Der Wissenschaftler Nieland sieht es ähnlich. "Personalisierung und Unterhaltungsorientierung nehmen zu. Es sind immer weniger die politischen Programme, über die diskutiert wird, als viel mehr die Personen und ihre Performance." Zwar sei das in den USA noch extremer. "Die Tendenz zu mehr Personalisierung und Spektakel ist aber auch in Deutschland messbar und nachgewiesen."
Personalisierung und Unterhaltungsorientierung führten dazu, dass die Politiker und Politikerinnen versuchen, Unterstützung durch in der (Pop-)Kultur prominente Personen zu bekommen, "in der Hoffnung, dass sich die Prominenz der Popkünstler:innen auf sie überträgt", sagt Nieland.
Söder singt Schlager, Habeck Brecht
Politiker möchten sich als nahbar darstellen. Wer Musik hört, zu dem kann man vielleicht leichter eine Bindung aufbauen. Deswegen beschreibt sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bei Spotify schon lange als "großer Musikfan" und postet Lieder in der Playlist "Söder Songs". Abba und The Cure sind darunter, aber auch der "Bayerische Defiliermarsch".
Vielen in Erinnerung geblieben sind vielleicht auch Habecks und Söders Auftritte in der ARD-Show "Inas Nacht". Söder hat dort den Schlager "Sie hieß Mary-Ann" von Freddy Quinn vorgetragen, Habeck "Die Moritat von Mackie Messer" aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht.
Die "Verpoppung" der Politik und die Sozialen Medien
Wie die Verbindung zu Künstlern hat auch die persönliche Inszenierung von Politikern Tradition, weiß Nieland. "Adenauer hat sich beim Boccia-Spielen gezeigt, andere in Badehose." Mit solchen Inszenierungen zeigten die Politiker und Politikerinnen, "dass ihr Leben nicht nur hinter dem Schreibtisch oder im Flugzeug oder im Parlament stattfindet." Nieland nennt das auch die "Verpoppung" der Politik.
Zudem hätten die Politikerinnen und Politiker verstanden, wie die Sozialen Medien funktionierten, ergänzt er. "Es braucht 24/7-Content, möglichst bunt und aufsehenerregend. Und was ist da besser als ein schneller Post? Ich war im Fußballstadion oder auf einem Konzert. Ich mache ein Backstage-Foto auf Instagram mit einer prominenten Person. Das ist wichtiger als ein Zitat aus dem Parteiprogramm."
Hat Pop einen Einfluss auf das Wahlergebnis?
Doch welchen Effekt hat das Ganze? Spätestens seit dem US-Wahlkampf, bei dem die demokratische Kandidatin Kamala Harris Unterstützung einer schier endlosen Reihe von Superstars erhielt, ist klar, dass Popstars keine Wahlen gewinnen.
Der US-Politikwissenschaftler David J. Jackson sagte dem Nachrichtenportal "Vox", dass prominente Befürworter eher "bescheidene Auswirkungen" hätten, wenn es darum geht, Wähler für sich zu gewinnen. Eher dienten sie dazu, die Begeisterung für einen Kandidaten zu steigern, zu dem ein Wähler vielleicht schon tendiert.
"Die Effekte solcher Aktivitäten sind zwar kaum zu quantifizieren, aber oftmals bedeutsam", sagt Nieland. "Ich sehe den wichtigsten Effekt in der Anschlusskommunikation, die in den klassischen Medien, auf den sozialen Plattformen und in Gesprächen am Arbeitsplatz, zwischen Freunden und in der Familie stattfinden."
Meistens sind es in Deutschland aber eher die Politikerinnen und Politiker, die sich den Popstars zuwenden, selten ist es andersherum. Wenn keinen Einfluss auf das Wahlergebnis, hat dies zumindest oft Gesprächswert. Wer einmal Söder mit sonorer Stimme über einen Seemann hat singen hören, wird dies vermutlich so schnell nicht mehr vergessen.