wieder Anlass zu Versammlungen, in denen über die Kriegslage berichtet und zur Zeichnung der Anleihe aufgefordert wurde... Und im September-Oktober des Jahres 1918 spürte man bei solchen Versammlungen deutlich den grollenden Unterton kommender schwerer Ereignisse heraus. Die Unzufriedenheit mit der Regierung, die Abneigung gegen den Kaiser waren offensichtlich. Eine lebhafte Missstimmung gegen die Offiziere im allgemeinen war dabei beim einfachen Mann festzustellen. Die Stimmung für die kommende Revolution war vorbereitet und die Atmosphäre in Deutschland bis zum Zerreißen gespannt.“
Schon 1000 Menschen hatten keine Arbeit mehr, die dominierende Textilindustrie war in die Krise geraten. Die Versorgungslage verschlechterte sich. Eine ansteigende Inflation kam hinzu, der Schwarzmarkt blühte. In der Stadt versuchte eine breite politische Koalition mit Unterstützung der Kirchen beruhigend auf die Bevölkerung einzuwirken.

»Die Stimmung für die kommende Revolution  war vorbereitet und die  Atmosphäre bis zum  Zerreißen gespannt.« (Erwin Gugelmeier)

Doch am 4. November begann der Aufstand der Matrosen, die nicht mehr weiter kämpfen wollten. Am 9. November überschlugen sich die Ereignisse. Prinz Max von Baden ernannte vormittags den Vorsitzenden der SPD, Friedrich Ebert, zum Reichskanzler, nachmittags wurde vom Sozialdemokraten Philipp Scheidemann die parlamentarische, wenig später durch den Spartakisten Karl Liebknecht die sozialistische Republik ausgerufen, und am Abend erklärte Kaiser Wilhelm II. den Thronverzicht.
In Baden wurde die großherzogliche Regierung durch eine vorläufige Volksregierung abgelöst. Im Unterschied zu Berlin gehörten dieser auch die bürgerlichen Parteien an. Deutschland und Baden waren nun parlamentarische Republiken, demokratische Verfassungen wurden in Aussicht gestellt.

An vielen Orten kam es zur Gründung von Arbeiter- und Soldatenräten, die in unterschiedlicher politischer Zusammensetzung eine Doppelherrschaft neben den Behörden ausübten. Am 11. November begann in der Schweiz ein Landesstreik.

Waffenstillstand  am  11. November 1918  beendet den Krieg

Der Krieg hatte durch die Inflation zu einer Verelendung der Arbeiterschaft geführt. Der am 11. November 1918 unterzeichnete Waffenstillstand beendete den Krieg. Die Rückführung aller deutschen Soldaten aus dem Elsass innerhalb von zwei Wochen wurde verlangt. Der Waffenstillstand löste Erleichterung aus. Doch die schwer belastenden Bedingungen gingen im Trubel der November-Ereignisse in der öffentlichen Wahrnehmung fast unter.

Viele Soldaten wurden über Lörrach und Müllheim demobilisiert. Das Oberbadischen Volksblatt (OV) schreibt am 18. November, dass diese „in tadelloser Ordnung und strammer Disziplin“ heimgekehrt seien. Die Stadt hatte zu ihrer Begrüßung geflaggt: „In dankbarer Treue und tiefer Ehrfurcht neigen wir vor allem unser Haupt vor den toten Helden... Den heimkehrenden Helden aber rufen wir ebenfalls dankbaren Herzens zu: Seid herzlich willkommen in der Heimat.“

Da ein 50 Kilometer breiter rechtsrheinischer Streifen entmilitarisierte Zone wurde, mussten die Soldaten diese bis Jahresende verlassen. Mit dem Einmarsch französischer Truppen ins Elsass begann zudem die Ausweisung vieler Deutscher. Für die meisten war Baden, und damit auch Lörrach, erste Aufnahmestation.

Ein Bericht des Frauenvereins Lörrach-Stetten zeigt die Herausforderungen: „Nach Eintreten des Waffenstillstandes aber und in Folge der durch die harten Bedingungen nötig gewordenen, übereilten Demobilisierung, kam ein so gewaltiger Zustrom von entlassenen Mannschaften in unsere Stadt, die wegen Überfüllung der Gasthäuser und mangels anderer Verpflegungsmöglichkeiten, im Urlauberheim verköstigt werden sollten.

