Steinen Kirschen, Chef und Donnerwetter

Markgräfler Tagblatt
Hans-Peter Günther erinnert sich in seiner jüngsten Kurzgeschichte an eine Episode aus der Lehrzeit. Foto: Harald Pflüger Foto: Markgräfler Tagblatt

Kurzgeschichte: Hans-Peter Günther erinnert sich an seine Lehrzeit

Steinen. An seine Lehrzeit erinnert sich Hans-Peter Günther in einer Kurzgeschichte, in der es um Kirschen, seinen Chef und ein Donnerwetter geht:

„Fast in jedem Beruf gibt es ab und zu Episoden, die man, sofern man sie selbst erlebt hat, gerne aufschreibt. Dass ich dies nun schon öfters getan habe, konnten Sie, lieber Leserin, lieber Leser, in Ihrer Tageszeitung lesen. Oftmals sicher mit einem Schmunzeln, und so soll es heute wieder sein.

Während meiner Lehrzeit bei der Firma Karl Bierl, Büromaschinen in Lörrach, bekam ich eines Tages den Auftrag, die Wartung und Reparatur einer Schreibmaschine beim Polizeiposten in Wollbach durchzuführen. Nun liegt Wollbach, von Lörrach aus gesehen, immer über dem Berg, der „Lucke“. Also wie dahin kommen?

Der Fuhrpark meiner Firma für Lehrlinge bestand aus einem alten Wanderer-Fahrrad, ohne Gangschaltung und mit Werkzeugtasche beladen: mordschwer.

In der heißen Jahreszeit das Velo über die „Lucke“ hochschieben, stieß bei mir nicht gerade auf Begeisterung. Sicher verständlich.

Ich habe hin und her überlegt, wie kann ich dieser körperlichen Anstrengung entgehen. Ich hatte ja in der Tumringer Straße, da wohnten wir damals, meinen Vespa-Motorroller in der Garage stehen. Da musste ich ja sowieso vorbeifahren. Von der Adlergasse, dem Sitz meiner Firma, bis zur Wohnung in der Tumringer Straße war es nicht sehr weit.

30 Grad im Schatten

Gesagt, getan. Werkzeugtasche auf den Roller umgeladen, Kickstarter getreten, und los ging die Fahrt. Völlig mühelos ging es die „Lucke“ rauf und runter. Trotz 30 Grad im Schatten, Berg und schwerer Werkzeugtasche kam ein (noch) fröhlicher Lehrling, heutzutage nennt man ihn Azubi, in Wollbach an.

Die Arbeit an der Schreibmaschine war in einer Stunde erledigt, und der Polizist in Wollbach freute sich, die Protokolle mit seiner Schreibmaschine wieder flott tippen zu können. Ich bekam sogar noch eine Mark Trinkgeld

Auf der Heimfahrt fiel mir ein, dass ich durch den Einsatz meines Motorrollers mindestens zwei Stunden Arbeitszeit eingespart hatte. Das fand ich nicht so gut.

Warum schickt man mich auch mit dem Fahrrad bei dieser Hitze nach Wollbach? Eine Frechheit, dachte ich. Auf halber Höhe der Lucke sah ich einen wunderbaren Kirschbaum voller Früchte.

Nichts wie rechts ran, den Roller am Rand abgestellt, ins Gras gesetzt und mit der Selbstvermarktung der fremden Kirschen begonnen.

Das tat gut, und die Kirschen schmeckten wunderbar. Dazu der Blick ins Markgräflerland. Einfach traumhaft. So schien der Nachmittag doch noch ein schöner zu werden. Aber, wie Sie schon richtig lesen, schien es nur so. Das Unheil nahte aus Richtung Binzen in Form eines hellblauen Ford 15 M. Das Auto kannte ich nur zu gut. Es gehörte meinem Chef Karl Bierl, und der saß am Steuer. Verstecken ging jetzt nicht mehr. Er hatte mich schon gesehen, fuhr aber vorbei ohne zu hupen oder zu grüßen. Oh weh, dachte ich und machte mich wieder auf den Weg in Richtung Lörrach. Entweder hatte ich zu viele Kirschen gegessen, oder es lag am blauen Ford 15 M. Irgendetwas von beidem verursachte mir ein heftiges Bauchweh.

Fahrzeugtausch

In der Tumringer Straße tauschte ich den Roller wieder gegen das Fahrrad und mit mehr als schlechtem Gewissen radelte ich in die Adlergasse.

Bei Betreten der Werkstatt war es seltsam still. Der Chef saß an der Werkbank und beachtete mich nicht. Keine Nachfrage, wie ich denn zurecht gekommen sei. Kein Wort. Nicht einmal ein Hallo. Das bedeutete nichts Gutes.

„Hans-Peter, hast du mir nichts zu sagen?“ „No, eigentlich nicht. Alles gut gelaufen.“ Das war dann doch zuviel für ihn. Er polterte los, wie nur ein Karl Bierl lospoltern konnte. Wer ihn kannte, wird mir zustimmen. Von fehlendem Versicherungsschutz war ebenso die Rede wie von unerlaubter Fahrt und so weiter. Was ich mir nur erlauben würde.

Wenn er mich mit dem Rad losschicke, hätte ich auch mit dem Rad zu fahren. Heute weiß ich gar nicht mehr, was mir alles vorgeworfen wurde. Aber so schnell wie „Thor“ die Noten für diesen Donnerschlag geschrieben hatte, waren die auch wieder vergessen.

PS: Für die nächste Wartung der Adler-Schreibmaschine durfte ich dann den hellblauen Ford 15m benutzen. Für den Kirschbaum blieb dann allerdings keine Zeit mehr. Schade eigentlich, aber es hingen ja auch keine Kirschen mehr dran.

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