Neuenburg am Rhein Gutedelpreisträger Andreas Voßkuhle sieht die Demokratie nicht am Ende

Beatrice Ehrlich
Gut überlegte Fragen, schlagfertig servierte Antworten: Christoph Wirtz (l.) interviewte Andreas Voßkuhle bei der Verleihung des Gutedelpreises auf der Bühne des Stadthauses in Neuenburg. Foto: Beatrice Ehrlich

Mal lachend, mal mahnend: Bei der Gutedelpreisverleihung an den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, ging es um nicht weniger als die Grundfesten der Demokratie.

Es wurde ein spannender, lehrreicher, aber auch sehr vergnüglicher Abend. Daran hat die einnehmende Art des Professors aus Freiburg großen Anteil. Andreas Voßkuhle zeigte sich bei der Markgräfler Gutedelgesellschaft nahbar, als blendender Unterhalter und versierter Erklärer des Grundgesetzes und politischer Fragen zugleich. In Erinnerung bleibt sein herzliches, hier und da spitzbübisches Lachen – immer dann, wenn ihm auf eine knifflige Frage von Laudator Christoph Wirtz eine glänzende Pointe gelang.

Der Zeitpunkt der Preisverleihung kurz nach der Europawahl war gut gewählt, trotz des gleichzeitigen EM-Spiels Deutschland-Schottland. Angesichts der Wahlgewinne rechtsradikaler Parteien, die durch antidemokratische und fremdenfeindliche Aussagen aus dem demokratischen Konsens herausfallen, gewinnt die eingehendere Betrachtung des Grundgesetzes, das in diesem Jahr sein 75. Bestehen feiert, eine ganz neue Bedeutung.

Das Geburtstagskind ins Licht gerückt

Bei der Gutedelgesellschaft wurde das Gesetzeswerk, das – eine Sternstunde für Deutschland – am 24. Mai 1949 in Kraft getreten ist, an diesem Abend einmal mehr ins Licht gerückt. Doris Wolters und Peter Haug-Lamersdorf lasen zentrale Abschnitte aus dem Grundrechtsteil feierlich vor. Wer wollte, konnte sie in auf den Tischen ausliegenden Textausgaben nachlesen. In der Art einer Text-Ton-Collage war ihr Vortrag mit musikalischen Einsprengseln gespickt.

Helmut Lörscher am Piano und seine Combo (Andreas Winnen – Violine, Sven Decker – Saxofon und Klarinette und Matthias Daneck – Schlagzeug) zeichneten verantwortlich für die mal lieblichen, mal schrägen Töne, aus denen man immer wieder Zitate aus bekannten Werken heraushören konnte: von der Europa-Hymne über das Badner Lied bis zum Refrain der deutschen Nationalhymne – „Blüh im Glanze ...“.

Vor dem ersten Schluck: Gutedelpreisträger Andreas Voßkuhle (Mitte), Laudator Christoph Wirtz (l.) und der Müllheimer Winzer Hermann Dörflinger, der Spender des Preisfasses.

Das Bühnenbild im Hintergrund, auf dem Sätze des Gesetzes in schwarzen, roten und goldenen Lettern als Kunstwerk wie für einen öffentlichen Platz festgehalten waren, hatte Heiner Schaufelberger gestaltet.

„Wir feiern nicht einen Text, sondern eine gemeinsame Praxis“, hielt Voßkuhle im Anschluss an den Vortrag fest, der ihn „bewegt“ habe. Die Buchstaben des Gesetzes müssten mit Leben gefüllt werden. Ein ums andere Mal hob er hervor, dass sich die Macht des Bundesverfassungsgerichts, dem er zwölf Jahre lang angehörte, zehn davon als dessen Präsident, einzig und allein aus Vertrauen und den Respekt der Bürger und der Mächtigen ihm gegenüber speist.

„Nicht zu viel herumfummeln“

Dazu gehöre auch der Mut, den Gesetzestext so stehen zu lassen, wie er ist: „Ich glaube, das wir gut daran tun, am Grundgesetz nicht zu viel herumzufummeln“, sagte er auf die Frage Wirtz’ hin, wie er denn nun zu dem Begriff der „Rasse“ stehe und ob es ihm nicht lieber wäre, er stünde dort nicht.

Angesichts des hohen Vertrauens, dass das Bundesverfassungsgericht genießt, ist es von großer Bedeutung, wem die verantwortungsvolle Aufgabe zufällt, ein Richteramt zu übernehmen. Am Beispiel des US-amerikanischen Supreme Court, der zuletzt zum Spielball der Innenpolitik geworden ist, führte der Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht vor Augen, wie schnell es dahin sein kann mit der Bedeutung eines Gerichts, dem Bürger kein Vertrauen mehr schenken.

Der Abend endete optimistisch: Für Voßkuhle, so viel wurde deutlich, ist die Demokratie in Deutschland noch längst nicht am Ende. Mit seinem Vertrauen in die Reflexionsfähigkeit der Bürger und der festen Überzeugung, den Gesprächsfaden nicht abbrechen zu lassen, gab er eine Ahnung davon, wie es gelingen könnte, die Wähler der AfD zurückzugewinnen.

Dem Ruf des höchsten Amts widerstanden

Und der öffentlich wirksame Eigensinn, für den der Gutedelpreis, ein 225-Liter-Fass Wein, doch eigentlich steht? „Fragen Sie mal Angela Merkel“, forderte Laudator Wirtz die Festgäste auf. Zwei Mal sei Voßkuhle die Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten angetragen worden, zwei Mal habe er – damals noch Präsident des Bundesverfassungsgerichts – abgelehnt. Das letzte Wort sei aber mit Sicherheit noch nicht gesprochen, ergänzte Wirtz mit einem Augenzwinkern.

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