Müllheim Starke Bilder voller Not und Schönheit

Weiler Zeitung

Interview: Der Müllheimer Museumsleiter Jan Merk über die faszinierende Malerin Else Blankenhorn

Zum 100. Todestag der Malerin Else Blankenhorn hat das Markgräfler Museum in Müllheim eine bemerkenswerte Ausstellung geschaffen. Diese würdigt die große Malerin, die – international geschätzt – heute zu den großen Vertreterinnen der Art brut und Outsider Art zählt. Wir befragten den Direktor des Museums, Jan Merk, über die Schau, den neuen Katalog und eine außergewöhnliche Künstler-Persönlichkeit.

Frage: Traumhaft visionäre Dinge bringe die Malerin Else Blankenhorn zur Darstellung. Das schrieb der berühmte Expressionist Ernst Ludwig Kirchner. Ihre Werke werden weltweit ausgestellt. Warum ist die Künstlerin in ihrer Heimat weitgehend unbekannt?

Else Blankenhorn wuchs am Ende des 19.  Jahrhunderts mit Kunst in der Familie auf und besuchte viele Ausstellungen, aber selbst zu malen begann sie erst nach einer psychischen Krise in einem Sanatorium am Bodensee. Psychische Krankheiten waren lange ein Tabu – das wurde nicht thematisiert.

Frage: Ihr 100. Todestag diente Ihnen als Anlass, eine umfangreiche Ausstellung im Markgräfler Museum zu konzipieren. Können Sie die Konzeption der Schau umreißen?

Seit den 1980er Jahren ist Else Blankenhorn in ganz Europa und Amerika in Gruppenausstellungen gezeigt worden, aber wir veranstalten die erste Ausstellung in der Herkunftsregion ihrer Familie – und die erste Einzelausstellung überhaupt. Das Besondere und Neue ist, dass wir eine Auswahl ihrer Bilder, die die Sammlung Prinzhorn in Heidelberg aufbewahrt, mit noch nie gezeigten Dokumenten und Fotografien aus ihrer Biografie verbinden. Ohne unsere Fotos wüsste man nicht einmal, wie diese mittlerweile weltweit bekannte Künstlerin eigentlich ausgesehen hat.

Frage: Wie schwierig und aufwändig war es, diese erste Einzelausstellung überhaupt zu realisieren? Welche Unterstützung hatten Sie?

Der Impuls kam von der leider inzwischen verstorbenen Kunsthistorikerin Doris Noell-Rumpeltes, die das Archiv der Sammlung Prinzhorn leitete und sich lebenslang mit Else Blankenhorn befasst hat. Viele Jahre haben wir diese Ausstellung wissenschaftlich zusammen vorbereitet. Im Markgräfler Museum haben wir gezielt Zeugnisse zu Else Blankenhorn gesammelt, und wir besitzen zum Beispiel mittlerweile ein wunderschönes Jugendporträt, das der bekannte badische Maler Ferdinand Keller geschaffen hat.

Unterstützung haben wir auch von der Familie und von Menschen erhalten, deren Vorfahren mit Blankenhorns in engem Austausch standen sowie von Sponsoren.

Frage: Bemerkenswert ist die Biografie der Malerin, die zu Lebzeiten als „geisteskrank“ galt. Skizzieren Sie doch den Lebensweg der Künstlerin, die 1920 mit nur 47 Jahren an Krebs verstarb und die Auswirkungen auf ihre Kunst.

Else Blankenhorn zählt zu den Künstlerinnen mit psychischen Ausnahmeerfahrungen. Das sollte aber nicht verdecken, dass sie sich ernsthaft mit der Kunst ihrer Zeit auseinandergesetzt hat. Im Gegenteil: Nach allem, was wir wissen, hat sie sich schon früh durch eine besondere Sensibilität ausgezeichnet. Als typisch „höhere Tochter“ aus einem wohlhabenden Professorenhaushalt – ihr Vater war der Weinbaupionier Adolph Blankenhorn – ist sie in der badischen Residenzstadt Karlsruhe aufgewachsen und hat dort viele künstlerische, literarische und musikalische Anregungen erhalten. Bei ausgedehnten Besuchen auf den Weingütern ihrer Großmütter in Müllheim hat sie ein besonderes Naturempfinden entwickelt, was sich in floralen Motiven ihrer Werke widerspiegelt. Ohne organischen Befund verlor sie mit 26 Jahren ihre Singstimme und kam zunächst zur Erholung, dann auf Dauer in das Sanatorium Bellevue im schweizerischen Kreuzlingen, wo sie – sehr zurückgezogen und menschenscheu – ihren „Schutzraum“ fand, in zwei Zimmern mit einer von der Familie bezahlten Betreuerin lebte und 1908 zu malen, zu schreiben und zu komponieren begann. Die Kunst half ihr, mit Ängsten und Wahnvorstellungen, deren genaue Ursachen wir nicht kennen, umzugehen.

