Steinen Auf der Marienkirche weht die weiße Fahne

Markgräfler Tagblatt

Besatzung Steinens beginnt zwei Wochen vor dem Kriegsende / Zeitzeugen erinnern sich an den Einmarsch der Franzosen

Mit der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Im Wiesental war der bis dato größte militärische Konflikt in der Geschichte der Menschheit bereits am 24. April zu Ende gegangen. Unsere Mitarbeiterin Anja Bertsch hat anlässlich des 70. Jahrestages des Kriegsendes für unsere Zeitung mit Zeitzeugen gesprochen und in Archiven geblättert.

Steinen (jab). Am 24. April 1945 weht die weiße Fahne auf der Marienkirche in Höllstein, einen Tag später ziehen französische Panzer ins Dorf ein, gefolgt von den Fußtruppen: „Kurz nach 8 Uhr morgens werden Steinen und Höllstein kampflos dem Feind übergeben“, zitiert Hansjörg Noe in seinem Buch „Hingeschaut – Steinen im Nationalsozialismus“ aus einem Bericht des katholischen Pfarrers Primus Hettich von der Höllsteiner Mariengemeinde. Der Krieg ist vorüber, die Zeit der Besatzung beginnt; zwei Wochen vor dem formalen Kriegsende am 8. Mai.

Auch viele weitere Bürger haben zur Ankunft der französischen Besatzer weiße Fahnen aufgehängt, um Blutvergießen zu vermeiden, erinnert sich eine Zeitzeugin, die das Rasseln der Fahrzeuge damals als Kind ebenso unheimlich fand wie die dunkelhäutigen Soldaten mit ihrem Turban auf dem Kopf - die Marokkaner unter den französischen Soldaten, die ob ihrer Erscheinung auch in vielen anderen Zeitzeugenerinnerungen Erwähnung finden.

In den letzten Monaten vor dem Einmarsch der Besatzer waren die Einwohner auch hier in Steinen nicht mehr ganz so unberührt von den direkten Zerstörungen des Krieges geblieben, wie es in den ganzen Jahren zuvor der Fall gewesen war. Seit Herbst 1944 waren die Einschläge buchstäblich näher gekommen: Von sieben Fliegerangriffen auf Höllstein und Steinen schreibt Pfarrer Hettich in seinem Tagebuch.

Besonders ins Dorfgedächtnis eingebrannt hat sich der Angriff vom 16. Dezember 1944, bei dem das Steinener Rathaus (heute finden sich an diesem Standort die Metzgerei Hug und die Parkplätze) zerstört wurde. Fünf Menschen kamen dabei ums Leben.

Dem Bürgermeister mit Erschießung gedroht

In Steinen wie an vielen anderen Orten sind Menschen bereit, bis zum letzten Moment für das „tausendjährige Reich“ zu kämpfen. Noch am 24. April wollen SS-Männer den Höllsteiner Bürgermeister Trinler daran hindern, die weiße Fahne zu hissen; sie drohen, ihn zu erschießen, berichtet Hansjörg Noe in seinem Buch.

Ebenfalls in diesen allerletzten Kriegstagen finden die erschütternden „Werwolfmorde“ im Hägelberger und im Elbenschwander Wald statt: In Steinen wie anderswo waren kurz vor Kriegsende Jugendliche – 14-, 15-jährige Jungs – zu „Werwölfen“ berufen worden: Als „letztes Aufgebot“ sollen sie im Wald Bunker bauen und nach Kriegsende im Rücken des Gegners den Guerillakrieg führen und Sabotageakte verüben. Den zehn Steinener Jugendlichen werden als Helfer zehn etwa gleichaltrige polnische und russische Zwangsarbeiter zugewiesen. Als zwei der Zwangsarbeiter fliehen, gibt HJ-Bannkönig Kurt Rahäuser den „Werwölfen“ den Befehl, die übrigen zu erschießen. Acht Menschen werden ermordet.

