Müllheim Ein Abend, der unter die Haut geht

Weiler Zeitung

Kultur: Literarische Collage „Hass ist ein Mangel an Fantasie“ in der Müllheimer Martinskirche

Die historische Festung Theresienstadt am Zusammenfluss von Eger und Elbe, von den deutschen Besatzern ab 1940 zum Konzentrationslager umgebaut, ist ein Synonym für das namenlose Grauen, das sich hinter den beiden Buchstaben KZ verbirgt. Ein eindrucksvoller Abend in der Müllheimer Martinskirche erinnerte daran und eröffnete neue Perspektiven auf die Menschen, die darin umkamen.

Von Dorothee Philipp

Müllheim. In Theresienstadt hatten die Nazischergen „Kultur“ zugelassen, um Besuchern ein KZ-Vorzeigemodell präsentieren zu können. Wie die inhaftierten Künstler dem Hass und der menschenverachtenden Ideologie getrotzt haben, ist das Thema des in den USA gegründeten Vereins „Elysium – between two continents“. Dieser widmet sich der Verbreitung von Textdokumenten und Kompositionen, die aus dem KZ noch übrig sind über Bühne, Workshops und Diskussionen. „Hass ist ein Mangel an Fantasie“ war der Titel der Textcollage, die in der Martinskirche vorgestellt wurde.

Sie sollen nicht vergessen sein, die an diesem Abend zu Wort kamen: Viktor Ullmann, Leo Strauss, Ilse Weber, Paul Aaron Sandfort, Alice Herz-Sommer und Georg Kafka – Kunstschaffende, die „der Wucht und Last des stofflichen Lebens“ getrotzt und ihr einen übermenschlichen Willen entgegengesetzt haben. Rezitator war Gregorij H. von Leitis. Der Schauspieler und Regisseur hat 1995 zusammen mit dem Philosophen Michael Lahr die „Lahr von Leitis Academy & Archive“ gegründet.

Lahr führte in den Abend ein. Washington, New York, Berlin, Müllheim, München, London – das sind die Stationen, wo Elysium von April bis Juni Veranstaltungen anbietet. Dass „Müllheim“ zustande kam, ist den beiden Vereinen MB Musik- und Kulturverein aus Schliengen-Liel und dem Theater im Hof aus Kandern-Riedlingen zu verdanken. Eine Zuwendung des Lions-Clubs Schliengen ermöglichte die Veranstaltung, deren Erlös dem Sozialfonds der Musikschule Markgräflerland zu Gute kommt.

„Ich kenn ein kleines Städtchen, ein Städtchen ganz tiptop, ich nenn‘ es nicht bei Namen, ich nenn’s die Stadt als-ob…“ beginnt das satirische Gedicht von Leo Strauss.

Bitterer Sarkasmus

Mit bitterem Sarkasmus malt er in flotten Jamben das Bild einer verzweifelten Gemeinschaft, die ihre lebensfeindliche Umgebung mit Bildern „als ob“ schönfärbt: „man stellt sich an um Suppe, als ob da etwas drin…“. Von Leitis liest mit klarer Diktion, die etwas Pastorales hat. Jede Silbe ist von einer großen Welle an Empathie getragen, die weit über tränenschwerer Gefühligkeit schwebt.

Anders ließe sich das sonst nicht aushalten: Wenn Ilse Weber den kleinen Koffer sprechen lässt, der sich wundert, wo sein alter und blinder Herr geblieben ist, der einen Stern trug. „Nun bin ich schmutzig, mein Schloss hält nicht mehr“ und „Ich möcht‘ zu meinem Herrn, er ist so allein“. Ihre Zwiesprache mit einem „Am Transport Verschiedenen“, der stumm und tot vor ihr liegt: „Schlaf toter Bruder namenlos, der Tod ist dir ein Freund gewesen“. Oder Paul Aaron Sandforts „Nachschub“ bei dem man sich unwillkürlich einreiht in die Schlange der Hungrigen, Zitternden und in nasser Kälte Frierenden und sich fragt, „Ist noch etwas da, bis ich drankomme? Oder wieder nichts?“

Alice Herz-Sommer hat das Grauen überlebt, sie starb 2014 in London. In Theresienstadt, wo sie mit ihrem kleinen Sohn Raphael inhaftiert war, hat sie mehr als 100 Konzerte gegeben. „Das Leben hat mir Talent geschenkt…“, bekennt sie in einem autobiographischen Text. „Die Musik war unsere Nahrung und nahm uns die Angst in den dunkelsten Ecken der Welt.“

Es ist eine ganze Weile still, als das letzte Wort – „Freiheit“ – verklingt aus dem Text von Sandfort „Die Deutschen befehlen“. Dann setzt der Beifall ein. Ein Abend, der unter die Haut geht, ein Abend, der noch lange mitgehen wird, ist zu Ende.

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