Schopfheim Der letzte Ton verklingt im Äther

Jürgen Scharf
Noch einmal Musik, dankbar vom Publikum aufgenommen: Der Geiger Ilia Korol und der Cembalist Jermaine Sprosse traten unmittelbar vor dem Lockdown bei Klassik im Krafft-Areal auf. Foto: Jürgen Scharf

Krafft-Areal: Noch einmal ein Konzert vor dem November-Lockdown / Zwei herausragende Solisten

Schopfheim - Dankbare Zuhörer, überglückliche und bewegte Musiker: Das war die Stimmung beim letzten Stiftungskonzert im Krafft-Areal, „bevor es in die kulturelle Finsternis geht“, wie es Organisator Werner Geigle ausdrückte.

Einer der beiden Künstler, der Basler Cembalist Jermaine Sprosse, betonte denn auch die Wichtigkeit dieses Konzerts, bei dem lange nicht klar war, ob es überhaupt stattfinden kann. Einige Unsicherheit stand im Raum, weil Sprosse aus der Schweiz kommt und sein Duopartner, der Barockgeiger Ilia Korol, aus Wien – beides sogenannte Risikogebiete.

Das zahlreiche Publikum empfand sicher ebenso, dass man es schätzen sollte, noch einmal so ein schönes Konzert zusammen zu genießen, schließlich gibt es für längere Zeit keines mehr.

Auch musikalisch war es eine runde Sache. Barockmusik aus England, Italien und Deutschland, gespielt von zwei herausragenden Spezialisten der Originalklang-Bewegung: einem Cembalisten aus der „Kaderschmiede“ für Alte Musik, der Schola Cantorum Basiliensis, und einem Geiger, der zur Weltspitze in diesem Metier gehört und mit namhaftesten Interpreten zusammenarbeitet: also erste Vertreter ihres Fachs.

Schon gleich zu Beginn bei den „Ayrs for the Violin“ von Nicola Matteis und einer Sonate von William Babell war die stilistisch hervorragend aufeinander eingestellte Musikalität beider Künstler zu erleben, die sich in Violinsonaten von Händel und Geminiani fortsetzte: eine Spitzenkönnerschaft, gepaart mit aufführungspraktischem Wissen in historisch-künstlerischer Sicht.

Da war zum einen die bemerkenswerte Intonationssicherheit und wunderschöne Melodieführung des Geigers, der Händel-Sonate und Geminiani in einer überaus klangschönen, prägnanten und stilkundigen Interpretation anging, zum anderen die souveräne Registrierung des Cembalisten, so dass diese Sonaten aus dem Fundus der Alten Musik sich frisch und neu anhörten.

Überhaupt war es das Erlebnis des Abends, wie lebendig diese beiden Musiker musikgeschichtliche Erkenntnisse in die (Spiel-)Praxis umsetzen: affektvoll und ausdrucksstark in der d-Moll-Sonate des Italieners Geminiani, mit „sprechender“ Agogik und Feingefühl für die Dynamik in der Händel-Sonate. Beide Werke ausgeschmückt mit vielen Verzierungen.

Der Wohllaut dieser Barockgeige war verführerisch, aber auch die schnittig-virtuose Auffassung des Cembalisten wirkte erfrischend. Eine Bearbeitung der wohl berühmtesten Händel-Opernarie „Lascia ch’io pianga“ spielt Sprosse mit geschmackvollen Verzierungen, Trillern und kühnen Läufen. Hörenswert war auch, wie der Cembalist auf experimentelle Weise die Barockwerke mit eigenen Improvisationen „ex tempore“ und kurzen Überleitungsgedanken verbindet.

Spieltechnische Perfektion von zwei Spitzenmusikern

Auf Zuruf aus dem Publikum improvisiert er über Beethovens erste Sonate in f-Moll, über die Badinerie von Bach im Sinne eines spannenden Intermezzos. Da tat sich ein kleines Improvisationsfenster auf. „Attacca“ (ohne Pause) leitet Sprosse dann über zu einem Stück aus den „Pièces de Clavecin“ von Geminiani.

Abgesehen von der spieltechnischen Perfektion der beiden Spitzenmusiker konnte diese intelligente musikalische Konzeption mit den Improvisationen sehr gefallen. Besser kann man diese frühe Musik nicht spielen: spritzig und hellwach, fast schon spontan wirkend.

Auch die räumliche Akustik hat erstaunlicherweise das Ganze noch unterstützt mit einem überraschend offenen, plastischen und tragenden Klang in der Fahrnauer „Tonhalle“, einem silbrig glitzernden Cembaloton.

Der Abend, der mit dem „Hamburger Bach“ Carl Philipp Emanuel auf dem selben hohen Niveau des ganzen Programms ausklang, hätte gute Laune machen müssen, wenn er nicht unter dem Vorbehalt des letzten Konzerts vor dem Lockdown gestanden hätte.

Diesem Umstand entsprach die Zugabe, ein sehr ruhiges Stück von Matteis, mit dem die Interpreten wieder an den Anfang zurückkehrten und dessen letzter Ton im Äther verklang – symbolisch für die Situation der Kultur.

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