Lörrach. „Das liegt an meinem Alter! – Die Macht gesellschaftlicher Altersbilder“: So lautet der Titel eines VHS-Vortrags von Jelena Siebert, Doktorandin in der Abteilung für Psychologische Alternsforschung an der Universität Heidelberg. Bei der Veranstaltung am Dienstag, 13. Oktober, 19.30 Uhr, im Alten Rathaus, beleuchtet sie aktuelle Altersbilder sowie deren Folgen für Wohlbefinden, Gesundheit und geistiger Fitness älterer Menschen.
 
Frau Siebert, ist man so alt, wie man sich fühlt, oder wie man von der Gesellschaft gemacht wird?
Wohl eher beides. Der Ausspruch „man ist so alt, wie man sich fühlt!“ lässt sich tatsächlich wissenschaftlich bestätigen. Fragt man ältere Personen nach ihrem gefühlten Alter kann man damit sehr gut Wohlbefinden und körperliche sowie geistige Gesundheit vorhersagen – zum Teil  sogar besser als mit dem chronologischen Alter. Die meisten älteren Menschen fühlen sich mehrere Jahre jünger, kaum jemand älter.

Gleichzeitig gibt es aber auch Laborstudien, die zeigen, dass wir durch die bloße Konfrontation mit negativen gesellschaftlichen Altersbildern situativ „altern“: Wir schneiden schlechter in Intelligenztests ab, reagieren physiologisch mit mehr Stress, gehen langsamer und zittern beim Schreiben stärker mit den Händen. Wir sollten also sehr vorsichtig mit negativen Altersbildern sein!
 
Es ist noch nicht allzu viele Jahrzehnte her, da bedeutete Alter für die Mehrzahl der Menschen Schwäche und Armut, was bestenfalls von der eigenen Familie aufgefangen wurde. Heute wird oft von den fitten „Best Agern“ gesprochen. Wie haben sich die Wahrnehmungsmuster des Alters verändert?
Nie zuvor konnten Menschen eine so lange Zeit nach Ende der Berufstätigkeit in so guter Gesundheit erleben. Ob diese große Chance des demografischen Wandels sich auch in einer veränderten Alterssicht niederschlägt, ist bislang jedoch ungeklärt.

Nach wie vor dominieren negative Sichtweisen, und sowohl jüngere als auch ältere Menschen selbst verbinden mit dem Alter viele negative Aspekte. Auch um diesem negativen Bild vom Altern entgegenzuwirken, verwenden Alternsforscher gerne starke Begriffe wie „erfolgreiches“ Altern, was ja eigentlich etwas sehr Gutes ausdrücken will. Aber eben auch Gefahren mit sich bringt. Wir sollten   das gesellschaftliche Leistungsdenken nicht einfach  auf das Altern übertragen. Einerseits könnte dies zu Überforderung und Versagensangst alternder Menschen führen, andererseits negative Haltungen gegenüber Älteren verstärken, wenn entsprechende Altersbildern nicht erfüllt werden. Besser wäre wohl eine ausgewogene Sicht auf das Älterwerden, die die Verluste dieser Lebensphase berücksichtigt aber auch ihre Ressourcen.
 
Zeichnen die Medien aus wissenschaftlicher Sicht ein angemessenes Bild des Alters?
Ich denke, bei der Veränderung von gesellschaftlichen Altersbildern kommt den Medien eine Schlüsselrolle zu. Und hier gibt es leider Optimierungsbedarf. Zwar besteht inzwischen ein weitaus positiveres Bild älterer Menschen als früher, sie werden aktiver, selbstbestimmter, attraktiver und integrierter dargestellt. Inhalte negativer Bilder vom Alter sind in den letzten 50 Jahren weniger geworden.

Dennoch wünsche ich mir mehr Wissensvermittlung und Informationen über alte Menschen, ihre Perspektiven, Bedürfnisse und Potenziale, um ein differenzierteres und realistischeres Bild älterer Menschen zu zeichnen – das heißt: sowohl die Herausforderungen, aber eben auch die vielfältigen Möglichkeitsräume. Wir wissen   aus wissenschaftlichen Untersuchungen, dass selbst im Alter die körperliche und geistige Fitness noch trainiert und verbessert werden kann. Es geht also nicht alles unaufhaltsam bergab. Diese Botschaft fehlt mir in den Medien bislang.
 
Inwiefern beeinflusst die eigene Vorstellung vom Alter schon heute unser Leben?
Altersbilder beeinflussen was wir uns zutrauen und was wir für unsere Zukunft erwarten. Je stärker eine Person davon überzeugt ist, dass Altern einem unkontrollierbaren Abbau und Kontrollverlust gleicht, desto weniger wird sie daran glauben, ihren eigenen Alterungsprozess aktiv mitgestalten zu können. Wenn man also glaubt mit 60 nichts Neues mehr lernen zu können, wird das – obwohl es wissenschaftlich nicht stimmt – einen Effekt haben. Unsere eigenen Vorstellungen vom Alter entfalten ihre Kraft aber auch vor allem auf lange Sicht: Menschen mit einer positiveren Einstellung zum eigenen Älterwerden sind Jahre später zufriedener, weniger vergesslich, gehen zu mehr Vorsorgeuntersuchungen und leben sogar länger.
 
