Schopfheim „Dieses Dasein nicht erschweren“

Petra Martin
Besuch im Zimmer einer Wohngemeinschaft im Georg-Reinhardt-Haus: (von links) CDU-Stadträtin Marianne Zabel, CDU-Landtagsabgeordnete Sabine Hartmann-Müller, Einrichtungsleiter Stefan Schmidt, Grünen-Landtagsabgeordneter Josha Frey, die 94-jährige Vorsitzende des Heimbeirats, Gretel Bacher, und Sozialminister Manfred Lucha (Grüne). Foto: Petra Martin

Georg-Reinhardt-Haus: Sozialminister Lucha sieht in der Traditionseinrichtung einen olympischen Maßstab

Schopfheim - „Respekt, Sie sind auf dem richtigen Weg“: Manfred Lucha, Sozialminister im Kabinett Kretschmann, bescheinigte dem Georg-Reinhardt-Haus bei seinem Besuch, eine „olympische Benchmark“ darzustellen.

Gemessen an anderen Einrichtungen im Land sei eine Institution wie das Reinhardt-Haus der Vergleichsmaßstab. Der Paradigmenwechsel von der Fürsorge zur Selbstbestimmung sei dem Georg-Reinhardt-Haus gelungen.

Trotz Pflegebedürftigkeit sei Häuslichkeit gegeben, „das Normalitätsprinzip“ wichtig, „die Wäsche steht im Wohnzimmer“. Das Haus sei nicht rein funktional ausgerichtet, sondern „beseelt“. Im Ordnungs- und Leistungsrecht sollten solche Formen der Versorgung ermöglicht und ihr Dasein nicht erschwert werden, resümierte Lucha am Ende seines Besuchs. Anstatt nach dem Motto „satt und sauber“ zu versorgen, komme es auf den „Lebensraum“ an, den es für die Bewohner zu schaffen gelte – „best practice“ eben, wie sie im Reinhardt-Haus angewandt werde, so Lucha.

Der Sozialminister war am Mittwoch zusammen mit Leonie Schuler, Referentin im Sozialministerium, und dem Grünen-Landtagsabgeordneten Josha Frey zu Gast in der Haus- und Lebensgemeinschaft. Auch die CDU-Landtagsabgeordnete Sabine Hartmann-Müller und CDU-Stadträtin Marianne Zabel

Beseeltes Haus

waren beim Gespräch mit Martin Mybes, dem geschäftsführenden Vorstand des evangelischen Sozialwerks Wiesental, Einrichtungsleiter Stefan Schmidt, Hauswirtschaftsleiterin Katja Hillinger, Pflegedienstleiterin Susanne Deiß und Claudia Pannach, Qualitäts- und Ausbildungsbeauftragte, mit von der Partie.

Mybes und Schmidt schilderten Entwicklung und Konzept des Hauses, die Abkehr vom Hospitalmodell hin zu einer zeitgemäßen Versorgung mit familienähnlichen Strukturen, weg von einer zentralen Organisation hin zu acht autarken Wohngruppen mit eigener Gemeinschaftsküche.

Die Pflegefachkräfte seien jeweils für zwei Wohngruppen à zwölf bis 13 Bewohner zuständig (Teiler 1:25, ansonsten 1: 27), wobei es mittlerweile die Berufsgruppe der Präsenzkräfte gebe, die Betreuung und hauswirtschaftliche Versorgung leisten.

Bewohner würden in Arbeitsabläufe eingebunden, zudem seien 70 Ehrenamtliche einbezogen – allerdings „bräuchten wir noch mehr Unterstützung“, betonte Einrichtungsleiter Schmidt, der auch die enge Verzahnung zur Kirche, zu Schulen und Vereinen hervorhob. „Es ist unser Ziel, das Gemeinwesen stärker einzubeziehen.“ Der freiwillige Besuchsdienst ist für Sozialminister Manfred Lucha der bessere Pflege-TÜV, eine „natürliche Kontrolle“, denn dadurch entstehe Transparenz.

Allerdings sieht sich auch die Schopfheimer Traditionseinrichtung mit enormen Herausforderungen konfrontiert. „Der Pflegenotstand geht nicht an uns vorbei“, machte Einrichtungsleiter Stefan Schmidt deutlich. Zwar lebe das Haus von seinem Namen, doch in Sachen Fachkräftemangel werde die Luft dünner. „Hier müssen wir nach Lösungen suchen.“

Sorgen bereitet auch die hausärztliche Versorgung. Zwar sei die Schaffung des medizinischen Versorgungszentrums löblich, doch sie könne keine Dauerlösung darstellen. Darüber hinaus verzeichne das Reinhardt-Haus viele Anmeldungswünsche, davon mehr als 100 dringende.

Die Anmeldungen kämen auch von Menschen, die noch nicht pflegebedürftig seien, da es im Bereich der häuslichen Versorgung Defizite gebe, und sogar aus München und Hamburg. Es fehlten Tages- und Kurzzeitpflegeplätze. Die Haus- und Lebensgemeinschaft sei allerdings ein Schopfheimer Haus für Schopfheimer Bürger. „Wir wollen keinen Pflegetourismus.“

Martin Mybes nannte die Erweiterung der Angebote, berichtete vom neuen Bonhoeffer-Haus, vom ambulanten Pflegedienst „Curare“ sowie vom Kooperationsmodell mit der Wohnbau Lörrach am Eisweiher. Vereinsamte Menschen stünden beim Georg-Reinhardt-Haus Schlange. „Der Einsamkeitsgrad ist hoch, das sehen wir bei der Anmeldung.“

Doch weitere Expansionspläne könnten keinesfalls überstürzt werden, denn dies würde nicht allein hohe Kosten verursachen. Es bräuchte dann auch mehr Pflegekräfte – doch woher die nehmen? Das Reinhardt-Haus mache deshalb kleinere Schritte und setze auch auf das nötige innere Wachstum.

Lucha nannte diese Strategie, als kleiner lokaler Anbieter aufzutreten statt „think big“, richtig. Es gelte, „kleinteilige, lokale Flickenteppiche“ zu stützen anstelle von „Käfighaltung“. Ihm gefalle die „Qualität vor Ort“ – alles unter dem Motto „Meine Betreuung wächst mit mir mit.“ Denn: „Die Doppelvorhaltung zweier Strukturen können wir uns nicht leisten.“ Auch die Weiterbildung in Gesundheitsvorsorge nehme eine größere Rolle ein.

Martin Mybes sprach schließlich soziale Missstände an: dass ausgerechnet ein christliches Haus Menschen ausschließen müsse, die sich „das nicht leisten können, obwohl wir nicht überteuert sind“.

Wer sein Leben lang gearbeitet habe, 550 Euro an Miete zahle und davon ausgehe, bei zehn Euro mehr könne er die Einrichtung nutzen, dem sei der Zugang zur zeitgemäßen Versorgung versperrt. Dass Menschen faktisch den Sprung in die Alterssicherung nicht schaffen, sei ein „schlimmes Erleben“, unterstrich Mybes. Dies auch

Schlimmes Erleben

vor dem Hintergrund, dass die gemeinnützige Einrichtung nicht auf Gewinnmaximierung aus sei, sondern lediglich eine „schwarze Null“ anstrebe.

Ihn motivierten diese Besuche, versicherte Sozialminister Lucha, der das Haus ermunterte, sich zu melden, wenn Innovationsprojekte ausgeschrieben werden, und versprach, sich um Einrichtungen innerhalb des Schwellenhaushalts zu kümmern.

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