Malsburg-Marzell Inspiriert durch Erzählungen

Tonio Paßlick
Johannes Beyerle in seinem Atelier Foto: Tonio Paßlick

Johannes Beyerle lebt und arbeitet im alten Vogelbacher Schulhaus. Seine Inspiration zieht er aus Gesprächen mit Historikern oder Menschen, die er als Altenpfleger kennenlernte. Bald sind Werke von ihm im Kur- und Festspielhaus von Badenweiler zu betrachten.

In der sanft geschwungenen Mulde des Vogelbach-Tals schmiegen sich die Häuser an den Waldrand. Jenseits vom Lindenbückle ragt stolz der Turm der Sausenburg wie ein Hüter vergangener Wahrheiten aus dem Wald und gegenüber auf der Wasserscheide zum Kandertal thront das alte Schulhaus. Es hat nicht nur Generationen von „Wälder“-Kindern erlebt, sondern auch Konzerte und Lesungen, Gespräche um Kultur und Dialekt, um alte Mythen und neue Einsichten, um Vergangenheit und eine fragile Zukunft.

In dem Haus, das nach dem großen Vogelbacher Dorfbrand 1828 neu und größer errichtet wurde, wo sich einst Dorflehrer und Jazz-Freund Heinz Baumgartner auch lange nach der Schließung der Schule 1968 mit Autoren wie Manfred Marquardt oder Liedermachern wie René Egles, Frank Dietsche oder Roland Kroell traf, wohnt seit mehr als 15 Jahren der Künstler Johannes Beyerle. Seine Torsi aus Lehm und Stroh, Bleistiftzeichnungen und Skizzenbücher haben einen bemerkenswerten Stellenwert im Kunstgeschehen weit über die Region hinaus gefunden.

Respekt für die Geschichte

Beim Atelierbesuch ist der Respekt zu spüren, mit dem der 52-jährige Künstler das Haus und seine Geschichte wahrnimmt. In den einstigen Archivraum blickt man durch die originale Gittertür in einen sorgsam sanierten Raum, der Vergangenheit zu atmen scheint. Auch das Treppenhaus, die Küche, Türen und die technische Ausstattung aus vergangenen Zeiten scheinen mit fast zärtlicher Hingabe gepflegt und erhalten worden zu sein. Als wolle man die Dinge in ihrem Erzählstrom nicht unterbrechen.

„Ich bin ein Kind dieser Gegend“, stellt er ohne jeden heimatverklärten Unterton fest. Seine Kindheit: Das waren der Wald, die Weide, die Tiere. Ein zahmer Fuchs, ein aufgezogener Kolkrabe, das Eintauchen in die nahe Natur mit ihren Geheimnissen sowie Kraft und Geborgenheit stiftenden Fülle: das Kind in sich zu erkennen als offenporig suchender Partner der Natur. Das sind Erinnerungen, die heute mehr denn je Triebfeder für künstlerische Grenzüberschreitungen sind. Beyerle sammelte schon als Kind Tierschädel und andere Zeugnisse der Vergänglichkeit.

Torsi, Zeichnungen, Bilder

Sein Atelier im alten Schulhaus ist eine Schatzkammer dieser Suche nach den Metaphern der Natur und zugleich eine Geschichte seiner Gestaltungsprozesse – mit Torsi aus Lehm und Heu mit ihren charakteristisch feinnervig gestalteten fast engelshaften Gesichtszügen und der zum Körper hin immer rauer geformten Oberfläche. Aus der Patina des feinkörnigen Lehmstaubs ragen die mit Bitumen glatt gestrichenen schwarzen Köpfe heraus. An den Wänden bilden großformatige Zeichnungen und aufspringende Lehmkrusten-Bilder aus dem nahen Steinbruch einen magischen Hintergrund.

Der Kanderner Lokalhistoriker Volker Scheer erzählte Beyerle aus Zeitzeugengesprächen unter anderem von einem Mann, der in der Nazi-Zeit als kleiner Junge im Steinbruch einer Hinrichtung beiwohnen musste. Die Abscheu und das Entsetzen im Gesicht eines Kindes sind in den Triptychen von drei Kinder-Torsi zu finden, die Beyerle in jüngster Zeit geformt hat und die im Oktober in einer Ausstellung im Kur- und Festspielhaus von Badenweiler zu sehen sein werden.

Steine bilden die Basis

Daneben eine wie beiläufig entstandene Collage der Objekte auf einem Treppchen: ein Stapel antiquarischer Bücher neben einem Marder-Schädel, maskenhaften Gesichtern aus früheren Torsi und Steine, die oft in kristalliner Schönheit die Basis für die Torsi bilden.

Im einstigen Schulraum werden Schulklassen eingeladen, um über den Wolf als Mythos und Märchengestalt und als reales Tier mit ausgeprägtem Sozialverhalten zu sprechen. Die Historikerin Kathryn Babeck und Beyerle sehen in der aktuellen Verbreitung des Wolfs bei dem gleichzeitig grassierenden Niedergang der Bestandszahlen in Flora und Fauna ein Phänomen, das tief verankerte Bilder weckt.

Erzählungen inspirieren

Viele Episoden wurden inspiriert durch Erzählungen von Menschen während seiner Gelegenheitsarbeit als Altenpfleger. Die Geschichten verselbstständigten sich, fanden Formen in seinen Zeichnungen. Und während sie noch Sätze bildeten in seiner Erinnerung, begann er sie eines Nachts als Teil der Bilder aufzuschreiben. Skizzenbücher mit kalligrafisch anmutenden Textblöcken, die sich in ihrer eingeschränkten Lesbarkeit dem Intellekt entziehen und der Intuition öffnen. In seinen Skizzenbüchern vermischen weiche Bleistiftstriche Beobachtung mit Anmutung, beschreiben vermeintlich Konkretes und tauchen in ahnungsvolle tiefere Zusammenhänge ein.

Auch die Torsi beschreiben keinen Gemütszustand. In letzter Zeit sind auf den Büsten Sätze eingeritzt, die wie Tattoos mehr Fragen als Antworten liefern. Die Köpfe schauen unergründlich am Betrachter vorbei und erzeugen zugleich einen Sog der Faszination. Für die nächste Ausstellung möchte Beyerle sie in Beziehung setzen zu den bildlichen Metaphern der Natur, den Schädeln von Kleintieren. Ohne Pathos, ohne aufdringliche Botschaft sollen die Zusammenhänge erkennbar werden und für sich sprechen. Und den Dialog mit dem Betrachter herausfordern.

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