Nach ihrem Einmarsch richten die Franzosen in der vormaligen NSDAP-Parteizentrale im heutigen Lindenhof ihre Kommandantur ein, von der aus die Besatzungsbelange fortan geregelt werden. Die erste Anordnung ergeht direkt am 25. April: Die Steinener sind aufgefordert, alle Waffen und Munition im Heeresnebenzeugamt in der Häfnetstraße abzugeben. Wohnungen und Häuser werden für die Einquartierung der Soldaten beschlagnahmt, ebenso werden unterschiedlichste Eigentümer von Naturalien über Schmuck, Radiogeräte und Bargeld bis zu Pferden, Rindern und Hühnern beschlagnahmt.

Beschwerde bei der Besatzungsmacht

Über die Besatzungszeit existieren in der Bevölkerung verschiedene Erinnerungen. „Plünderungen, Requisitionen, Vergewaltigungen (werden) seit zirka einem Viertel- jahr am laufenden Band in Steinen vorgenommen“, berichtet beispielsweise Bürgermeister Karl Strübe im August 1945 in einer Beschwerde an die französische Besatzungsmacht. An anderer Stelle berichtet sein Nachfolger Paul Becker, dass die Besatzungsbehörden „später des Öfteren ihr Bedauern“ über diese Requisitionen als „nicht befohlene Maßnahmen ausgedrückt“ hätten, „mit dem Hinweis, dass es die deutschen Truppen bei der Okkupation von Frankreich auch nicht anders getan hätten.“

Im kollektiven Gedächtnis der Zeitgenossen fest verankert und durch zahlreiche Berichte belegt ist in diesem Zusammenhang das Datum des 8. August 1945: An diesem Tage wurden um 6 Uhr in der Früh alle Männer des Dorfes in die Kirche befohlen, wo sie den Tag über eingesperrt wurden; Hintergrund war wohl die Zerstörung von Telefonkabeln bei der Wiesebrücke. In den Häusern im Dorf kam es an diesem Tag zu Durchsuchungen, Plünderungen und Zerstörungen.

Andere Erinnerungen wiederum berichten von vorsichtigen Annäherungen und vom zumindest reserviert-freundlichen Umgang, der sich über die Jahre des zwangsweisen Zusammenlebens von Besatzern und Besetzten entwickelten: Der trauliche Plausch, zu dem einer der französischen Soldaten (ein Marokkaner, genauer gesagt) sich allabendlich aufs Bänkchen zum Vater hockte, immer die Portion Tabak als Mitbringsel dabei. Die zum Tauschhandel umgebogene Beschlagnahme, bei der die Soldaten fürs Mitnehmen der frisch geschlüpften Küken eine Dose Corned Beef da ließen, anstatt die Tierchen einfach so einzukassieren. Oder ein Kuchen zur Weihnacht für den französischen Offizier in der Wohnung im Erdgeschoss; dieser hatte darum gebeten, und die Zutaten besorgt; den Lamettaschmuck und die Kerzen gab’s von der Bäckerin so dazu.

Im Gegenzug dann die Einladung zu einem Glas Sekt und zur Wörterbuch-gestützten Konversation – eine Vertraulichkeit, die von der Zeitzeugin dann doch eher reserviert aufgenommen wurde.

Maulburg (jab). Während die nationalsozialistische Vergangenheit und im Zuge dessen das Kriegsende für Steinen mittlerweile gut aufgearbeitet sind, bleiben die Spuren in Maulburg bislang dünn. Das mag zum nächsten Jahrestag anders sein: Derzeit lässt auch Maulburg die Geschichte er Gemeinde während der NS-Zeit durch den Lokalhistoriker Hansjörg Noe aufarbeiten.

Einige Informationen zum Zweiten Weltkrieg liefert die Ortschronik „Von Murpech nach Maulburg“. Während Maulburg selbst von schlimmen Zerstörungen weitgehend verschont blieb, wurden die im Spätjahr 1944 aus der Kampflinie am Rhein in den Ort flüchtenden Menschen zu Boten des Krieges. Auch Verwundeten von der Front fanden hier Aufnahme: Das Schulhaus wurde zum Hauptverbandsplatz umfunktioniert. „Mehrere Soldaten sind hier gestorben und auf unserem Friedhof begraben“, berichtet die Chronik.

