Von Ralf Deckert
Müllheim - Ihre Klage beim Freiburger Verwaltungsgericht hat sie vergangene Woche am »Equal Pay Day« eingereicht. Jenem Tag, der auf den Umstand aufmerksam macht, dass Frauen in Deutschland noch immer nicht damit rechnen können, für die gleiche Arbeit auch das gleiche Gehalt zu beziehen wie Männer. Auch nicht im Öffentlichen Dienst, wie die frühere Bürgermeisterin von Müllheim (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald), Astrid Siemes-Knoblich, während ihrer achtjährigen Amtszeit schmerzlich erfahren musste. Auch anderen Bürgermeisterinnen im Land gehe es nicht anders, sagt sie.
Nachdem die Stadt Müllheim ihr über Jahre hinweg keine Gerechtigkeit habe widerfahren lassen, gehe sie nun, anders als ihre früheren Kolleginnen, die noch im Amt sind, mit der Sache an die Öffentlichkeit. Die Klage laute auch Schadenersatz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), sagte ein Sprecher des Gerichts. Wann verhandelt werde, könne man derzeit nicht absehen. Siemes-Knoblich rechnet mit einem mehrjährigen Rechtsstreit, den sie am Ende aber gewinnen werde.
Der Hintergrund der Klage ist, dass Stadträte in Baden-Württemberg selbst entscheiden, ob ein neuer Bürgermeister oder eine neue Bürgermeisterin zu Beginn der Amtszeit in eine höhere oder eine niedrigere Tarifgruppe eingruppiert wird. Erst ab der zweiten Amtsperiode ist die höhere der beiden Besoldungsgruppen Pflicht. Im Fall einer Stadt von der Größe wie Müllheim haben die Gemeinderäte die Wahl zwischen den Tarifgruppen B3 und B4, was beim Grundgehalt knapp 600 Euro brutto monatlich ausmacht. Siemes-Knoblich wurde bei ihrem Amtsantritt 2012 in die niedrigere Gruppe B3 eingestuft. Ihr Vorgänger René Loos hatte B4. Ihr Nachfolger Martin Löffler wird nun wieder nach B4 besoldet.
Die Abstimmung im Stadtrat sei damals nicht öffentlich und ohne Begründung ihr gegenüber erfolgt. »Das hat bei mir wie auch bei der Verwaltung zwar Verwunderung ausgelöst«, meint Siemes-Knoblich: »Die Stadt war ja nicht geschrumpft gegenüber der Amtszeit meines Vorgängers und die Arbeit auch nicht weniger geworden«.
Einige Jahre darauf hat die CDU im Gemeinderat das Besoldungsthema wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Deren Fraktionsvorsitzender Jürgen Nafz bestätigt, dass seine Partei die niedrigere Einstufung der neuen Bürgermeisterin »nicht in Ordnung« gefunden habe, da sie nichts mit Siemes-Knoblich selbst sondern nur mit deren Vorgänger zu tun gehabt habe, mit dem man nicht zufrieden gewesen sei. Die Stadt habe sich schließlich juristischen Rat eingeholt, erzählt die ausgeschiedene Bürgermeisterin. Mit dem Ergebnis, dass ihre niedrigere Bezahlung rechtswidrig gewesen sei, was der Stadtrat aber noch revidieren könne. Siemes-Knoblich war als Betroffene nicht bei der entsprechenden Ratssitzung dabei, betont aber, sie habe aber anschließend erfahren, dass »der Gemeinderat den öffentlichen Gesichtsverlust fürchtete« und ihr deshalb entgegen den rechtlichen Rat erneut die Gehaltsanpassung verwehrte. »Damals habe ich dann beschlossen, nicht für eine zweite Amtszeit in Müllheim zu kandidieren«, sagt  Siemes-Knoblich.
Als ihr Nachfolger Martin Löffler bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr sofort in die höhere Besoldungsgruppe B4 eingestuft wurde, beschloss die ausgeschiedene Bürgermeisterin, sich rechtlich beraten zu lassen, ob sie da nicht vielleicht Opfer eines Falls von Diskriminierung geworden sei.  Als ihr im Februar einen Vergleich angeregt habe, der ihr maximal 10 Prozent der entgangenen Bezüge und eine Unterstützung bei ihrer neuen Berufstätigkeit in Aussicht gestellt habe, sei dies »mehr so eine Art Ohrfeige als ein Vergleichsangebot« für sie gewesen – und sie habe beschlossen zu klagen: »Mein Anwalt war außer sich«. Mittlerweile sei ihr klar, dass es bei dem Verfahren nicht nur um ihre eigene Person sondern um die Ungleichbehandlung von Frauen bei der Bezahlung auch im öffentlichen Dienst gehe. »Das Thema wird totgeschwiegen, aber ist de facto da. Ich bin kein Einzelfall.« Ihr sei durch die Ungleichbehandlung ein satter fünfstelliger Betrag bei der Besoldung entgangen, und sie sei bei der Altersversorgung schlechter gestellt worden.
Müllheims Bürgermeister Martin Löffler gab sich am Dienstag auf Nachfrage zugeknöpft: Bei Personalfragen wolle man zu laufenden Verfahren nichts sagen.