Prozess um zerstückelte Leiche Für Mord keine „tragenden Motive“

Werner Müller
Der Prozess um den Fall der zerstückelten Leiche wird fortgesetzt. Foto: Werner Müller

Fortsetzung im Prozess um die zerstückelte Leiche: Das Landgericht hält am vierten Verhandlungstag ein Plädoyer in eigener Sache und erläutert Gründe für die Verständigung der Prozessparteien.

Einen nicht alltäglichen Charakter nahm der vierte Verhandlungstag im Zusammenhang mit der zerstückelten Leiche vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen an. Hielt die Schwurgerichtskammer doch gleich zum Auftakt ein Plädoyer – und zwar eines in eigener Sache: Sichtlich empört über die aus seiner Sicht ebenso unsachliche wie einseitige Berichterstattung vor allem einer Tageszeitung sah sich der Vorsitzende Richter Martin Hauser gleich zu Beginn veranlasst, die öffentliche Kritik an der so genannten „Verständigung“ zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung geradezurücken.

Prozessparteien verständigen sich

Am dritten Sitzungstag hatten sich die Prozessparteien dahingehend verständigt, dass der Angeklagte für die Tötung eines algerischen Asylbewerbers in Rickenbach mit einer Verurteilung wegen Totschlags und einer Freiheitsstrafe in einem „Korridor“ zwischen sechs und sieben Jahren zu rechnen habe, aber nur, wenn dieser von seiner Notwehr-Version abrückt und nicht weiter darauf beharrt, dass er zum Zeitpunkt der Tat hochgradig alkoholisiert gewesen sei.

„Mordmerkmale schwierig zu finden“

Der Vorsitzende Richter erklärte in diesem Zusammenhang, die Kammer habe zum Prozessauftakt zwar den „rechtlichen Hinweis“ gegeben, es könne auch eine Verurteilung wegen Mordes in Betracht kommen, aber nur für den Fall, dass die Ergebnisse der bevorstehenden Beweisaufnahme dies „nahelegen“. Tatsächlich aber, so Hauser, seien die juristisch notwendigen „Mordmerkmale“ nur „schwierig zu finden“ gewesen.

Heimtücke zum Beispiel komme nicht in Frage, weil der Angeklagte sein Opfer nicht hinterrücks überfallen und erschossen habe, sondern seitlich von vorne. Habgier scheide als Motiv ebenfalls aus, weil der Angeklagte sein Opfer überhaupt nicht kannte und deshalb beispielsweise auch nicht annehmen konnte, dass dieser in seiner Wohnung viel Geld hatte, das er hätte rauben können. Auch das Mord-Merkmal der Grausamkeit sei nicht gegeben, weil der 38-jährige Mann aus Tunesien nach dem Schuss in den Kopf sofort tot war. Das postmortale Zerstückeln der Leiche stelle im juristischen Sinne keine Grausamkeit dar.

Ausländerhass: Indizien, aber kein Beweis

Als „niedriger Beweggrund“ bleibe somit nur noch der Fremdenhass, so der Richter. Doch auch diesbezüglich gebe es beim Angeklagten „lediglich Anzeichen“ für rechtsradikales Gedankengut. Für Ausländerhass habe das Gericht zwar Indizien gefunden, aber keinen Beweis, der „als tragendes Motiv für einen Mord“ tauge.

„Wir wissen nur, dass sich an jenem 23. Dezember zwei Menschen begegnete, von denen nachher einer tot war“, so der Kammervorsitzende. Was genau bei jenem schicksalhaften Zusammentreffen passierte, habe der Angeklagte nicht wirklich „beleuchtet“. Deshalb, so Martin Hauser, „haben wir ein Problem“.

„Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind“

Dass sich die Kammer bei ihrem angekündigten „Strafkorridor“ für Totschlag (der laut Strafgesetzbuch mit fünf bis 15 Jahren zu ahnden ist) im unteren Drittel des Strafmaßes bewege, habe nichts damit zu tun, dass das Opfer kein Deutscher sei, sondern ein tunesischer Asylbewerber und auch nicht damit, dass der mutmaßliche Täter ein Deutscher und kein Ausländer sei, machte der Richter klar und fügte hinzu: „Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind.“

Der anvisierte „Strafkorridor“ im unteren Drittel des gesetzlichen Spielraums beruhe vielmehr auf drei Gründen. Erstens sei der angeklagte 58-Jährige nicht vorbestraft. Er habe sich, zweitens, selbst gestellt und ein Geständnis abgelegte, „dessen Wert nicht zu unterschätzen ist“, betonte der Richter. Denn ohne dieses Geständnis wäre das Gerichtsverfahren nach seinen Worten vermutlich gar nie in Gang gekommen und das Schicksal des 38-jährigen Mannes aus Rickenbach wäre nie aufgeklärt worden. „Dann hätten wir wahrscheinlich einen ‚cold case‘ mehr“, so Martin Hauser.

Gericht verwahrt sich gegen Skandalisierung

Drittens schließlich seien als „Auslöser dieses tragischen Geschehens“ die „Provokationen“ zu nennen, die vom späteren Opfer in Richtung des Angeklagten und dessen Familie ausgingen. „Dafür“, so der Richter, „gibt es mindestens sechs Zeugen“. Das allerdings rechtfertige noch lange nicht die „tödlichen Schüsse“, die dann in der Folge fielen. Mit Blick auf all diese Tatsachen gebe es an der Verständigung überhaupt nichts zu „skandalisieren“.

„Wir sind keine Gesinnungsjustiz“, ergänzte der Staatsanwalt die Ausführungen des Gerichts und verwies auf die „Unvollkommenheit eines jeden Strafprozesses.“ Es gehe dabei nicht um Emotionen, sondern um „belastbare Tatsachen“.

Angeklagter revidiert Notwehr-Version

Mit Blick auf die Kritik an der „Verständigung“ zwischen den Prozessparteien sprach der Vorsitzende indes auch die Kammer nicht ganz von Fehlern frei. Da sei am dritten Sitzungstag zu später Stunde wohl nicht alles gut gelaufen und habe „Missverständnisse“ begünstigt, räumte er ein. Das von der Kammer geforderte „ergänzende Geständnis“ des Angeklagten sei „nicht ganz gelungen“, auch weil dieser am Schluss „intellektuell vielleicht etwas überfordert“ gewesen sei. Insofern gelte es jetzt etwas „nachzuschärfen“. Das betreffe nicht die vermeintliche „Notwehr“; der Angeklagte habe diese Version mit seinem nachgeschobenen Geständnis am dritten Sitzungstag „klar genug“ revidiert.

„Wir halten das Geständnis für unvollständig“

In Bezug auf seinen Alkoholisierungsgrad indes verlange die Kammer eine Nachbesserung. Der 58-Jährige solle einräumen, dass er zum Tatzeitpunkt nicht sturzbetrunken war, sondern beispielsweise „klar erkennen konnte“, dass sein Opfer kein Messer oder eine Pistole der Hand hatte. Der Angeklagte ließ durch seinen Anwalt erklären, dass er damit einverstanden sei.

Der Vorsitzende war zum Schluss dennoch nicht ganz überzeugt: „Wir halten das Geständnis des Angeklagten für den Tatzeitraum für unvollständig“, erklärte er. Die Frage sei nun, wie das für das abschließende Urteil zu bewerten sei.

Das Verfahren wird am Dienstag mit den Plädoyers fortgesetzt.

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