Schönau „Offen für neue Testszenarien sein“

Markgräfler Tagblatt
Hygienekonzepte würden die Öffnung kleinerer Geschäfte möglich machen können .                                                      Foto: dpa / Sebastian Willnow Foto: Markgräfler Tagblatt

Corona: Für eine wohlüberlegte Öffnungsstrategie: Appell von Bürgermeistern an Kretschmann

Bürgermeister aus mehreren Gemeinden haben sich wegen des Lockdowns an Ministerpräsident Kretschmann gewandt, darunter auch der Schönauer Bürgermeister Peter Schelshorn. Dass Lockerungen nur dann hätten erfolgen sollen, wenn der Inzidenzwert von 35 Infizierten je 100 000 Einwohnern unterschritten wird, erschien aus Sicht der Bürgermeister nicht mehr weitblickend genug.

Schönau. Das Ziel der Kontaktminimierung lasse sich mit den aktuell geltenden Regelungen nicht erreichen, ohne bei der Betrachtung der unterschiedlichen Betroffenheiten eine kaum mehr akzeptable Ungerechtigkeit feststellen zu müssen.

„Der kleine Einzelhändler in der Innenstadt kann es nicht nachvollziehen, warum er mit hervorragendem Hygienekonzept seine Kleidung nicht mehr direkt verkaufen darf. Im Vollsortimenter am Stadtrand darf aber legal nicht nur das Lebensnotwendige verkauft werden, sondern eben auch Kleidung aller Art“, heißt es in dem Schreiben. Die Lebensmitteldiscounter und -märkte seien voll; trotz gut ausgearbeiteter Schutzkonzepte könne dort von Einhaltung der Coronaverordnung wegen der schieren Menschenmenge teilweise nicht mehr gesprochen werden.

Auch Hotellerie und Gastronomie, als Branche einer der größten Arbeitgeber der Republik, hätten sich im vergangenen Jahr mit ausgezeichneten Hygienekonzepten fit für den sorgfältigen Umgang mit der Pandemie gemacht und fänden sich trotzdem aktuell in der „vollkommenen Perspektivlosigkeit“ wieder.

„Gerade wenn die Fallzahlen nun, wie aktuell erkennbar, sich nicht in eine gute Richtung entwickeln und vorsichtige Öffnungen nach bisheriger Lesart riskant sein könnten, wie wollen wir dann den Blick auf die kommenden Monate richten? Ist es nicht gerade vor dem Hintergrund der so genannten Mutanten dringend an der Zeit, andere Strategien ernsthaft zu diskutieren, um nicht weiteren monatelangen Stillstand des öffentlichen Lebens, der Geschäfte, Gastronomie und Veranstaltungsbranche im Blick auf nicht erreichbare Inzidenzwerte festzuschreiben?“

Die Bürgermeister fordern eine offene Diskussion und Abwägung aller betroffenen Rechtsgüter und Teilbereiche. Der Gesundheitsschutz könne als alleiniges Argument „nicht mehr alle anderen Argumente aushebeln und die individuellen Freiheitsrechte erheblich einschränken“.

Dabei stelle man die Gefährlichkeit und die Existenz der Krankheit und des Coronavirus nicht in Frage. Trotzdem benötige das Land klare und transparente Öffnungsstrategien. Insbesondere Schulen und Kitas müssten dauerhaft geöffnet werden. Weitere Schließungen dürften keine Option mehr sein. Das Land werde ansonsten seinem Bildungs- und Erziehungsauftrag nicht mehr gerecht. „Es droht der Verlust einer ganzen Generation.“ Auch im Bereich Kultur müsse gehandelt werden.

Ein aus Sicht der Bürgermeister völlig vernachlässigtes Thema ist der allgemeine Bewegungsmangel, gerade bei den Kindern und Jugendlichen. Welche negative Auswirkung habe die fehlende Bewegung dauerhaft auf die Gesundheit, auf das Gesundheitssystem, und wie werde sich die intensive Mediennutzung im Homeschooling darauf auswirken?

