Schopfheim Für bessere Chancen und Gerechtigkeit

Markgräfler Tagblatt

Ökumenischer Friedensdienst: Leonie Hehn und Luisa Strittmatter verbrachten ein Jahr in Südamerika

Sie waren zwei frischgebackene Abiturientinnen aus Kürnberg und Raitbach, die vor einem Jahr nach Südamerika zum freiwilligen ökumenischen Friedensdienst aufbrachen: Luisa Strittmatter und Leonie Hehn sind nun zurück, und beide Freundinnen sagen: „Ich habe mich verändert, bin zufriedener und selbstbewusster geworden, und ich habe eine andere Sicht auf die Dinge.“

Von Petra Martin

Schopfheim. Wie vielfältig ihre Möglichkeiten in Deutschland nach dem Abitur sind, das haben die beiden 19-Jährigen gemerkt, als sie den Kontinent wechselten und einen Blick auf das Leben von Kindern ohne Chancen warfen. Als sie sahen, was Armut und Gewalt aus Kindern macht. Als sie feststellten, dass es nicht gerecht zugeht auf der Welt.

Leonie Hehn aus Raitbach arbeitete in einem Kinder- und Jugendzentrum in Baradero, „zwei, drei Stunden von Buenos Aires entfernt“, also „in der Nähe der Hauptstadt“, spielt Leonie Hehn auf die riesigen Entfernungen in Argentinien an.

Was Armut und Gewalt aus Kindern macht

Auf dem riesigen Gelände, auf dem es noch eine Jugendherberge gab, einen Wald, einen Bauernhof, ein Schwimmbad und eine Kirche, betreute Leonie Hehn Kinder aus schwierigen Verhältnissen, die entweder vor- oder nachmittags kamen, je nachdem wann sie keinen Schulunterricht hatten. „Es waren Kinder mit Eltern, die Alkoholiker waren, die im Gefängnis saßen oder andere Drogenprobleme hatten“, berichtet Leonie Hehn, die 2017 ihr Abi am THG abgelegt hat.

Das Kinder- und Jugendzentrum, eine Einrichtung der evangelischen Kirche am Rio de la Plata, war für die Kinder ein Ort der Sicherheit und Geborgenheit, ein Ort der Unterstützung bei schulischen Angelegenheiten. „Es war ein Ort, an dem die Kinder ein Essen bekamen und baden konnten.“

Kreative Angebote und Sport gab es zusätzlich, zudem fanden viele Andachten statt. Etwa 30 Kinder kamen pro Tag; bei Regen, wenn man auf den ungeteerten Straßen tief im Matsch einsank, bisweilen nur zwei.

Was schwierige familiäre Verhältnisse aus Kindern machen, konnte Leonie Hehn jeden Tag sehen: „Es gab oft Streit.“ Die Kinder beleidigten sich gegenseitig, fühlten

Mehrmals täglich Streit schlichten

sich angegriffen, und für Leonie Hahn hieß es mehrmals am Tag Streit zu schlichten. Erschreckend sei gewesen, als einmal ein älterer Jugendlicher komplett ausgerastet sei, sich wie ein „Tier“ verhalten habe. Der Jugendliche habe sich tags darauf entschuldigt. Standen am Anfang des Einsatzes noch Verständigungsschwierigkeiten an - die Kinder dort sprachen kein Schulspanisch, sondern ihren Jugendslang - , so wurde die Sprache mit der Dauer des Aufenthalts immer besser. Und Leonie Hehn verstand, worum es bei den Streitereien ging. Und sie verstand den Hintergrund, konnte nachvollziehen, weshalb ein Jugendlicher austickt, was vielleicht jeder Mensch machen würde, litte er unter denselben Belastungen.

