Schopfheim „Das Zauberwort heißt Pflegemix“

Markgräfler Tagblatt

Gemeinderat: Impulsvortrag von Pia Maria Späth über die Altenhilfe in der Stadt und deren Perspektiven

Noch ist die Grundversorgung der Altenhilfe im Landkreis gewährleistet. Doch perspektivisch gesehen kann die Deckung nicht mehr garantiert werden – die Kommunen müssen schon heute vorsorgen, appellierte Pia Maria Späth eindringlich an den Gemeinderat.

Von Petra Martin

Schopfheim. Die Geschäftsführerin der Curare gGmbH hielt bei der Ratssitzung einen Impulsvortrag über die Altenhilfe und die Auswirkungen des Teilhabegesetzes auf Kommunen und Landkreis.

„Der Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre steigt“, erklärte Späth den Handlungsbedarf. 2035 werde der Anteil der über 65-Jährigen bei 27,8 Prozent im Landkreis Lörrach liegen, bei 29,3 Prozent in Schopfheim. 2019 lag dieser Anteil in der Markgrafenstadt bei 21,4 Prozent. Die Quote der über 85-Jährigen steige um 100 Prozent.

Die Zahl der Einpersonenhaushalte nehme zu, gleichzeitig sinke der Anteil der Jüngeren, die derzeit noch die größte pflegende Gruppe darstelle. Auch die Gruppe der Babyboomer aus den 50er- und 60er Jahren breche als „Pflegekräfte“ weg, da diese selbst in die Ruhestandsjahre kommen. Man müsse das Konstrukt der Großfamilie wiederherstellen, aber in anderer Form als früher.

Die Grundversorgung im Landkreis sei derzeit gewährleistet, es gelte, die regionalen Versorgungsdefizite zu prüfen, Angebote zu vernetzen; eine bedarfsorientierte Analyse sei wichtig. So unterschieden sich die Bedürfnisse von Senioren in Schopfheim und im Kleinen Wiesental. Da die Grundversorgung künftig nicht mehr gedeckt seie, müsse die Sicherung der Pflege ausreichend gestaltet werden. Die Gemeinde habe hierbei eine Daseinsfürsorge.

Wichtig für die Senioren sei, im vertrauten Umfeld bleiben zu können. Es gelte, Pflegetourismus zu vermeiden. Wegen der langen Wartelisten in den Pflegeheimen kämen viele Senioren bisher nicht an ihrem eigentlichen Wohnort unter.

Anzustreben sei ein attraktiver Lebensraum für Jung und Alt. Zu den Forderungen gehören die Ermöglichung altersgerechten, barrierefreien Wohnens, einer selbstständigen Lebensführung, Mobilität, sozialer Kontakte, Beratung und Wahlfreiheit. Es könne nicht angehen, dass man zwischen 50 Sorten Brot auswählen könne, aber nicht selbst bestimmen könne, wo man im Alter leben darf.

Alleinige Konzentration auf die stationäre Pflege verhindert laut Pia Maria Späth das Entstehen alternativer Modelle und Strukturen. Angebotsvielfalt sei vonnöten, Netzwerke müssten geknüpft und alternative Wohnformen umgesetzt werden. Es gelte das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung. Die Gemeinde Maulburg beispielsweise ziehe ein kleines Quartiersprojekt einem Pflegeheim vor. „Das Zauberwort heißt Pflegemix“, so Späth.

Mangelware sei die geriatrische Reha, die beispielsweise nach einem Oberschenkelhalsbruch erforderlich wäre. Wenn man sich für stationäre Einrichtungen entscheide, dann am besten für kleinere Einheiten, so Pia Maria Späth. Solche Einheiten mit kurzen Wegen, Bäcker, Geschäft, Arztpraxis und Friseur würden präferiert. Eine Bündelung der Angebote spiele eine große Rolle, um das Ziel zu erreichen: Lebensqualität in jeder Lebensphase. Auch in einem Sterbeprozess könne es Lebensqualität geben, erläuterte Pia Maria Späth.

Der Teilhabeplan IV habe für die Zukunft die selbstständige Lebensführung auch bei Pflegebedürftigen und eingeschränkter Mobilität zum Ziel. Der Auftrag für die Stadt für ein gelingendes Altern habe die Schwerpunkte: Kurzzeitpflege, medizinische und hauswirtschaftliche Versorgung, Mobilität und Tages- und Nachtpflege. Für besondere Zielgruppen müssten Angebote geschaffen werden im Sinne einer demenz- und behindertenfreundlichen Kommune (Barrierefreiheit); auch Menschen mit Migrationshintergrund müssten miteinbezogen werden.

Lebensqualität in jeder Lebensphase

Für ein gelingendes Altern sei es wichtig, bestehende Strukturen mit quartiersbezogenen Versorgungssystemen zu ergänzen und generationsübergreifende Initiativen zu starten. Es gebe Kriterien für einen nachhaltigen Prozess – hierbei seien die Rolle des Bürgermeisters und die Positionierung des Gemeinderats entscheidend. Späth: „Es lohnt sich, sich auf diesen Weg zu machen.“

Aufgrund der demografischen Entwicklung gebe es hierzu keine Alternative, machte Grünen-Stadträtin Marianne Merschhemke deutlich. „Wir sollten uns auf den Weg machen.“ Es handele sich um eine wichtige Aufgabe der Verwaltung. Auch Fraktionskollege Ernest Barnet sah dies so. Dass künftig keine Deckung der Grundversorgung mehr bestehe, sage alles. Barnet fragte sich, weshalb die Seniorenbeauftragte der Stadt nicht bei der Sitzung war. Er plädiere für einen Arbeitskreis, „gerne unter Federführung der Seniorenbeauftragten“.

Die meisten Menschen wünschten sich alternative Wohnformen, nicht eine stationäre Pflege, pflichtete Grünen-Stadträtin Elke Rupprecht bei. Freie Wähler-Stadträtin Hildegard Pfeifer-Zäh wünschte sich eine regelmäßige Beschäftigung mit dem Thema, auch wenn es derzeit gut laufe.

Bürgermeister Harscher sprach die künftige Bebauung im Kohlengässle an und die Wiederverwendung des Krankenhausgebäudes nach Inbetriebnahme des Zentralklinikums – jetzt könnten die Weichen für dortige Angebote der Altenhilfe gestellt werden. Es sei ein Mehrwert für die Gesellschaft, wenn ältere Menschen so lange wie möglich eigenständig leben könnten mit verschiedenen Betreuungsoptionen je nach Bedarf. Wer in eine Betreuungseinrichtung ziehe, mache auch Wohnraum frei. Das evangelische Sozialwerk Wiesental sei mit seinen Häusern und dem ambulanten Pflegedienst Curare ein „Vorzeigeunternehmen“ in Schopfheim.

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