Rheinfelden Vom Leben mit einem behinderten Geschwisterkind

Die Oberbadische
Franziska Golz war eines von drei Geschwistern von Menschen mit Behinderung, die ihre Erfahrungen mit dem Publikum teilten. Foto: zVg

Informationsveranstaltung: Elternbeirat der Karl-Rolfus-Schule hatte eingeladen.

Rheinfelden-Herten - Die junge Klientin von Janna Zwer malt ihre Familie, Papa als einen Löwen, ihren Bruder als Wespe, sich selbst als Pinguin – ihre Mutter als Stute und die kleine Schwester als Fohlen. Die Wahl der Tiere entspreche der klassischen Rollenverteilung von Familien mit Kindern mit und ohne Behinderungen, erklärt Zwer, denn die kleine Schwester lebt mit einer Behinderung.

Als Heilpädagogin bei der Lebenshilfe Lörrach hat sich Zwer auf das Thema Geschwister spezialisiert und sprach beim Vortrag „Ich bin auch noch da“ über das gemeinsame Aufwachsen behinderter und nicht-behinderter Geschwister vor betroffenen Eltern. Organisiert wurde der Abend in der Mehrzweckhalle des St. Josefshauses vom Elternbeirat der Karl-Rolfus-Schule; gekommen waren aber nicht nur Eltern von Schülern.

Ein Elternteil, meist die Mutter, führe durch die tägliche Pflege und den Kontakt nach außen eine intensive Beziehung mit dem Geschwisterkind mit Behinderung, führt Zwer ihr Beispiel aus. Das andere Elternteil, meistens der Vater, sei hingegen die Bezugsperson der Geschwister ohne Behinderungen. Aber die ganze Freizeitgestaltung einer solchen Familie richte sich nach dem Mitglied mit Behinderung; die Geschwister lernten so Rücksicht und Mithilfe bei der Pflege, müssten aber bei der Aufmerksamkeit zurückstecken. Für Zwer birgt diese Situation für die gesunden Geschwister das Risiko, Neid und Scham zu empfinden, Gefühle, die sie in jungen Jahren noch nicht richtig einordnen könnten und über die zu sprechen sie sich daheim nicht trauten.

Doch Selbstvertrauen, eine größere Sozialkompetenz, mehr Verantwortungsbewusstsein und eine größere Selbständigkeit als ihre Altersgenossen sowie ein starker familiärer Zusammenhalt stünden dem als Chancen gegenüber. Eine Mutter im Publikum bestätigte dies: „Die nicht-behinderten Kinder haben eine tolle Chance im Leben, wenn die Eltern zusammenstehen und nicht überfordert sind.“ Denn sie habe oft bemerkt, wie schnell ihre Kinder ihre Stimmung imitierten, wenn sie die Geduld verliere. Familien mit behinderten Kindern seien jedoch toleranter und „cooler“; beim Aufwachsen mit einem behinderten Geschwisterkind falle auch der Konkurrenzdruck unter den Kindern, zum Beispiel in der Schule weg.

Geschwister berichten über ihre Erfahrungen

Bereichert wurde der Abend von den Erfahrungen dreier Geschwister von Menschen mit Behinderungen: der neunjährige Johannes Kreßler, dessen Bericht über seine zwölfjährige Schwester Katharina mit Down-Syndrom vorgelesen wurde, der 24-jährige Lukas Brombach, dessen jüngster Bruder Carl (12) ebenfalls das Down-Syndrom hat, und die 26-jährige Franziska Golz, die zwei gesunde Geschwister hat und deren älterer Bruder Felix mit Apert-Syndrom und einer geistigen Behinderung vergangenes Jahr 29-jährig verstarb.

Betroffene Mutter fühlt sich ermutigt

Eine weitere Mutter fühlte sich durch diese überwiegend positiven Erfahrungsberichte ermutigt; denn wie bei vielen Eltern stehe auch bei ihr immer der Selbstvorwurf im Raum, die Kinder ohne Behinderungen zu vernachlässigen. In ihrer Generation habe es immer geheißen, die Kinder kämen schon mit der Situation klar: „Doch das stimmt nicht: Die Eltern müssen auch die Geschwisterkinder stützen und ihnen Mut machen.“ Das sei ihnen als Eltern spätestens bewusstgeworden, als die Tochter ohne Behinderungen in der ersten Klasse auf einmal wieder das Bett genässt habe. „Es ist wichtig, dass wir die Geschwister regelmäßig fragen, ob sie genug von uns beiden haben“, empfahl der Vater.

Verschiedene Ansichten gab es über die Frage, wie offen die Familie und die Geschwister mit der Behinderung umgehen sollten. Die Mutter von Johannes Kreßler spricht nach eigener Aussage auch andere Kinder offen an, wenn sie auf Katharinas Aussehen oder Motorik reagierten. Eine weitere Mutter warnte jedoch, so offen nur zu sein, wenn die Kinder ohne Behinderungen dem zugestimmt hätten.

In der Schule kann es Probleme geben

Auch Lukas Brombach plädierte dafür, das Thema zum Beispiel in der Schule nicht allzu offen anzusprechen: „Je nach Klasse kann das wirklich hart werden.“ Die Klassenlehrer sollten deshalb in die Entscheidung mit einbezogen werden. Einig waren sich jedoch alle, dass die Kommunikation der Eltern mit den nichtbehinderten Geschwistern über die Behinderung offen und altersgerecht erfolgen sollte, wenn Fragen auftauchten. Dabei sei es allerdings einfacher, offensichtliche Behinderungen wie zum Beispiel eingeschränkte Mobilität zu erklären als weniger sichtbare Symptome.

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