„Das Projekt hat mir Spaß gemacht“, bilanziert Leonie Hehn. Einzelne Tage seien indes sehr anstrengend gewesen. Doch der Einsatz habe ihr viel gebracht. „Ich habe andere Lebensrealitäten kennengelernt. Wenn man in Deutschland, in einer sicheren Welt, aufwächst, wo es selbstverständlich ist, zur Schule zu gehen und einem alle beruflichen Möglichkeiten offen stehen, und man sieht, dass woanders Achtklässler nicht lesen können, weil sie keine Unterstützung von daheim erhalten und keine Förderung in der Schule, dann weiß man, wie ungerecht das ist: dass nur das Land, in dem man geboren wurde, über die Chancen entscheidet.“

Dass sie daran arbeiten konnte, die Zukunftschancen dieser Kinder zu verbessern, habe sie ein stückweit zu einem anderen Menschen gemacht, sagt Leonie Hehn, die sich an ein besonders schönes Erlebnis erinnert: Einmal war sie mit den Kindern in einem Tierpark, dessen Eintritt sich die Kinder niemals hätten leisten können. „Die Kinder waren so glücklich und stolz.“

Luisa Strittmatter aus Kürnberg, die 2017 an der Freien evangelischen Schule in Lörrach Abi machte, kann da nur zustimmen. Sie leistete das freiwillige soziale Jahr im größten Armenviertel Montevideos, der Hauptstadt von Uruguay, ab.

Die Kinder waren so stolz und glücklich

Das Kinder- und Jugendzentrum sei die Anlaufstelle für Familien mit Problemen gewesen. Armut, Kriminalität und Gewalt herrschten vor Dabei sei das Land nicht so arm wie die Nachbarländer, es sei ein Schwellenland, die Menschen hätten Kleidung, Wasser und Strom. Und doch seien viele zum Baden gekommen, zum Mittagessen und zu Kaffee und Kuchen, weil es zuhause nicht ausreichend zu essen gab.

Workshops, zum Beispiel Kochen, Technologie, Musik oder „Identität und Gesundheit“, hätten stattgefunden, und in einem Kurs konnten die Teilnehmer lesen und eigene Geschichten scheiben, ihr Leben erzählen. „Wenn man die Geschichte der Kinder kennt, versteht man, warum sie so sind.“

Ein Jahr kann lang sein; für die Freundinnen ist es aber klar, dass der Friedensdienst nicht kürzer sein dürfte. „Das erste halbe Jahr ist Ankommen“, sagt Luisa Strittmatter. „Im zweiten Halbjahr lebt man.“ Zuerst erscheine alles wie ein „Riesenberg“, doch dann fange man einfach an zu klettern. Friedensdienst sei ein Prozess.

Die Freundinnen indes bewiesen Durchhaltevermögen, was sie reifer, erwachsener werden ließ. Dankbar sind sie, weil sie immer unterstützt wurden.

Am Anfang spürten sie an ihren jeweiligen Einsatzorten bei den Kindern Respektlosigkeit, sie wurden ausgelacht, auch wegen mangelnder Sprachkenntnisse. Doch Vertrauen entstand („das

Bis Vertrauen entsteht, braucht es Zeit

braucht Zeit“), Beziehungen wuchsen, und schließlich waren die Kinder traurig, dass ihre beiden Freiwilligen, „die Deutschen“, gehen mussten.

Dass auch in Deutschland nicht immer alles schön ist, wissen die beiden Freundinnen. Deshalb sind sie sich sicher, dass der Prozess des Friedensdiensts mit dem Ende des Südamerika-Einsatzes nicht beendet ist.

Leonie Hehn, die Pharmazie in Heidelberg studieren will, und Luisa Strittmatter, die ein Jahr bei der Nachmittagsbetreuung in der Max-Metzger-Schule beschäftigt ist und dann soziale Arbeit studieren möchte, haben sich intensiv mit den Themen von Friedensdienst befasst.

„Es geht um Wertschätzung, um wirtschaftliche Gerechtigkeit, um Themen wie Diskriminierung, Armut, Drogen, um die vorgegebene Rolle, die man einnehmen muss, um zur Gesellschaft dazuzugehören.“

Leonie Hehn und Luisa Strittmatter haben dazu beigetragen, die Welt benachteiligter Kinder etwas friedlicher zu machen - und würden es immer wieder tun.

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