Die Bürgermeister fordern in dem Schreiben an Kretschmann eine Abkehr von der reinen Politik der Beschränkung und Verbote zu einer Politik der möglichst großen Freiheit mit bestmöglicher Begleitung von Hygienemaßnahmen.

„Das Coronavirus gehört zwischenzeitlich zu uns. Wir werden es für lange Zeit nicht schaffen, alle daraus resultierenden Risiken auszuschalten. Deshalb muss das Motto für die kommenden Wochen heißen: Zulassen, statt zu lassen.“

Die Entscheidungsgrundlagen für weitere Schließungen dürften nicht mehr hinter verschlossener Tür verhandelt werden. Ebenso sei mittlerweile bekannt, dass sich die Menschen im privaten Umfeld treffen und es mit der Coronaverordnung nicht mehr so ernst nehmen. Auch in Bezug auf dieses Wissen seien Schließungen auf die Tauglichkeit der Maßnahme zu überprüfen.

„Wir als Bürgermeister bekommen im direkten Kontakt mit den Mitbürgern und Einwohnern die unmittelbare Verzweiflung gerade der Einzelhändler, aber auch der Gastronomen zu spüren. Viele von ihnen haben ihre auch als Altersvorsorge gedachten Rücklagen bald komplett aufgebraucht und werden am Ende alles verloren haben, wenn nicht die versprochene Unterstützung wirklich umfassend, zeitnah und vollständig fließen wird. Gelingt hier nicht sehr kurzfristig die Korrektur, so würden gerade wir in unseren Kommunen bald unsere Innenstädte und Gemeindezentren nicht wiedererkennen; vom Online-Handel können unsere Innenstädte nicht leben.“

Schließungen dürften nicht mehr flächendeckend geschehen, sondern müssten nach solch einer langen Zeit differenzierter vorgenommen werden. „In welchen öffentlichen Bereichen stecken sich die Menschen an? Müssen Speiselokale geschlossen bleiben, wenn zum Beispiel die Öffnung von Bars und Diskotheken nicht möglich ist?“

Nur wenn dieser Abwägungsprozess endlich transparent erfolge, würden notwendige Beschränkungen in der Zukunft auch Akzeptanz finden.

Dabei beteiligten sich die Kommunen bereits heute aktiv an Corona-Schwerpunktpraxen und arbeiteten bei allen Aufgaben mit den Gesundheitsämtern eng zusammen. „Auch die aktuelle Teststrategie des Landes unterstützen wir aktiv. Wir sind bereit dies in Zukunft noch intensiver zu tun. Denn wir sind überzeugt, dass uns auf kurze und mittlere Frist die Verknüpfung intelligenter Testszenarien mit einer wohlüberlegten Öffnungsstrategie deutlich schneller aus der Krise führen wird als das ungeduldige Warten auf durchschlagende Impferfolge“, so die Bürgermeister.

Auch das verbindliche Tragen von FFP2-Masken sehen die Bürgermeister als gute Begleitung einer Öffnungsstrategie an.

Insgesamt dürfe die Angst vor der nächsten Welle oder dem nächsten Mutanten nicht lähmen und zu den bisherigen Verhaltensmustern zurückkehren lassen. Angst sei kein guter Ratgeber.

Es gehe um den Schutz von Existenzen, von Familien, von Bildungsperspektiven und Zuversicht.

Unterzeichner des Schreibens sind die Bürgermeister Peter Schelshorn (Schönau, Gunther Braun (Steinen), Markus Keller (Blumberg), Micha Bächle (Bräunlingen), Bruno Betz (Ettenheim), Erik Weide (Friesenheim), Tobias Benz (Grenzach-Wyhlen), Simone Penner (Kandern), Jochen Paleit (Kappel-Grafenhausen), Dietmar Benz (Mahlberg), Georg Riedmann (Markdorf), Robert Scherer (Meersburg), Alexander Schröder (Meißenheim), Hermann Acker ( Oberndorf), Peter Heuken (Neuried) und Matthias Litterst (Schuttertal).

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