Schopfheim Abenteuer Großstadt

Markgräfler Tagblatt
Buntes, verführerisches, aber auch desillusionierendes Leben herrscht im Berliner U-Bahn-Labytinth. Fotos: Hans-Jürgen Hege Foto: Markgräfler Tagblatt

Musical: Waldorfschule bringt „Linie 1“ auf die Bühne

Romantische Träume (ver-)führten ein Mädchen aus der Provinz vom behüteten Zuhause weg nach Berlin. Rockmusiker Johnnie hatte ihr den Himmel auf Erden versprochen. Sie glaubte dem „Märchenprinzen“, riss von daheim aus und wagte den Trip in den Hauptstadt-Dschungel, wo sie dann recht unsanft und sehr schnell aus allen Wolken fiel.

Von Hans-Jürgen Hege

Schopfheim. Denn im Biotop des Berliner U-Bahn-Labyrinths machte sie statt ihres „Helden“ Bekanntschaft mit vielen abenteuerlichen Typen, traf Schulschwänzerinnen, Tagträumer, Junkies, Spießer, Skinheads, Alkoholiker, Zuhälter und Rentner. Während der Fahrt teilte sie mit vielen dieser Fahrgäste Träume, Ängste und Sehnsüchte. Sie lernte die Auswüchse von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit kennen, erlebte die Reaktionen der Fahrgäste auf „Verkehr im Verkehrsmittel Bahn“ und jede Menge Gleichgültigkeit auf engstem Raum.

Das Publikum erlebte am verlängerten Wochenende von Freitag bis Sonntag drei dieser U-Bahn-Fahrten in der Halle der Waldorfschule mit. Regie führte bei diesem Musical mit dem Titel „Linie 1“, das 1986 uraufgeführt wurde und zu dem Birger Heymann die Musik geschrieben hat, Marion Dürr. Die musikalische Leitung hatte Elias Götte, für die Choreografie zeichnete Natalie Wondrak verantwortlich. Und alle drei konnten auf ein Ensemble talentierter junger Künstler bauen, die sich der Idee von „Takepart“ verpflichtet fühlen: Durch künstlerische Projektarbeit Jugendliche und junge Erwachsene intensiv fördern und nachhaltig bilden.

Und das gelang der munteren, hoch motivierten Gruppe auf der Waldorf-Bühne hervorragend. Sie verstanden es mit viel Temperament und Können, ihren Gästen im Saal mit ihrer Show, dem musikalischen Drama ums Leben und Überleben in der Großstadt, um Hoffnungen und Anpassungen, Mut und Selbstbetrug den „Mut zum Träumen“ zu vermitteln. Dabei kamen weder Humor noch tiefschürfende Erkenntnisse („Wenn man morgens aufwacht und es tut nichts weh, ist man tot“) oder Gedanken zu Selbstmord („Die meisten Menschen wären längst tot. Aber es kommt halt vielen was dazwischen beim Versuch, sich umzubringen“) zu kurz.

Lieder wie „Wenn die Liebe erwacht“, „Mut zum Träumen“ oder „Du bist schön, auch wenn du weinst“ begleiteten das Mädchen ohne Namen auf ihrer Reise. Dass die junge Dame („Ich will einfach nur glücklich sein“) sich im Abenteuer Großstadt nicht verliert, zeugt von Charakterstärke. Ebenso, dass sie sich am Ende nicht für den smarten „Bambi“ entscheidet und ihrem großen Schwarm Johnnie die kalte Schulter zeigt und sich vornimmt, ihren Weg in der Stadt allein zu machen. Auch damit strafte sie den Text des Liedes Lügen, in dem die Rede davon ist: „Warten auf den nächsten vollen Zug, auf den nächsten kleinen Schluck, auf die Säcke im Betrieb, auf ein Leben – leer wie ein zerrissenes Sieb.“

Die junge Ausreißerin wollte nicht auf den nächsten vollen Zug warten, sondern ihr Schicksal selbst in die Hände nehmen. Ein Entschluss, an dem man sich gern ein Beispiel nehmen darf. Das sah dann wohl auch das Publikum im leider nicht voll besetzten Saal der Waldorfschule so, das den tollen, engagierten Auftritt des Musical-Ensembles mit stürmischem Applaus honorierte.

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