Solchem unaufhörlichem Andrang war die bestehende Einrichtung natürlich nicht gewachsen und erst nach Eingreifen militärischer Hilfskräfte, mit den entsprechenden Hilfsmitteln (Aufstellung von Feldküchen), ließ sich nach einigen Tagen, in einigermaßen geregeltem Betrieb, in der Weise ermöglichen, daß immer wieder schichtweise, mehrere hundert Personen abgespeist wurden. Da die Schweiz vom ersten Tag der Demobilisierung an, den Grenzübertritt für Deutsche in der Schweiz ansässige Wehrmänner gesperrt hatte, war ein Abtransport unmöglich und die Zahl der zu Verköstigenden stieg von Tag zu Tag in beängstigendem Maße... Bei der Demobilisierung mussten in drei Wochen 15 800 Personen verpflegt werden.“

II. Revolution

Die Revolution erreichte Lörrach am 10. November 1918. Oberbürgermeister Gugelmeier hielt fest: Es „war am Sonntag in einer öffentlichen Versammlung auf dem Marktplatz die deutsche und badische Republik ausgerufen worden. Alles war in Ordnung und ohne große Erregung zugegangen; man war beim Bierersatz zusammengeblieben, rauchte seinen Ersatztabak und schöpfte aus dem Vorgefallenen die Hoffnung, daß doch noch ein erträglicher Friede möglich sein werde. Irgend welcher Widerstand gegen die Ausrufung der Republik hatte sich nirgends gezeigt.“

Verantwortlich dafür waren heimkehrende Soldaten. Nun wurden die Sozialdemokraten, die vor dem Krieg in Lörrach mit Abstand stärkste Partei geworden waren, zusammen mit den wichtigen Gewerkschaften aktiv. Am 11. November erschien im OV ein Aufruf mit der Überschrift „Werktätiges Volk in Stadt und Land“. Der SPD-Landtagsabgeordnete Ernst Rösch, Adolf Kieslich für den sozialdemokratischen und Ernst Rümmele für den christlich-nationalen Textilarbeiterverband hatten ihn unterzeichnet.
Er enthielt „Drei Leitsätze: 1. Die Bevölkerung in Stadt und Land wird dringend ersucht, Ruhe und Ordnung zu bewahren, sodaß die öffentlichen Organe und Betrieb mit Sicherheit funktionieren können. 2. Ausschreitungen oder Gewalttätigkeiten müssen unter allen Umständen unterbleiben und vermieden werden und müßten solche, falls sie dennoch vorkommen sollten, mit aller Strenge geahndet werden. 3. Über die neue Staatsform Deutschlands wird voraussichtlich ein Nationalkongreß endgültig entscheiden. Somit ist es Pflicht jedermanns, Geduld zu üben und nur eins im Auge zu behalten: Das Wohl und die Zukunft des deutschen Volkes.“

Am 11. November gründete sich ein Soldatenrat „im Zeichen der Freiheit, Gleichheit und des Rechts“. Seine Mitglieder waren zumeist durch die Demobilisierung nach Lörrach gekommen. Durch den Zerfall der alten staatlichen Macht konnten die Soldaten, die auf ihre Rückführung in die Heimat warteten, zu einem Sicherheitsrisiko werden.

Auch der Soldatenrat verhielt sich verantwortungsbewusst: „Den Sicherheitspolizisten des Soldatenrats ist unbedingt Folge zu leisten. Plündern und Aufreizung zum Plündern wird mit standrechtlichem Erschießen bestraft. Ausschreitungen gegen Personen anderer politischer Meinung ist verboten.“ Am nächsten Tag formierte sich ein Arbeiterrat aus Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, und es wurde in den Storchen für eine „Große Volks-Versammlung“ eingeladen. Für den Besuch wurden die „Herren Arbeitgeber... höflichst ersucht, unter Fortzahlung des Lohnes die Betriebe von Dienstag mittag bis Mittwoch morgen zu schließen.“

Im Oberländer Boten heißt es über die „Riesenversammlung“: „Eine neue Zeit ist angebrochen, von deren Segnungen wir alle das beste für unser Vaterland erhoffen; eine Regierung hat sich gebildet, die um das Vertrauen des ganzen deutschen Volkes wirbt. Wir sind bereit sie zu unterstützen ohne Einschränkung in der Annahme des Grundsatzes: Gleiches Recht für alle.“ Zur Versammlung hatte auch die linksliberale Fortschrittliche Volkspartei Lörrachs aufgerufen. Zentrum und Nationalliberale waren dagegen noch passiv geblieben.

Trotz der schwierigen Situation verliefen die revolutionären Tage in Lörrach weitgehend ruhig. Dies war dem verantwortungsvollen Handeln von Oberbürgermeister Gugelmeier und den Führern der Gewerkschaften zu verdanken. Neben aller Skepsis und Angst vor der Zukunft herrschte aber im November 1918 in Lörrach auch eine Aufbruchstimmung mit Hoffnung auf eine bessere Zukunft in einer demokratischen Republik.

ZUR PERSON

Hubert Bernnat: Der Historiker ist ehemaliger Direktor des Hans-Thoma-Gymnasiums in Lörrach und Mitglied des Lörracher Gemeinderats.

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