Schopfheim Wie eine junge Ukrainerin durch das Ehrenamt neuen Lebensmut fand

Marianne Rittner
Anna Derevianko arbeitet ehrenamtlich als Übersetzerin für die Tafel. Foto: Marianne Rittner

Ihr Ziel ist es, in Deutschland in Frieden leben zu können und eine bessere Zukunft zu haben. Dafür musste Anna Derevianko ihre Familie in der Ukraine zurücklassen und durchlebte in der neuen Heimat eine Depression.

Das fröhliche Lachen und die strahlenden Augen der jungen Frau können leicht darüber hinwegtäuschen, was sie in ihrem Leben bereits Schweres erlebt hat und vor welchen Herausforderungen sie Tag für Tag steht. Im Gespräch mit unserer Zeitung spricht Anna Derevianko offen über ihre Sorgen und Nöte in Deutschland, aber auch über das, was ihr Mut macht und Kraft gibt.

Im August 2024 kam die 30-Jährige nach Deutschland, zunächst nach Lörrach, dann nach Schopfheim. In ihrer Heimatstadt Poltawa in der Zentralukraine nahe Charkiw arbeitete sie bis zum Kriegsausbruch in einem Touristikbüro. Danach hatte sie keine Arbeit mehr. Auch deswegen verlies sie die Ukraine.

Einen Monat nach ihrer Ankunft in Deutschland wurde Poltawa zweimal von schweren Bombeneinschlägen getroffen, die ein Ausbildungszentrum des Militärs und ein Krankenhaus trafen.

Sorgen in der neuen Heimat

Anna Dereviankos Familie lebt heute noch in der zerstörten Stadt. Anna selbst kam alleine mit ihrem Hund nach Deutschland. Mit im Gepäck: Die Hoffnung auf ein besseres Leben in Frieden – auf einen „normalen“ Alltag.

„Das Leben alleine ist hart“, sagt Anna Derevianko und Tränen steigen ihr in die Augen. In Schopfheim lebt sie in einem Zimmer in der Gewerbeakademie, wo Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht sind. Anfangs war sie tagaus tagein alleine. Dann wurde auch noch ihr Hund krank und musste zum Tierarzt. Derweil ließ das Geld vom Jobcenter auf sich warten. Anna war verzweifelt und entwickelte eine Depression. Eine offene Rechnung, kein Geld, Heimweh, Einsamkeit und das Leben in der Unterkunft setzten ihr schwer zu, erzählt sie.

Eine erfüllende Aufgabe

Von Beginn an hatte sie einen Berechtigungsschein für die Tafel, wo sie regelmäßig einkaufte. „Dort gibt es Menschen, die helfen können“, erkannte sie und fasste Mut, von ihren Problemen zu erzählen.

„Weinend stand sie vor mir und bat um Hilfe“, erzählt Kris Volker von der Schopfheimer Tafel. Im Gespräch merkte er, dass es vor allem die Einsamkeit und Perspektivlosigkeit waren, die die junge Frau bedrängten. Eine Aufgabe fehlte, und die konnte er ihr geben.

Heute arbeitet Anna Derevianko als Freiwillige für die Tafel. Neben Ukrainisch beherrscht sie Russisch und Englisch. Nun übersetzt sie während der Öffnungszeiten. Erste Deutschkenntnisse hat sie sich selbst beigebracht – ihr Deutschkurs beginnt erst im Frühjahr. „Ich kann jetzt etwas Gutes tun, bin nicht mehr nur zu Hause und lerne besser Deutsch“, sagt Anna Derevianko. „Ich möchte für die Gemeinschaft nützlich sein.“

Berührungsängste kennt die Ukrainerin nicht und so ist auch der Kontakt zu russischen Kunden in der Tafel kein Problem für sie. In ihrer Unterkunft reinigt sie regelmäßig für 30 Bewohner die sanitären Anlagen und die Gemeinschaftsküche – für einen Lohn von 18 Euro im Monat – weniger als ein Euro pro Einsatz. „Mich stört das nicht. Vielmehr stört es mich, wenn es nicht sauber ist“, sagt sie.

Hilfe, die gebraucht wird

Neu Angekommenen – egal welcher Nation – gibt sie immer den Rat, einen Berechtigungsschein für die Tafel zu beantragen. „Der Einkauf in der Tafel ist sehr wichtig für mich. So kann ich meine Raten beim Tierarzt abbezahlen und trotzdem gutes Essen kaufen. Ich bekomme hier sehr viel“, sagt sie.

Kris Volker bestätigt das: „Der Einkauf hier ist für die Kunden eine große Hilfe. Wir können keine Komplettversorgung bieten, aber wir leisten einen wichtigen Beitrag dafür, dass am Ende des Monats niemand hungern muss.“ Darüber hinaus helfen die Mitarbeiter weiter, wenn sich Kunden wie Anna Derevianko mit ihren Sorgen an sie wenden, oder wenn sie bemerken, dass jemand unter starker psychischer Belastung steht.

„Wir können sie an den psychosozialen Dienst weiter vermitteln. Doch leider gibt es viel zu wenig Therapieplätze. Außerdem macht es die Sprachbarriere viel schwieriger, ausgebildete Therapeuten zu finden, die Menschen mit Migrationshintergrund behandeln können“, schildert er die Lage. Doch gerade diese hätten oft Dinge erlebt, die sie nur schwer bewältigen könnten.

Hoffen auf besseres Leben

Jeden Tag praktiziert Anna Derevianko Yoga in ihrem Zimmer. Sie will auch selbst als Lehrerin Kurse geben und damit anderen helfen, sich besser zu fühlen und einen optimistischen Blick aufs Leben zu bekommen. Ihr größter Wunsch ist es, Deutsch zu lernen und hier in ihrem Beruf arbeiten zu können. „Vielleicht in einem Büro oder einem Hotel“,sagt sie. Ihren Beruf liebt Anna Derevianko, weil sie damit einen Beitrag dazu leisten kann, anderen Menschen eine gute Zeit zu bereiten.

Hier finden Geflüchtete Hilfe

Sozialpsychatrischer Dienst (SPDI)
Erstanlaufstelle bei Menschen in seelischen Krisensituationen, Tel. 07621/92630 (Diakonie), 07621/92750 (Caritas)

Nadia Murad Zentrum
Angebote zur gesundheitlichen und psychosozialen Versorgung für geflüchtete Kinder, Jugendliche und deren Familien unabhängig von Rechtsstatus, Nationalität, politischer, ethnischer, religiöser oder sonstiger Zugehörigkeit, Tel. 07621/9537024

Online
Überblick über alle Angebote für Geflüchtete www.seelische-gesundheit-kreis-loerrach.de

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