Malsburg-Marzell Fachleute sind sich uneinig

Silke Hartenstein
Ein Blick in den Zuhörerraum zeigt reges Interesse. Nicht alle Zuhörer ergatterten einen Sitzplatz Foto: Silke Hartenstein

Bei der Infoveranstaltung zu Windrädern auf dem Blauen gehen die Meinungen auseinander. Besonders Referentin Christine Alewell überrascht mit ihren vehementen Aussagen.

Die Angst vor einer „Umzingelung“ durch Windenergieanlagen (WEAs) sitzt tief bei vielen Bürgern des oberen Kandertals. Zur Bürgerinformationsveranstaltung zu Windenergie, zu der die Gemeinde Malsburg-Marzell eingeladen hatte, platzte die Stockberghalle in Marzell schier aus allen Nähten. Von einigen Zwischenrufen abgesehen, blieb es während der Vorträge recht ruhig.

Viel muss geprüft werden

Wie Tobias Tusch, Geschäftsführer von Bürgerwindpark Blauen, ausführte, könnten ihre anvisierten bis zu sieben WEAs mit je 270 Metern Gesamthöhe und 175 Metern Rotorendurchmesser pro Jahr und Anlage rund 12 000 Megawattstunden Stromertrag liefern. Zwei WEAs sind in der ersten Prüfung. Für fünf WEAs nordöstlich der Kurkliniken, auf dem Hochblauen, dem Hexenplatz und der Hegi läuft bis Juni 2025 die Genehmigungsplanung, gefolgt vom Genehmigungsverfahren bis Mai 2026. Geprüft werden dabei mögliche Einflüsse des Vorhabens auf Menschen, Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima, kulturelles Erbe, Natur- und Artenschutz, Immissionen (insbesondere Schall), Schatten, Eiswurf, Landschaftsbild, Geologie und Hydrogeologie, Wasser-, Denkmal-, Arbeits- und Brandschutz, Boden, Baugrund, Turbulenz, Statik, Standsicherheit, Richtfunk, Flugsicherheit und Wetterradar. „Nur wenn bei allem die Vorgaben eingehalten werden, erhalten wir eine Genehmigung“, stellte Tusch klar. Dann könnte der Windpark bis Jahresende 2028 errichtet sein.

Drei auf Schliengens Gemeindegebiet geplante WEAs fielen infolge eines Bürgerentscheids weg. Im oberen Kandertal liegen vier der fünf Standorte der laufenden Planung ganz oder teilweise im Staatswald, ein weiterer in privatem Waldgebiet. Zwei weitere WEA-Projekte am „Wasen“ und den „Hohen Stückbäumen“ plant die Firma Windkraft Schonach. Angestrebt sei die Übernahme dieser Flächen in den Regionalplan, sagte Projektleiter Ulrich Fischer.

Vorrangflächen nicht fix

Nach den Vorgaben des Bunds müssen in Baden-Württemberg 1,8 Prozent der Landesfläche planungsrechtlich als Vorranggebiete für Windenergie reserviert werden. Zuständig dafür sind die Regionalverbände. Werden die 1,8 Prozent nicht erreicht, dürfen Investoren theoretisch überall Windräder bauen.

Wie Verbandsdirektor Sebastian Wilske vom Regionalverband Hochrhein-Bodensee sagte, sei die gezeigte Grafik des Planungsentwurfs der möglichen Vorrangflächen rund um Malsburg-Marzell nicht als gesetzt anzusehen. Hierzu können bis zum 20. September Stellungnahmen der Verbände, Fachbehörden, Kommunen, Bevölkerung und Träger öffentlicher Belange eingehen. Darauf folgen die Überarbeitung des Entwurfs, eine zweite Anhörung und zuletzt der Satzungsbeschluss. Spätestens zum Jahresende 2025 soll das Verfahren beschlussreif sein.

Den einzigen tosenden Applaus des Abends bekam die Referentin Christine Alewell, Professorin für Umweltgeowissenschaften an der Universität Basel. Sie eröffnete mit: „Ich bin keine Klimawandelleugnerin.“ Sodann erläuterte sie den vielfältigen Wert des Bodens, unter anderem für Regulierung des Klimas, der Treibhausgase, Erhaltung der Stoffkreisläufe, Filterfunktion für Trinkwasser, Hochwasserschutz und als Wasserspeicher. Jeweils samt Zuwegung nehme das Fundament eines Windrads rund 2800 Kubikmeter Boden in Anspruch, pro Windrad blieben bis zu zwei Hektar dauerhaft verfestigte oder versiegelte Fläche, was erhöhten Abfluss bei Starkregen, geringe Versickerung und Wasserspeicherfunktion bedeute.

Die Natur schützen

Ein Rückbau sei infolge zu geringer Bankbürgschaften von Investoren nicht möglich, die Windradflügel seien giftiger Sondermüll, die tiefen Baugruben böten die Möglichkeit der Verklappung belasteten Bodens. Alewells Fazit: „Es gibt viele Lösungen für eine Energiewende – die letzten Reste der Natur in Deutschland zu zerstören, ist keine.“ Zu ihrem Vortrag sagte die Moderatorin Christiane Freitag vom Landesforum Energiedialog: „Das war eigentlich als Fachreferat vorgesehen. Diesen Rahmen haben Sie gesprengt.“

Wie Hydrogeologe Markus Merk vom Ingenieurbüro HPC ausführte, lägen von 774 bestehenden WEAs im Land 277 in Wasserschutzgebieten, bis auf eine allesamt in Zone III. In Zone I ist alles außer Wassergewinnung verboten. Verboten im Einzugsgebiet von Zone II sind etwa Drainagen, Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen, Baustelleneinrichtungen und das Errichten baulicher Anlagen.

Risiken verringern

Im Gemeindegebiet lägen Teile der Vorrangflächen für WEAs in der Zone II. WEAs in Zone II seien selten, doch unter gewissen Voraussetzungen genehmigungsfähig. Das hiesige Gestein bestehe aus „Malsburg-Granit“ und etwas Rhyolith, die Schutzfunktion der Grundwasserüberdeckung werde vom Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau überwiegend als sehr gering eingestuft. Risiken für das Trinkwasser könnten verringert werden durch gründliche Planung, sorgfältige Bauausführung, qualifizierte Bauüberwachung und Monitoring der Trinkwassergewinnungsanlage während und nach Erdbaumaßnahmen.

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