Ende 1944 gab es im Wiesental etliche Fliegerangriffe. Maulburg selbst wurde zwischen November 1944 und Februar 1945 vier mal angegriffen, so jedenfalls notiert der Höllsteiner Pfarrer Primus Hettich in Tagebuchaufzeichnungen, die Hansjörg Noe für seine Forschungen zu Steinen ausgewertet hat. Ein Bombenangriff galt der Funkstation auf dem „Dachsig“; der einzige Treffer allerdings war ein Blindgänger. Getroffen wurde auch das große „Laborantenhaus“, ergänzt die Chronik: Die Bombe, die das Haus vom Dach bis zum Keller durchschlug, blieb dort ebenfalls als Blindgänger liegen.

Wie in den umliegenden Orten, so rückten die französischen Soldaten auch in Maulburg am 24. April ein. Lebendige Erinnerungen dazu gibt es bislang vor allem von  Maulburgs Altbürgermeister Gerd Arzet, der sein Gedächtnis für unsere Zeitung bereits zum fünfzigsten Jahrestag des Kriegsende 1995 befragt und die Erinnerungen später auch schriftlich niedergelegt hat. Wiewohl damals ein erst sechsjähriger Bub, sind die Erinnerungen Gerd Arzets an den Tag damals sehr detailliert und farbig – Beleg dafür, wie wichtig das Kriegsende für die Menschen offenbar war.

Gerd Arzet lebte damals allein mit seiner Mutter gegenüber dem Schulhaus, wo die Mutter ein zu diesen Zeiten kaum mehr mit Vorräten gefülltes Lebensmittelgeschäft betrieb. Sein Vater war, wie zahllose andere Väter, als Soldat eingezogen worden; zum Kriegsende befand er sich „irgendwo in Jugoslawien“. Ein erstes Lebenszeichen erreichte die Familie erst 1947 in Form einer Rotkreuzpostkarte.

Die Mutter habe ihn damals - es war „schöner, sonniger Tag“ - frühmorgens geweckt und ihm erklärt, dass der Krieg vorbei sein. Die untere Etage des Hauses war von den französischen Soldaten bereits beschlagnahmt. Im Esszimmer wurde das Büro eingerichtet, erste Anordnungen geschrieben und Passierscheine ausgestellt.

Große Überraschung für den Bub: Entgegen allen Lektionen, die das Kind bis dato über die Fremden gelernt hatte, waren die Franzosen ausgesprochen freundlich und schenkten ihm eine Dose bis dato nie gesehener amerikanischer Kekse. „Für mich geschah ein Wunder“, formuliert Arzet in seinen Erinnerungen.

Auch die Nachbarsfrauen wurden bedacht, als die meisten der Soldaten, offenbar wegen einer Schießerei in Schönau, überstürzt aus Maulburg aufbrechen mussten: Schnell hätten die Köche noch ihre Vorräte an Fett und Fleisch in großen Schüsseln verteilt.

An der Stelle, an der heute die Metzgerei Hug ist, stand damals ein Geräteschopf. Der Ortsgruppenleiter der NSDAP, der Bürgermeister und ein Lehrer wurden dort als Geiseln gehalten für den Fall, dass sich in Maulburg Widerstand geregt hätte. „Ich hatte Angst um die Männer“, erinnert sich der damals Sechsjährige, doch „glücklicherweise waren die Maulburger gehorsam, und die Männer kamen mit dem Leben davon. Allerdings kamen sie mehrere Jahre in Gefangenschaft.“

Auf dem Schulhof nebenan mussten die Maulburger ihre Waffen abgeben. Pistolen, Gewehre, Dolche, Handgranaten, Munition - bis am Abend habe sich dort ein ganzer Berg von Waffen getürmt.

„Ich war froh, dass der Krieg vorbei war“, sagt Gerd Arzet, „denn der Krieg war etwa Schlimmes. Ich war froh, dass es vorbei war und neugierig auf das Neue.“

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