Schopfheim Mehr als ein Gedicht: ein Geschenk

Jürgen Scharf
Frauke Roloff als Sprecherin und Schlagzeuger Dominik Hoyer gestalteten eine eindrückliche Hommage an die Dichterin Nelly Sachs im Rahmen der Skulpturenausstellung in der Alten Kirche. Foto: Jürgen Scharf

Alte Kirche: Literarische Annäherung an Nelly Sachs / Frauke Roloff als Sprachrohr für jüdischen Geist

Nach Auschwitz kann man keine Gedichte mehr schreiben, forderte einst der Philosoph Theodor W. Adorno. Die lyrische Produktion von Nelly Sachs lehrt etwas anderes. Die jüdische Dichterin und Nobelpreisträgerin setzt sich in ihren Gedichten mit den quälenden Erinnerungen an das Leid des jüdischen Volkes auseinander.

Von Jürgen Scharf

Schopfheim . Mit ihrer religiösen Dichtung ist Nelly Sachs zur Holocaust-Dichterin geworden. Viel von der seelischen Kraft in diesen elegischen und metaphorischen Gedichten war bei der literarisch-musikalischen Hommage an Nelly Sachs, einer Begleitveranstaltung zur Skulpturenausstellung in der Alten Kirche, zu spüren.

Die Idee des Programms ging auf Frauke Roloff zurück, die als Sprecherin diese reimlosen, bilderreichen Gedichte allesamt auswendig in einem den erstaunlich vielen Zuhörern zugewandten sehr poetischen Sprechen vorstellte.

Bilderreiche Gedichte

Dabei ging sie chronologisch vor, begann mit den Gedichten nach 1946, eindrücklichen Texten über das jüdische Schicksal und Menschen, die „in den Wohnungen des Todes“, also den Konzentrationslagern, hausen mussten.

Die Gedichte der späten 1950er Jahre wie der Zyklus „Flucht und Verwandlung“ zählen zu den literarischen Höhepunkten: ein Gedichtwerk, das Nelly Sachs im siebten Lebensjahrzehnt schrieb. Roloff rezitierte daraus „In der Flucht“, das der Dichterin sehr wichtig war und das sie Mitte der 1960er Jahre bei den Verleihungen des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels und des Nobelpreises selber vortrug.

Dieses Gedicht mit der letzten Zeile „An Stelle von Heimat halte ich die Verwandlungen der Welt“ schwang durch den Kirchenraum mit dem skulpturalen Widerhall der Glasskulpturen und einem musikalischen Nachhall.

Anstelle des erkrankten Saxophonisten war kurzfristig und ganz spontan, ohne vorherige Probe, der Schopfheimer Schlagzeuger Dominik Hoyer eingesprungen. Zu den Sprachbildern setzte Hoyer seine eigenen Klangbilder und zeigte mit den Improvisationen, die teils Session-Qualitäten hatten, ein absolutes Einfühlungsvermögen. Passend zu den poetischen Stimmungen ließ er den metallischen Ton anschwellen und wieder verhallen.

Der Titel des Programms „Einmal wird ein Sternbild Spiegel heißen“ war dem „Chor der Sterne“ entnommen, und auf dem Programmblatt wölbte sich der Schriftzug wie ein Sternenhimmel über einer der spiegelpolierten Bronzeskulpturen der Bildhauerin Mechthild Ehmann. Man musste dabei an Nelly Sachs’ „Weltall der Worte“ denken.

Um diese größte deutsch-jüdische Lyrikerin seit Else Lasker-Schüler ist es inzwischen eher still geworden. Wird sie noch gelesen? Wer sie war, wissen nicht mehr viele Leute, und dem großen Publikum ist sie sicher nicht mehr bekannt.

Da hilft eine solche Annäherung, die uns diese bedeutende Vertreterin der Shoah-Dichtung in den „Verwandlungsgedichten“ über elementare Erfahrungen wie Flucht, Vertreibung und Exil näherbringt.

Beredtes Sprachrohr

Roloff fungierte als beredtes Sprachrohr für diese Weltdichtung aus jüdischem Geist. Dabei rezitierte die zarte, sensitive Vortragende die Gedichte der ebenso zarten, sensitiven Dichterin, darunter fünf Chöre aus den „Chören nach der Mitternacht“, sehr natürlich, unprätentiös und voller spürbarer Empathie, etwas leise, aber mit guter Betonung.

Freie Rezitation

Roloffs freie Rezitation öffnete den Zuhörer für diese mystische Lyrik, so dass sich dieser der dichterischen Bildersprache anvertrauen konnte. Dies war mehr als nur ein Gedichtvortrag, es war „ein Geschenk“, wie es Kunstvereins-Vorsitzender Johannes Kehm empfand, der sich begeistert von der besonderen Präsentationsform dieser dichten Inszenierung zeigte. Der Spendenaufruf für die Restaurierung der Rosette erbrachte 260 Euro.

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