Müllheim Wenn die Schrift zur Hürde wird

Weiler Zeitung

Fachtag: Patrick Stackelberg will für das Thema der Lese- und Schreibschwäche sensibilisieren

Vom Beipackzettel bei Medikamenten bis zum Bestellen einer Fahrkarte im Internet – ohne die Fähigkeit zum flüssigen Lesen ist man in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens mitunter aufgeschmissen. Eben dies bereitet aber vielen Menschen Schwierigkeiten, wie eine Studie der Universität Hamburg offenbart. So hat jeder achte Erwachsene in Deutschland Probleme beim Lesen und Schreiben.

Von Adrian Steineck

Müllheim. Informieren will der regionale Fachtag „Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“, der heute im Müllheimer Bürgerhaus stattfindet und von den Grundbildungszentren des Internationalen Bundes (IB) Lörrach und der VHS Freiburg organisiert wird. Über die Intention und die Anlaufstellen für Betroffene hat unsere Zeitung mit dem Projektkoordinator Patrick Stackelberg gesprochen.

Frage: Herr Stackelberg, laut einer Studie der Universität Hamburg haben 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. Wie wurde diese Zahl ermittelt?

Für die Studie wurden 14 000 Menschen zwischen 18 und 65 Jahren befragt und die Ergebnisse dann entsprechend hochgerechnet. Es erschreckt einen dabei doch etwas, dass es so viele Betroffene gibt. Ein weiteres erstaunliches Ergebnis aus der Studie ist, dass mehr als die Hälfte der Betroffenen berufstätig ist. Für die Landkreise Lörrach und den Bereich Freiburg bedeutet dies, dass etwa 40 000 Betroffene Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben.

Frage: Was können Gründe für diese Mängel bei der Alphabetisierung sein?

Die Gründe sind vielfältig. Mitunter stammen Betroffene aus schwierigen Familienverhältnissen. Es ist auch in der Regel so, dass es nicht mehr aufgeholt werden kann, wenn ein Kind in seiner Grundschulzeit nicht richtig lesen und schreiben gelernt hat.

Frage: Spielt da auch die Digitalisierung eine Rolle? Wir kommunizieren heute ja oftmals per Kurznachricht oder lesen im Internet nur kurze Ausschnitte aus Texten.

Ja, die Digitalisierung spielt in mehrfacher Hinsicht eine Rolle. Zum einen gibt es andere Taktiken als früher, die den Betroffenen erlauben, ihre Lese- und Schreibschwierigkeiten vor anderen zu verbergen. Zum anderen kriegen diese Menschen aber durch die Digitalisierung Schwierigkeiten, denn um etwa am Computer eine Fahrkarte zu kaufen, muss man flüssig lesen können. Insgesamt lässt sich sagen, dass durch die Digitalisierung der Zugang zum Lesen lernen erschwert wird.

Frage: Was ist vor diesem Hintergrund die Intention des Fachtags zur Alphabetisierung?

Wir wollen das Thema Lese- und Schreibschwierigkeiten breiter in der Öffentlichkeit bekannt machen. Familienmitglieder oder Arbeitskollegen, die wissen, dass jemand nicht richtig lesen kann, wissen oft nicht, an wen sie sich wenden können. Bei den Betroffenen selbst kommt oftmals das Schamgefühl hinzu, das dazu führt, dass sie sich in der Regel nicht von sich aus bei uns melden. Hier wollen wir die Öffentlichkeit sensibilisieren, denn beim Thema Drogensucht etwa wissen die meisten, wohin sie sich wenden können. Bei der mangelnden Alphabetisierung ist dieses Bewusstsein hingegen noch nicht so da.

Frage: Ab wann ist denn von einer Lese- und Schreibschwäche zu sprechen?

Es ist wichtig, dass es sich bei den Betroffenen nicht um Menschen handelt, die gar nicht Lesen oder Schreiben könnten. Sie schreiben oftmals kurze Sätze, sind aber nicht in der Lage, zusammenhängende Texte flüssig und schnell zu lesen. Das sorgt dafür, dass ihnen viele Lebensbereiche verschlossen bleiben, denn sogenannte ernste Themen, wie etwa in der Tageszeitung oder auch auf einem Beipackzettel von Medikamenten, sind für sie nicht verständlich.

Frage: Welche Angebote und Initiativen werden beim heutigen Fachtag vorgestellt?

Es gibt Referate unter anderem von Peter Hubertus vom Bundesverband für Alphabetisierung und Grundbildung oder Barbara Gadient von der Volkshochschule beider Basel. Eröffnet wird der Fachtag von Roland Peter, Referent im Kultusministerium. Zudem gibt es Workshops zur arbeitsplatzorientierten Grundbildung und der Quartiersarbeit. Die Veranstaltung wird durch das Kultusministerium des Landes Baden-Württemberg im Rahmen der nationalen Dekade für Alphabetisierung gefördert.

Frage: Wie setzt sich das Publikum beim Fachtag zusammen?

Es nehmen Verantwortliche aus Institutionen und Verbänden der Bereiche Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Bildung und der freien Wohlfahrtspflege teil.

Weitere Informationen: Der Fachtag Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener findet heute von 14 bis 19 Uhr im Bürgerhaus Müllheim, Hauptstraße 122, für geladene Gäste statt. Wer selbst an einer Lese- und Schreibschwäche leidet oder einen Angehörigen hat, der betroffen ist, kann sich an folgende Anlaufstellen wenden: das Grundbildungszentrum des IB Lörrach, Tel. 07621 / 167 0 325, die VHS Freiburg unter Tel. 0761 / 368 95 19 oder das anonyme bundesweite Alfa-Telefon, Tel. 0800 53 33 44 55 (kostenlos).

hat in seinem Berufsleben als Ausbilder und Pädagoge gearbeitet und viel mit jungen Leuten zu tun gehabt. Als „Teilzeit-Rentner“ widmet er sich der Projektleitung beim Grundbildungszentrum des IB Lörrach.

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