Ich selbst arbeite an einer Doktorarbeit in diesem Bereich und habe anhand von Daten unserer „Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters“ bislang gefunden, dass negative Einstellungen zum eigenen Altern nicht nur ein Risikofaktor für das Gedächtnis, sondern auch für die sogenannte fluide Intelligenz darstellen, also bestimmte geistige Abbauprozesse im Bereich des logischen Denkens und der Verarbeitungsgeschwindigkeit beschleunigt werden. Daher sollten wir uns am besten frühzeitig um unsere Altersbilder kümmern. Unsere Forschungen am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg haben gezeigt, dass das mittlere Erwachsenenalter hierfür besonders geeignet erscheint.
 
Wovon hängen die individuellen Altersbilder ab? Bildung? Einkommen? Was beeinflusst die gesellschaftlichen Altersbilder maßgeblich?
Soziodemographische Faktoren wie Geschlecht, Bildung oder Einkommen beeinflussen unsere individuellen Altersbilder nur wenig. Bedeutsamer scheinen Erfahrungen und Bewertungen des eigenen Älterwerdens, das heißt,  in Bezug auf körperliche, soziale und psychologische Veränderungen, aber natürlich auch gesellschaftliche Vorstellungen darüber, was in einem bestimmten Alter „normal“ ist.

Gesellschaftliche Altersbilder werden wie bereits erwähnt durch Massenmedien geformt, aber auch durch Beobachten und Lernen von früheren Generationen. Unsere Altersbilder sind also gewissermaßen selbst immer etwas veraltet. Es spricht außerdem viel dafür, dass negativ getönte Bilder bereits in der Kindheit ausgebildet werden; insofern könnte auch schulische Bildung in diesem Bereich zukünftig sehr wichtig werden.
 
Wächst die Angst vor dem Alter angesichts einer älter werdenden Gesellschaft wieder? Welche Erwartungen haben junge Menschen heute an das Alter?
Wir haben es vor allem mit speziellen Ängsten zu tun, wie der Angst vor Demenz. Diese scheint in der Tat anzuwachsen und gehört heute zu einer der am meisten gefürchtetsten Krankheiten überhaupt.
 
Welche Konsequenzen müssten diese Entwicklungen für die Arbeitswelt haben? Sind Unternehmen und Politik auf die älter werdende Gesellschaft angemessen eingestellt?
Der Einfluss negativer Altersbilder zeigt sich auch in der Arbeitswelt. Untersuchungen belegen, dass ältere Arbeitnehmer ihre vorhandenen Kompetenzen und Fähigkeiten unterschätzen und dies Folgen für Produktivität, Arbeitszufriedenheit und Leistungsbereitschaft haben kann.

Daher sollte die Gestaltung eines altersfreundlichen Klimas – das heißt etwa auch  Weiterbildungsmaßnahmen unabhängig vom Alter –  ein zentrales Thema darstellen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der folgende Befund: In Ländern, in denen vergleichsweise mehr ältere Leute arbeiten oder ehrenamtlich aktiv sind, werden ältere Personen insgesamt kompetenter eingeschätzt. Das Ausmaß, wie stark ältere Personen eingebunden bleiben, sich und ihre Fähigkeiten einbringen, scheint also wiederum unsere Altersbilder zu beeinflussen.
 
Welche Chancen bieten sich für das weite Feld des ehrenamtlichen Engagements?
Wir sehen in den vergangenen zehn bis 15  Jahren eine beachtliche Zunahme des Engagements unter Älteren, die hier wirklich tolle Beiträge leisten. Diese positive Tendenz sollte man weiterhin fördern durch eine Kultur der Wertschätzung und flexible Strukturen, die sich auch an den Bedürfnissen der ehrenamtlich Tätigen orientiert. Viele möchten ihr erworbenes Wissen und ihre Kenntnisse gerne einbringen und der Gesellschaft etwas zurückgeben, fürchten aber gleichzeitig ein zu starke Einschränkung durch bereits vorgegebene Muster.
 
In welcher Gesellschaft und auf welche Weise würden Sie persönlich gerne leben, wenn Sie 70 Jahre alt sind?
Ich wünsche mir eine zunehmend differenziertere Wahrnehmung des Älterwerdens, die sowohl die Anforderungen als auch die Chancen und Möglichkeiten des Alters begreift und das Altern selbst als gestaltbar betrachtet – „Ich traue mir noch etwas zu – trotz meines Alters!“. Auch erhoffe ich mir eine gewisse Loslösung vom chronologischen Alter als Taktgeber für Entwicklungsschritte und gesellschaftliche Normen. Eine Gesellschaft des langen und gesunden Lebens bietet die großartige Chance, „Lebensaufgaben“ flexibler über längere Zeitspannen zu verteilen.

- Die Fragen stellte Bernhard Konrad

Vortrag:  „Das liegt an meinem Alter! – Die Macht gesellschaftlicher Altersbilder“:  Dienstag, 13. Oktober, 19.30 Uhr, im Alten Rathaus.