Frage: Was ist – auch für Sie persönlich – das Faszinierende an den Bildern Else Blankenhorns?

Durch einen Zufall hat Ernst Ludwig Kirchner Werke von Else Blankenhorn gesehen. Und sie haben ihn fasziniert. „Die Farben sind mit einer fast unglaublichen Feinfühligkeit nebeneinander gesetzt, rein und stark, nur dem Gefühl entspringend“, schreibt er. Dieses Ausdrücken von Empfindungen durch malerische Mittel, die expressive Malerei, ließ für ihn die Bilder Else Blankenhorns zu „Kunstwerken höchster Art“ wachsen. Auch heute kann man beim Betrachten Schönheit, Ruhe, aber auch Bedrohung und Angst unmittelbar empfinden. Nicht alle Bilder würde man sich in die Wohnung hängen, aber es sind ganz starke Bilder, die existenzielle Themen behandeln. Das macht auch ihre kunstgeschichtliche Bedeutung aus.

Frage: Greifen Sie doch bitte ein Werk beispielhaft auf und erläutern Sie es.

Das ist bei der Vielfalt schwierig. Für unsere Ausstellung zentral ist ein Selbstporträt, das sie vor dem Hintergrund des Hochblauen zeigt, eingebettet in die sich schützend über ihren Kopf rankenden Weinreben und dunkle Tannenwälder – zart, vornehm gekleidet, geschminkt und frisiert. Ein fast naiv anmutendes Werk mit einem besonderen Blick, seitlich am Betrachter vorbei, reflektierend und fragend, in die Vergangenheit schauend? Das Bild strahlt große Ruhe, Harmonie und Geborgenheit in der Natur aus. Es gibt aber auch ganz bedrohliche, sehr düstere Werke.

Frage: Die Ausstellung fiel dem Lockdown zum Opfer, kann jetzt aber bis 17. Juli verlängert werden.  Welche Herangehensweise empfehlen Sie dem Laien?

Die Ausstellung bietet unterschiedliche Zugänge: Wer sich von der Lebensgeschichte oder der Regionalgeschichte dem Thema nähern will, findet im ersten Ausstellungsteil viele Informationen zur bedeutenden Winzerfamilie Blankenhorn, deren Naturverbundenheit, soziale Einstellung und Bildung die Kunst Else Blankenhorns stark beeinflusst hat. Und wer mehr von der visuellen Seite, den Farben und Motiven her kommt, findet im zweiten Teil der Ausstellung eine Bandbreite ganz unterschiedlicher Werke von Else Blankenhorn, einen Ausschnitt ihrer oft symbolischen und allegorischen „eigensinnigen Welten“: Landschaften, Selbstporträts, religiöse Motive, die Suche nach der idealen Paarbeziehung.

Frage: Druckfrisch ist ein Katalog erschienen. Wie ist dieser aufgebaut?

Der Katalog ist Doris-Noell-Rumpeltes gewidmet, von ihr stammt ein zentraler Text zum Werk. Ein weiterer Text stellt Bezüge zum Markgräflerland her und zeigt bisher unpublizierte Fotos und Dokumente. Ein ausführlicher Bildteil dokumentiert die Ausstellung. Wertvoll ist daneben ein Verzeichnis aller bisherigen Gruppenausstellungen und eine Auswahlbibliografie. Die sehr gute Zusammenarbeit mit der Sammlung Prinzhorn Heidelberg kommt in einem gemeinsamen Vorwort zum Ausdruck.

Frage: Wie reagiert die Familie Blankenhorn auf das Müllheimer Kunstprojekt?

Viele Familienmitglieder, aus Berlin, aus Frankfurt, aus der Region, waren inzwischen in der Ausstellung, ermuntern und unterstützen uns und freuen sich, dass mit diesem Projekt versucht wird, einer Ausnahmekünstlerin von Rang gerecht zu werden.

Frage: Glauben und hoffen Sie, dass Ihre Initiative Else Blankenhorn einen neuen Platz – gerade auch in ihrer Heimat – bescheren wird?

Das ist natürlich unsere Hoffnung. Else Blankenhorns künstlerisches Werk ist lange tabuisiert und sogar missbraucht worden – in der 1938 von den Nationalsozialisten veranstalteten Abschreckungsschau „Entartetet Kunst“, in der die moderne Kunst insgesamt verunglimpft wurde, anstatt sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen. Dabei ist das sensible, vielgestaltige Werk Else Blankenhorns völlig vernachlässigt geblieben. Dass sie eine bedeutende, auf der Höhe ihrer Zeit arbeitende Künstlerin war, die enge Bezüge zu unserer Region aufweist, wollen wir mit Ausstellung und Katalog dokumentieren.  Die Fragen stellte Gabriele Hauger

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