Viele der "Illegalen", wie die Regierung sie nennt, fürchten die Staatsmacht, die Trump entfesselt hat: Vermummte ICE-Leute tauchen da in unauffälligen Wagen auf Baustellen in Florida und New Orleans oder vor Baumärkten in New York und Los Angeles auf und nehmen Menschen ohne Papiere fest. Es droht die Abschiebung. Doch mit der Angst wächst auch die Wut über unmenschliche Behandlung.
Alltag nur an der Oberfläche - Los Angeles im Ausnahmezustand
Seit Tagen versammeln sich - manchmal Tausende - vor dem Bundesgefängnis, wo sie festgenommene Migranten vermuten. Hier und an anderen Orten kam es zu vereinzelten Zusammenstößen. Unter den Protestierenden: viele mit lateinamerikanischen Wurzeln, liberale Trump-Gegner – und nach Einbruch der Dunkelheit zunehmend Randalierer, die offenbar die Lust an der Gewalt treibt.
Auch wenn das Leben in der Mitte der Metropole tagsüber größtenteils normal scheint, deuten nicht nur die zahlreichen Schmähungen gegen Trump und ICE an den Wänden im Stadtzentrum auf den Ausnahmezustand hin. Autobahnabfahrten in das Viertel rund um das Gefängnis sind gesperrt, Hotels verteilen Sicherheitspläne an ihre Gäste. Die Stadt wappnet sich momentan Tag für Tag für die nächste Nacht.
Machtprobe zwischen Trump und Newsom?
Trump mobilisierte Tausende Soldaten der Nationalgarde und Hunderte Marineinfanteristen gegen den Willen des demokratischen Gouverneurs Gavin Newsom. Die große Sorge ist, dass die Truppen schließlich genau zu dem Chaos führen könnten, das Trump zuvor beschworen hatte. Die Situation wird auch als Machtprobe gesehen: Wie weit kann Trump seine Autorität im liberalen Kalifornien ausdehnen?
Newsom, dem Präsidentschaftsambitionen nachgesagt werden, wirft dem Präsidenten vor, einen "Bürgerkrieg auf den Straßen Amerikas" zu provozieren. In einer abendlichen Fernsehansprache, die sich wie die Bewerbung für das höchste Amt im Staate anhört, nennt der 57-Jährige Trumps Verhalten einen Angriff auf die Freiheit. Und Kalifornien sei nur das erste Opfer. "Andere Bundesstaaten sind als Nächstes dran. Die Demokratie ist als Nächstes dran."
"Die Regierung spielt verrückt. Und unser Gouverneur spielt mit"
Einige Menschen in der Stadt dagegen wiegeln bei solchen Worten ab und wittern ein Kräftemessen zweiter mächtiger Männer. "Die Regierung spielt verrückt. Und unser Gouverneur spielt mit, und das macht alles nur noch schlimmer", sagt eine Frau, die im Stadtzentrum bei einer Autovermietung arbeitet.
Währenddessen heizen einige amerikanische Medien die Situation an: Die propagandafreundliche rechtskonservative Moderatorin Laura Ingraham lässt auf Trumps Haus-und-Hof-Sender Fox News in ihrer abendlichen Show die krassesten Szenen der letzten Tage aus Los Angeles in schneller Folge aneinander schneiden. Das erzeugt den Eindruck, dass in der US-Showmetropole etwas völlig aus dem Ruder läuft.
Trump wittert einen Sieg
Am anderen Ende des Landes schaut die New Yorkerin Susan die Show von Ingraham in einer Bar im Flughafen JFK. "Diese verdammten Idioten brennen die ganze Stadt nieder!", empört sie sich. Wenn man sie fragt, räumt sie ein, dass sie auch nicht wisse, ob Trumps Soldaten nun das richtige Mittel seien. Aber Autos anzünden, Steine auf Polizisten schmeißen? Das müsse bestraft werden.
Es sind genau solche Szenen, die Trump, der sich seit jeher als Vorkämpfer für Recht und Ordnung geriert, und seiner Bewegung neue Kraft verleihen. Der Präsident wittert einen politischen Sieg und neue Energie im amerikanischen Kulturkampf. Einen Erfolg hat er schon errungen: Von Elon Musk redet erst mal niemand mehr. Wie hoch der Preis dafür ist, wird sich noch zeigen.